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Grundschulgeschichten

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Meine Grundschulzeit im ländlichen Bayern Anfang der siebziger Jahre muß, gemessen an heutigen schulpolitischen Aufrege-Diskursen, ziemlich düster gewesen sein. Die dörflichen Ein-Klassen-Zwergschulen waren noch nicht lange Geschichte; erst wenige Jahre zuvor hatte man sie zum Gemeinde-Schulverband zusammengelegt, jede Klassenstufe wurde in einem anderen Nachbardorf unterrichtet

Man lehrte uns ABC-Schützen – Spazierstock, Spazierstock, Schleife, Schleife – tatsächlich noch die „Lateinische Ausgangsschrift“. Die sei den Kindern heute doch feinmotorisch nicht mehr zuzumuten, belehrte man mich beim ersten Elternabend meines Großen vor einigen Jahren, als ich nach der pflichtgemäß enthusiastischen Eloge der Klassenlehrerin auf die reichlich krakelig und unbeholfen daherkommende „Vereinfachte Ausgangsschrift“ zu fragen wagte, wann die Kinder denn richtig schreiben lernen würden.

Ich Tor. Dabei ist Schreibschrift an sich doch repressiv und sinnlos – der Spiegel  machte sich kürzlich mal wieder zum Lautsprecher des nächsten bildungsideologischen Großversuchs. Druckschrift reicht, Handschrift sollen die Kinder sich selbst ausdenken. Und in „Brennpunktschulen“ lehre man eh kaum noch Schreibschrift, da sei man ja schon „froh, wenn die Schüler überhaupt halbwegs Lesbares aufs Papier bringen“. Es darf eben kein Talent verlorengehen, lieber senken wir die Anforderungen fürs Talentsein.

Kulturunsensibel als Heidenkind tituliert

Solch multikulturelle Einfühlsamkeit war in meinen finsteren Schulzeiten natürlich noch arg unterentwickelt. „Sau-Preiß’n“ mit Dialekt-Defiziten, wie ich, waren bei uns allerdings auch die einzigen „Ausländer“. Wer als Angehöriger der exotischen Minderheit der Evangelischen in einer Klasse voller katholischer Bauern- und Handwerkerburschen beim Schulgebet (noch so ein böses ausgrenzendes Ritual) die Hände nicht auf römische Art zu halten wußte, fand sich vom Herrn Lehrer auch schon mal ganz kulturunsensibel als „Heidenkind“ tituliert.

„Herr Lehrer“ – tatsächlich, das gab’s im ausgehenden bundesrepublikanischen Mittelalter der frühen Siebziger auch noch. Männliche Grundschullehrer, Schulmeister noch recht eigentlich, denen es im Traum nicht eingefallen wäre, einen „der-Kevin-und-der-Ali-die-haben-da-ein-Problem-und-wir-wollen-ihnen-alle-helfen-damit-klarzukommen“-Stuhlkreis einzuberufen, sondern lieber in der Sportstunde die ganze Rasselbande auf der Schulwiese sich beim „Völkerball“ so richtig austoben oder auch mal in Lehrers Schuppen Brennholz aufsetzen ließen. Hat Spaß gemacht, war aber aus heutiger Sicht weder pädagogisch fördernd und fordernd noch Gender-gerecht.

Grundschul-Englisch bewerbungsmappenrelevant

Der Unterricht bestand ganz unoriginell aus Lesen, Schreiben, Rechnen, Singen, Heimat- und Sachkunde und Religion. Wir zwei „Heidenkinder“ wurden anfangs mal vom Hochwürdigen Herrn Dorfpfarrer mitbetreut, mal hatten wir Freistunde. Die Experimentierwut der Kultusbürokraten war damals gerade erst am Warmlaufen; „Mengenlehre“ mit bunten Plättchen oder Schwämmchen in Form von Kreisen, Dreiecken und Vierecken hab ich noch in grauslicher Erinnerung – unsere Lehrer haben’s halt ertragen wie wir auch.

In der vierten Klasse hatten wir dann zwar immer noch weder Grundschul-Englisch gelernt noch freies Vortragen vor der Klasse eingeübt, womit man heute, weil bewerbungsmappenrelevant, schon die Erstkläßler traktiert; dafür hat uns der Lehrer in ein paar übriggebliebenen Stunden noch die deutsche Schreibschrift  beigebracht, damit wir mal Briefe und Aufzeichnungen unserer Großeltern lesen können. Das schafft heutzutage kaum noch ein Germanistikstudent.

„Soziale Ungerechtigkeiten“ von annodazumals

Viele meiner Mitschüler von damals gingen übrigens im „sozial ungerechten“ dreigliedrigen bayerischen Schulsystem anschließend ganz selbstverständlich auf die Hauptschule (die war in meinem Heimatort, hat mich anfangs ein bißchen gewurmt, daß ich nicht da hinsollte, sondern in die Kreisstadt aufs Gymnasium geschickt wurde und wieder jeden Morgen mit dem Bus über Land fahren mußte) und sind heute respektable und respektierte Bauern, Handwerker, Angestellte und Facharbeiter.

Über unmenschlichen „Leistungsdruck“ haben seinerzeit höchstens die noch nicht verbeamteten Achtundsechziger schwadroniert – Eltern und Lehrer waren sich im Grundsatz einig, daß die Kinder in die Schule gehen, um diszipliniert zu arbeiten und was zu lernen. Der „Ernst des Lebens“ halt. Eine Lehrerin, die die Kinder auch mal anschreit, hätte weder Elternaufstände noch überfüllte Psychiater-Praxen provoziert.

Wie haben wir das alles nur ausgehalten, ohne fürs Leben traumatisiert zu werden? Und trotzdem jeder einen Schulabschluß geschafft und einen Beruf gelernt? Und das auch noch ganz ohne Betreuungsindustrie, Förderprogramme und Ganztagsverwahrung. Oder etwa gerade deswegen?

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