Wer es schon mit der Justiz zu tun hatte, der weiß, daß Richter immer viel zu tun haben. Manch ein Richter behauptet es fortwährend und manch anderer Richter hat wirklich viel zu tun. Daß Jugendrichter für Strafsachen in Großstädten, wie zum Beispiel in der Bundeshauptstadt Berlin, ausreichend straffällige Jugendliche und deswegen übermäßig Arbeit haben, überrascht naturgemäß nicht. Doch die Vorschläge, wie man der Arbeitsbelastung der Jugendrichter Herr werden kann, verwundern zumindest manchen Bürger und wurden deshalb in den vergangenen Tagen heftig diskutiert.
Laut dem Tagesspiegel kämen die Jugendrichter mit ihrer Arbeit kaum hinterher. Grund dafür sei, daß sie sich – nach Schätzung der Richterin Dietlind Biesterfeld – bei bis zu 20 Prozent der Gerichtsverfahren gegen Jugendliche und bei bis zu 30 Prozent aller Verfahren gegen Erwachsene um Leistungserschleichungs-Delikte kümmern müßten. Das Verfolgen und Ahnden des Schwarzfahrens kostet also einen Großteil der Zeit – und damit fällt es der Berliner Justiz um so schwerer, die Umsetzung des Neuköllner Modells zur Bekämpfung von Jugendkriminalität voranzutreiben.
Die Jugendrichterin Dietlind Biesterfeld hat auch gleich eine Lösung vorgeschlagen: Die Politik möge zukünftig das Erschleichen von Leistungen nur noch als Ordnungswidrigkeit behandeln lassen. Als Begründung wird hier angeführt, daß das vergleichsweise harmlose Schwarzfahren und das Falschparken von ihrem „Unrechtsgehalt ähnlich“ seien, aber dennoch völlig unterschiedlich behandelt würden.
Kapitulation der Justiz
Würde das Schwarzfahren bundesweit von einer Straftat zur Ordnungswidrigkeit herabgestuft werden, dann wäre es zunächst eine reine Angelegenheit der Verwaltung. Die Frage, die sich mancher Bürger nun zu Recht stellt, ist, ob sich der Rechtsstaat damit nicht selber abschafft. Es gibt bestehende Gesetze, die einzuhalten sind – und aus finanziellen Gründen soll auf eine Ahndung verzichtet werden. Darf das sein? Das Präsidiumsmitglied Stefan Caspari des Deutschen Richterbundes sprach deswegen auch von einer „Kapitulation“ der Justiz.
Wenn in Deutschland Richter fehlen, um effektiv und zeitnah alle Fälle abzuarbeiten, dann müssen mehr Richter eingestellt werden. Auf diese Lösung kommt man aber in der Hauptstadt angesichts klammer Kassen nicht. Eher versucht man, wie Benedikt Lux (Grüne) fordert, bei Schwarzfahrern die Augen zuzudrücken. Sollte man dies machen, ist der Bürger der Dumme, der immer brav seinen Fahrschein oder seine Monatskarte kauft.
Hier kommt jedoch noch ein weiteres finanzielles Problem hinzu. Wenn man mittellose Schwarzfahrer bestrafen möchte, die zum einen ihre Strafe nicht bezahlen können oder wollen und die zum anderen ihre Strafe auch nicht abarbeiten wollen, muß man sie zu einer „Ersatzfreiheitsstrafe“ verurteilen. Leider kostet das den Steuerzahler etwa 80 Euro pro Tag und Gefangenen. In der Justizvollzugsanstalt Plötzensee sollen unter den knapp 500 Gefangenen bis zu einem Drittel Schwarzfahrer sein.
Diskriminierung der Berufstätigen
Als weiterer Vorschlag wurde unterbreitet, man könne Arbeitslosengeld-II-Empfänger gratis fahren zu lassen. Wenn man die Leistungserschleichungs-Delikte nicht mehr aburteilen müßte, dann würde dies in der Justiz „unglaubliche Kräfte freisetzen“. Meines Erachtens diskriminiert man damit die Berufstätigen, die zwar auf den Öffentlichen Nahverkehr angewiesen sind, aber am Monatsende auch nur noch wenig oder gar kein Geld mehr zur Verfügung haben. Charmanter wäre dann schon die Idee, alle Bürger kostenlos mit den Berliner Verkehrsbetrieben fahren zu lassen. Aber selbst dann bräuchte man mehr Sicherheitspersonal.
Die Lösung sollte eine andere sein: Die Berliner Verkehrsbetriebe sollten dafür sorgen, daß ausreichend Kontrollen geschaffen werden. Gegen Schwarzfahrer – und übrigens auch gegen Randalierer, Schläger und Graffiti-Sprüher – helfen nur Menschen, die sich die Fahrkarten in den Bahnen zeigen lassen und die für Ordnung und Sauberkeit sorgen.
Ich habe lieber 100 neue Schaffner in der Berliner U- und S-Bahn als 100 neue Gefängniswärter in einer JVA. Zumal dies ein grundsätzliche Aufgabe der BVG sein sollte – zu kontrollieren, was in den Zügen passiert und wer mitfahren darf. Und die Berliner Jugendrichter hätten dann auch mehr Zeit, um sich um das von Kirsten Heisig initiierte „Neuköllner Modell zur besseren und schnelleren Verfolgung von jugendlichen Straftätern“ zu kümmern.