Horst-Dieter Schlosser, der Erfinder der Suche nach dem Unwort, ist ein sympathischer Mann, denn er besitzt Rückgrat. Als sich auf Druck des Bundeskanzleramts 1993 die Gesellschaft für deutsche Sprache von der Aktion „Unwort des Jahres“ vorsorglich trennte, führte er die Aktion eigenständig weiter. Sicher kann man über die Wahl des einen oder anderen Unworts geteilter Meinung sein. Doch der Mut, vor der politischen Macht nicht einzuknicken, verdient allemal Anerkennung.
Für „Tätervolk“ als Unwort des Jahres 2003 handelte sich Schlosser von vielen Seiten Kritik ein, je nachdem, ob jemand die Juden oder die Deutschen gern als Tätervolk sehen wollte. Daß man nicht ganze Völker pauschal als Täter verurteilen kann, leuchtete nur wenigen ein. Das Erfreuliche ist, daß Schlosser nur schwer einer bestimmten politischen Richtung zuzuordnen ist. Sicher ist das eines seiner Erfolgsgeheimnisse.
Das Brandmarken des Wortes „Herdprämie“ (2007), das Eltern herabwürdigt, die ihre Kinder nicht in einer Krippe fremdbetreuen lassen wollen, dürfte Konservative freuen, die Entscheidung für das Wort „Überfremdung“ (1993) hingegen weniger.
„Zustand der völligen geistigen Bewegungsunfähigkeit“
Der Renner bei den Einsendungen zum Unwort des Jahres 2010 sei das Wort „alternativlos“, ließ Schlosser jetzt verlauten. Auf dieses Wort entfallen demnach die meisten der eingesandten Vorschläge. Doch was ist an dem Wort „alternativlos“ so bedenklich? Für „Alternativlosigkeit“ hält die „Uncyclopedia“ eine schöne Erklärung bereit: „Als Alternativlosigkeit oder Entscheidungsstarre wird in der Politikerverhaltensforschung ein Zustand der völligen geistigen Bewegungsunfähigkeit bezeichnet, der eintritt, wenn ein Entscheidungsträger sich aufgrund vorhergehender Beratungsresistenz, Selbstüberschätzung oder selektiven Wahrnehmung in eine Situation manövriert hat, die subjektiv nur eine mögliche Handlungsoption zuläßt.“
Mit anderen Worten: Es handelt sich um ein Totschlagwort, mit dem vorgegaukelt werden soll, daß es gar keine andere Lösung gibt. Dahinter steckt die Absicht, sich nicht einer lästigen Erörterung aussetzen zu müssen, die womöglich den eigenen Standpunkt in Frage stellen könnte. Zufälligerweise handelt es sich nun bei „alternativlos“ um ein Lieblingswort Angela Merkels: Die Europäische Union? Alternativlos! (Oktober 2007) Bindung an USA und Kanada? Alternativlos! (November 2007) Enteignung der „Hypo Real Estate“? Alternativlos! (Februar 2009) Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan? Alternativlos! (Juli 2009) Milliarden für Griechenland? Alternativlos! (Mai 2010). „Immer, wenn sie mit ihrer Politik am Ende ist, wird die eigene Hilflosigkeit als alternativlos erklärt“, ätzt der Kabarettist Urban Priol.
„Menschen ohne Optionen sind Sklaven“
In der angloamerikanischen Geschäftswelt ist das sogenannte TINA-Argument verrufen: „There Is No Alternative.“ Der Schweizer Spezialist für Unternehmenskommunikation Beat Schaller schreibt dazu in seinem neuen Buch „Chefsprache“, erschienen bei Signum: „Das TINA-Argument ist die schlimmste Botschaft überhaupt. Menschen ohne Optionen sind Sklaven. Das killt jede Motivation.“ Die Botschaft dieser „Apologeten“, die auf TINA setzen, laute: „Du mußt mitmachen, sonst wirst du marginalisiert.“
Merkel scheint mit „alternativlos“ endlich eine christdemokratische Alternative für die Basta-Politik Gerhard Schröders gefunden zu haben. Tatsächlich erklärte Kanzler Schröder im August 2004, der weitere Abbau des Sozialstaats sei, na was denn, ganz genau: „alternativlos“.