Die Affäre um den Abschlußbericht der von Joschka Fischer eingesetzten Historikerkommission zum Verhalten des Auswärtigen Amts im Dritten Reich zieht zusehends weitere Kreise. Nun hat auch der Spiegel eine Wende vollzogen, der ursprünglich in die von der Kommission vorgegebene Kerbe vom AA als „verbrecherischer Organisation“ gehauen hatte.
In einem passagenweise ausgesprochen hämischen Artikel berichtet das Blatt in dieser Woche über die Kritik, die aus Fachkreisen am Bericht geübt wird und die teilweise vernichtend ausfällt. Da ist von „Unkenntnis“ die Rede, von „massiven Fehlern“, von „Geschichtspornographie“ und von „Unsinn“.
Nun ist dies ja nicht der erste Fall, in dem eine Koalition aus politischem Interesse und willigen Historikern zu einem brisanten Versuch startet, steile geschichtspolitische Thesen in die Welt zu setzen und als Standard zu proklamieren. Man erinnert sich noch gut an die Wehrmachtsausstellungen des Hamburger Instituts für Sozialforschung samt Begleitbuch, für die jedes der oben genannten Attribute allemal ebenfalls zutreffend gewesen wäre. Dennoch wurde damals öffentlich von Kollegenseite weitgehend geschwiegen, und soweit doch Kritik aufkam, fand sie in den größeren Printmedien kaum statt.
Über die Gründe läßt sich nur spekulieren
Dies ist nun anders. Über die Gründe läßt sich nur spekulieren. Wahrscheinlich existiert ein Zusammenhang mit der Zusammensetzung der Kommission, die nicht aus den üblichen Verdächtigen eines geschlossenen und politisch gut abgehangenen Milieus bestand, wie dies bei den Wehrmachtsausstellungen der Fall war. Dort wurde in weiten Passagen präsentiert, was aus Ostberlin auch schon immer zu hören gewesen war und man konnte nur wenig überrascht sein.
Das „Amt“ dagegen wird von Historikern verantwortet, denen bisher eigentlich keine besondere Politisierung unterstellt wurde und von denen eine gewisse Qualität erwartet werden konnte. Diese Erwartung wurde drastisch enttäuscht. Wie zu hören, fühlten sich leitende Kommissionsangehörige nicht verpflichtet, sich selbst überhaupt ins Archiv zu begeben.
Manche Passagen des veröffentlichten Berichts deuten sogar darauf hin, daß er vor dem Druck von ihnen nicht einmal gelesen wurde und lediglich von Hilfskräften stammt. Man darf angesichts dieser Fehlleistungen und der doch recht prompten negativen Reaktion vermuten, daß dabei jene Emotion mitbeteiligt ist, die schon Aristoteles an den Anfang aller Erkenntnis gesetzt hat: das Erstaunen.