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Von Fluß und Brücke

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Brücken werden heute zumeist als positiv konnotierte Symbole des Verbindens wahrgenommen, weshalb – bezeichnenderweise fiktive – Brücken auch die Scheine unserer noch gültigen Währung zieren. In der Antike hingegen war die Brückensymbolik durchaus ambivalent, wohnte doch jedem Brückenbau eine gewaltsame Hybris inne, so daß die Götter zuvor durch Opfer besänftigt werden mußten.

Für die abendländische Literatur sind in diesem Zusammenhang die „Perser“ des Aischylos paradigmatisch, in denen die Niederlage des Xerxes gegen die Griechen in der Seeschlacht bei Salamis mit dem frevelhaften Brückenbau des Perserkönigs über den Hellespont und der Rache Poseidons verbunden werden. Für die Römer bildeten Flüsse natürliche Grenzen zwischen den Völkern (etwa der Rhein zwischen Galliern und Germanen), und entsprechend wurde der Kaiser in seiner Rolle als Weltherrscher in der Numismatik zuweilen bei der Überschreitung eines Flusses dargestellt; gelegentlich setzte der kaiserliche Elefant seinen Fuß sogar auf das Haupt des Flußgottes.

Seit Leo dem Großen (440 bis 461) wurde der kaiserliche Titel des Pontifex Maximus, des obersten Brückenbauers, von den Päpsten übernommen, die sowohl diese imperiale Tradition fortsetzten als auch an die ursprünglich priesterliche Bedeutung dieses Amtes anknüpften und damit dem Reich, zur Zeit seines Unterganges im Westen, eine neue, geistige Dimension verliehen.

Ambivalenz von Zusammenführung und Beherrschung

Dieselbe Ambivalenz von Zusammenführung und Beherrschung findet sich auch in dem großartigen Roman „Na Drini ?uprija“ (1945, „Die Brücke über die Drina“) des in Bosnien gebürtigen, katholisch getauften, aber seinem Selbstverständnis nach nicht kroatischen, sondern jugoslawischen Nobelpreisträgers Ivo Andri?.

Es lag nahe, die Geschichte der Brücke über den bosnisch-serbischen Grenzfluß, der zudem die Grenze zwischen West- und Ostrom, katholischem und orthodoxem, später christlichem und muslimischem Herrschaftsbereich markierte, während der jugoslawischen Sezessionskriege der neunziger Jahre als „Vision“ einer friedlichen Koexistenz der Völker und Kulturen lesen zu wollen, doch war ihr die Gewaltsamkeit von Anfang an eingeschrieben: Für den Erbauer, einen osmanischen Großwesir, der als Kind von christlichen Eltern geraubt, nach Istanbul verbracht und zum Islam „bekehrt“ (also tatsächlich wie dem Wortsinne nach „unterworfen“) worden war, stellte seine Tat gewiß einen Brückenschlag zu seiner gestohlenen Kindheit, Heimat und Herkunft dar, aber der persönliche Heilungsakt des an die Staatsspitze Aufgestiegenen verblieb im Rahmen eines auf Unterdrückung beruhenden Systems.

Ja, der Brückenbauer befestigte dieses noch, indem er die Macht des Sultans über die religiös und politisch Unterworfenen stärkte; und selbstverständlich wurden diese auch niemals gefragt, ob sie eine solche Brücke wünschten, sondern man rekrutierte sie mit äußerster Härte zum Bau, verfügte über ihre Güter und bestrafte sie gnadenlos, sofern sie sich widersetzten. Insofern muß sich der Leser auch angesichts der Leiden der gegen Ende der osmanischen Herrschaft über den Balkan fliehenden oder unter christliche Botmäßigkeit gezwungenen Muslime um Mitleid eher bemühen, als daß dieses sich von selber einstellen würde.

Fluten reißen die kulturellen Schranken für Augenblicke mit sich fort

So eindringlich und suggestiv die nach menschlichen Maßstäben „ewige“ Dauer der Brücke beschrieben und dem Fluß des Wassers ontologisch entgegengesetzt wird, so fragil ist dennoch die von ihr repräsentierte Ordnung. Das Miteinander beschränkt sich selbst in den friedlichsten Zeiten auf ein Nebeneinander-Herleben; das höchste der Gefühle ist allenfalls ein distanzierter Respekt zwischen den Würdenträgern – lediglich unter dem Druck von Katastrophen, den periodischen Überschwemmungen, die Juden, Christen und Muslime in gleicher Weise heimsuchen, erwächst aus dem gemeinsamen Schicksal eine größere Nähe.

Die Fluten reißen die kulturellen Schranken für Augenblicke mit sich fort; und das Wasser, das in gehegter Form Grenzen bezeichnet, löscht diese aus, indem es dem Menschen als Naturgewalt begegnet und ihn dadurch selbst zum Naturwesen macht.

Allerdings ist dies nur im Ausnahmezustand der Fall – doch wie die Flut ein plötzlicher und vorübergehender, so ist die steinerne Brücke ein andauernder Ausnahmezustand, in dem sich eine überwältigende Macht manifestiert.

All dies spricht übrigens nicht gegen Brücken überhaupt, auch nicht gegen die abstrakten der Euroscheine, wohl aber gegen ihre Bauherren.

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