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Nacktschnecken und Rosenkränze

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Es geschieht nicht alle Tage, daß der Politikchef einer großen überregionalen Zeitung Kanzlerin und Bundespräsident in einem Atemzug mit „Nacktschnecken“ vergleicht, „die auf der eigenen Schleimspur Karriere machen“. Der virtuose Wutausbruch von Volker Zastrow im Leitartikel der letzten Frankfurter Allgemeinen  Sonntagszeitung (FAS) ist eine bemerkenswerte geistige Wendemarke, die im Angesicht der Sarrazin-Steinbach-Empörungsorgie gesetzt wurde.

Da ist einem der Kragen geplatzt, angewidert von der rituellen Ich-Erregung über das Aussprechen unbequemer Tatsachen, von den „Wortkriegen in Schleimsprache“, all dem „unerträglich“ und „nicht hilfreich“ – „so lauten soziale Todesurteile unter den Nacktschnecken“. Zastrow, seit fast vier Jahren Leiter der Politikredaktion der FAS, ist seinen Weg konsequent gegangen; zweimal Sarrazin hat ihn zum messerscharfen Systemkritiker werden lassen.

Seine Generalabrechnung gipfelt in der finalen Delegitimation der sich empörenden  Klasse:

„Bei der Meinungsfreiheit geht es ja nicht um Abstraktes. Sondern um Macht. Darum, wer anderen das Maul verbieten kann – schon klar, nicht verbieten, nur verdreschen – und wer es verboten, verdroschen kriegt. Diese Macht haben und nutzen die Lobbyisten und Meinungszüchtiger, die Mönchskrieger der öffentlichen Sprach- und Denkwirtschaft. Und natürlich die Nacktschnecken in ihrer weltanschaulich gefestigten Neutralität. Sie wirken, laut Artikel 21 GG, an der politischen Willensbildung des Volkes mit.“

Kein Verhältnis zur Freiheit

Das ist aber noch nicht die ganze Geschichte. Es wäre „zu einfach, alles auf die Politik zu schieben“:

„Deutschland hat kein Verhältnis zur Freiheit. Es straft Meinungen mit Berufsverboten, mit der öffentlichen Todesstrafe, dem Ruf-Mord. […] Dazu paßt, daß nahezu jeder, bis ins Privateste, mit der Überzeugung durch die Gegend zu kriechen scheint, seine Gefühle seien Heiliges, das nie und nimmer verletzt werden dürfe – der heilige Schleim. Wir lieben es nicht, das offene Wort, den Freimut, die Ehrlichkeit. Nicht privat, und öffentlich erst recht nicht.“

Kein Verhältnis zur Freiheit. Vielleicht ist es ja tatsächlich die mangelnde Wertschätzung des freien Wortes, die nur noch Mitläufer und schweigende oder bestenfalls grummelnde innere Emigranten übrigläßt.

Es ist fraglos risikoärmer und bequemer, sich im uneingeschränkten Individualismus einzurichten, in dem jede einzelne kleinste Einheit der Gesellschaft mit sich selbst glücklich ist – aus der Analogie zu einem radikalindividualistischen Alles-Egal-Gaga-Liedchen erklärt sich übrigens Zastrows kryptische Artikelüberschrift „Körperzellenrock“ – und sich glücklich verdauend dem Konformitätsdruck zum „Gedanken-Sharing“ beugt, der an die Stelle der demontierten Autoritäten getreten ist. Den Gedanken hat Zastrow schon vor einem Jahr in seinem Leitartikel zum ersten „Fall Sarrazin“ nach dem Lettre international-Interview entwickelt:

„Jahre nach der großen Kulturrevolution der sechziger Jahre ist an die Stelle der geschleiften Autoritäten ein anonymer, konturenloser Schleim getreten, die verallgemeinerte Autorität, aus dem je nach Bedarf wie Formwandler Gestalten springen und Verdikte verkünden, gegen die keine Berufung eingelegt werden kann.“

Das freie Wort, das den Konformismus verweigert, stellt die Machtfrage

Bislang ließen sich die paar Abweichler, von der zufrieden weitermampfenden Herde unbemerkt, auf diese Weise schnell wieder ins Glied zurückpeitschen. Nun aber dies – Thilo Sarrazin beschreibt es im Bild-Interview, vorgeblich „einen Freund“ zitierend, so:

„Die Politik betet eben den üblichen Rosenkranz runter […] Ein vermeintlich unbotmäßiger Satz über Migranten fällt und prompt werden Begriffe wie „beleidigend”, „rassistisch”, „diskriminierend“ und „menschenverachtend” heruntergebetet. […] Normalerweise ist der Betroffene danach politisch tot. Nur: Ich war nicht tot. Denn die Bürger stimmten zu und das hat die politische Klasse in vollständige Ratlosigkeit gestürzt. Diese Verwirrung […] äußert sich jetzt in ungeheurer Aggression. Nicht nur bei Politikern, sondern auch bei den Rosenkranz-Experten unter den Journalisten.“

Das freie Wort, das den Konformismus verweigert, stellt die Machtfrage. Das trifft zweifellos den Kern der „Fälle“ Sarrazin und Steinbach, die wohl nicht die letzten ihrer Art waren: Es geht letztendlich nicht mehr nur um Einwanderung und auch nicht um Genetik, nicht um Geschichtsdeutung und auch nicht um Parteiräson. Es geht um die gefährliche Freiheit, anderen Ansichten nicht mit Gesetz, Verbot und Staatsanwalt, sondern allein mit Argumenten gegenüberzutreten.

An dieser Stelle mag sich übrigens ein jeder einmal selbst prüfen: Würde er die Fahne der Meinungsfreiheit bei breitem gesellschaftlichem Rückenwind noch genauso hochhalten? Der Liberale, sobald er erst an die Macht gekommen ist, schreit selbst nach der Zensur. Das unterscheidet ihn von den freiheitlich Gesinnten, von denen es in unserem Land noch immer viel zu wenige gibt.

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