Ägypten lernt Deutsch. Die Zahl der Deutschlerner ist in den vergangenen fünf Jahren um 30 Prozent gestiegen. Mehr als 100.000 Schüler an Hunderten von ägyptischen Schulen lernen die deutsche Sprache. Allein an den Goethe-Instituten melden sich Jahr für Jahr über 7.000 Schüler für einen Sprachkurs an. Doch die Goethe-Institute in Kairo und Alexandria sind derzeit geschlossen. Und wer an einer Deutschen Schule unterrichtet, muß damit rechnen, vom Auswärtigen Amt im Stich gelassen zu werden.
Ägypterinnen berichten auf deutsch
Es fesselt, wenn die Ägypter auf deutsch von ihrer Revolution berichten. Auf der Facebook-Seite der Deutschen Sprachwelt treffen immer wieder Neuigkeiten aus Ägypten ein. In diesem Land lebt nämlich die größte Gruppe der Sprachwelt-Mitleser außerhalb des deutschen Sprachraums. Es sind vor allem Frauen, die sich zu Wort melden, denn fast alle Männer sind auf der Straße. Eine Ägypterin unterrichtet uns: „Die Situation hier ist nicht gut. Es gibt viele Tote in Kairo, aber trotzdem bin ich fröhlich und hoffnungsvoll. Endlich sind wir da, wir wachen auf, und wir kämpfen für unsere Freiheit und unsere Menschenheit.“ Eine weitere Ägypterin berichtet aus Alexandria: „Alle Schulen und Institute sind wegen der jetzigen Lage geschlossen. Auch unsere Literaturkurse und Fremdsprachenunterrichte können wir zur Zeit nicht besuchen, und natürlich können wir als Lehrer nicht unterrichten.“
Tote auch in der Nähe deutscher Schulen
Deutsch hat als Fremdsprache eine lange Tradition in Ägypten. Schon 1873 wurde die Deutsche Evangelische Oberschule in Kairo eröffnet. 1884 folgte die Deutsche Schule der Borromäerinnen in Alexandria. Diese Schule gibt es bis heute, doch die deutschen Lehrer mußten nun fliehen. Schulleiter Hubert Müller schreibt im Netzauftritt der Schule: „Am Polizeitag (25.01.) haben unsere Mädchen aus Klasse 12 noch ihr Abitur in den Naturwissenschaften geschrieben, ein paar Stunden später begann die Revolution in Ägypten. Seit Freitag, dem 28.01.2011, ist in Ägypten nichts mehr wie zuvor. An diesem Tag wurde auch im Umfeld der Schule gewaltsam demonstriert, geplündert und getötet. An einen Schulbetrieb ist im Moment nicht zu denken.“
Deutschlehrer leben gefährlich
Gegenüber der Schule befindet sich ein Polizeigebäude. Wie alle anderen auch in Alexandria wurde es schon in der ersten Revolutionsnacht niedergebrannt, das Waffenlager geplündert. Die Bevölkerung schützt sich mit Bürgerwehren, die sich mit Knüppeln, Messern und alten Gewehren ausrüsten. Günter Förschner, der stellvertretende Schulleiter, erhebt schwere Vorwürfe gegen das Auswärtige Amt. Seine Familie hatte sich verbarrikadieren müssen und mußte neidisch zusehen, wie griechische, türkische und amerikanische Staatsbürger von ihren Botschaften abgeholt und in Sicherheit gebracht wurden.
Das Auswärtige Amt ließ die Deutschen im Stich
Nur die deutsche Botschaft ließ sich Zeit. Während auf der Straße Schüsse fielen und marodierende Banden umherzogen, teilte sie den Landsleuten in Alexandria mit, daß die Lage doch gar nicht so schlimm sei. Als die Deutschen weiterhin auf taube Ohren stießen, wandten sie sich schließlich ans deutsche Fernsehen. „Für uns Deutsche kommt niemand“, klagte Förschner in den Tagesthemen. Erst dieser Hilferuf sorgte dafür, daß Rettung kam. Offenkundig ist die deutsche Botschaft völlig überfordert. Auch andere Deutsche beschweren sich darüber. Das Auswärtige Amt weist jedoch alle Vorwürfe zurück.
Wer im Ausland deutsche Sprache und Kultur vermittelt, muß offenbar in Kauf nehmen, fallengelassen zu werden. Das Auswärtige Amt sollte sich die tapferen Ägypter zum Vorbild nehmen. Eine Leserin aus Alexandria, beflügelt von der Revolution, berichtet der Deutschen Sprachwelt: „Wir alle erkannten, wie sehr wir unser Land lieben, und was wir schaffen können, wenn wir miteinander sind.“ Wann erkennen wir Deutschen das? Während die Ägypter Deutsch lernen, können wir von ihnen auch etwas lernen: Mut, Vaterlandsliebe, Zusammenhalt.