Daß mancher Student sich seine Doktor-, Magister- oder Diplomarbeit von einem „Ghostwriter“ schreiben läßt, ist allgemein bekannt. Weniger verbreitet ist, daß auch zahlreiche Seminar- und Hausarbeiten von Auftragsschreibern verfaßt werden. Von „Prekariern“, die für 10 bis 15 Seiten Text gut und gerne 350 Euro berechnen. Ein zugegeben fairer Preis, wenn man ihn in Stundenlohn umrechnet.
Immerhin beinhaltet er Recherche, Lektüre, Auswertung der Quellen sowie das Verfassen des Textes. Da gehen gut und gerne sieben bis zehn Tage drauf. So ergeben drei Hausarbeiten ein mittleres Monatseinkommen. Natürlich können die Schreiber ihre Dienste nicht am schwarzen Brett des Uni-Gebäudes anpreisen. „Das läuft über Mundpropaganda“, erklärt Ghostwriter Max (Name geändert), „vor allem, wenn du den Kunden gute Noten bringst und zeitlich flexibel bist.“
„Zeitlich flexibel“ heißt, „daß viele Studierende ihre Hausarbeit zunächst selber schreiben wollen, aber zwei, drei Tage vor Abgabetermin kapitulieren. Dann muß der Ghostwriter einspringen und notfalls drei Tage durcharbeiten.“ Aber gerade auf einem Markt, der über Kontakte läuft, sei hundertprozentige Zufriedenheit der Kundschaft oberstes Gebot. Zumal die Anonymität nur schwer das Ausmaß an Konkurrenz abschätzen lasse.
„Natürliche Anlage“
Die Frage, ob ihm solche Ausbildungssabotage keine Schuldgefühle bereite, wischt Max lässig vom Tisch: „Nein, die studieren doch Geisteswissenschaft, das heißt, die enden ohnehin als Taxifahrer. Für die gibt‘s doch kaum Bedarf“ (außer natürlich als Ghostwriter für die nächste Studentengeneration). Und weshalb wollen die Studierenden überhaupt einen Abschluß? – Weil das bei Arbeitgebern gut ankomme. Eine durchgehaltene, mehrjährige Ausbildung mit Abschluß: Das klingt nach Disziplin.
Bei soviel Pragmatismus bleibt die Frage, warum die Kunden ihre Hausarbeiten nicht selbst verfassen. Auch Max hat ihnen diese Frage oft gestellt. Die unterschiedlichen Antworten unterteilt er in zwei Kategorien: Dank der Bologna-Reform ist die Universität komplett verschult mit Stundenplan und jeder Menge Zeitdruck. Wenn noch ein Job ins Spiel kommt, läuft die Zeit davon. Am Ende des Semesters türme sich derart viel Arbeit, daß die Betroffenen in Panik gerieten.
Der zweite Grund: Einige Kunden, die ihre Hausarbeitsthemen gut verstanden und durchdacht hätten, litten unter Schreibblockaden. Aber, diese Unsicherheit habe keineswegs rein persönliche Gründe, sondern sei durch das Bildungssystem bedingt: Das Verfassen von Texten werde nicht gelehrt, weder in der Schule noch in der Universität. Man füttere Schüler und Studenten mit Fakten, aber setze deren Verarbeitungs- und Wiedergabetechnik als „natürliche Anlage“ voraus. Nein, das Bildungssystem fördere keinen kreativen Umgang mit dem Material.
Letzte Frage: Besteht die Kundschaft überwiegend aus Frauen oder Männern? Max: „Beide sind geich stark vertreten.“ Bleibt nur zu hoffen, daß Studierende von lebensrettenden Berufen nicht irgendwann zum Ghostwriter greifen. Jedenfalls scheint das Reformkonzept vom wirtschaftsorientierten Studium aufgegangen zu sein. Zumindest für die Schreiber und ihre Kundschaft.