Im Interview mit der Frankfurter Allgemeinen Zeitung antwortete die Bundeskanzlerin Angela Merkel auf die Frage, wie es komme, daß in regelmäßigen Abständen beklagt werde, das Konservative sei in der CDU nicht mehr genug vertreten.
„Wir leben in einer Welt, die sich dramatisch und schnell ändert. Das bereitet vielen Menschen Sorgen, gerade jetzt, da wir noch mit der schweren internationalen Wirtschaftskrise zu kämpfen haben. Sie fragen sich: Was ist eigentlich noch sicher in unserem Leben? Was kann alles noch passieren? Wie weit sind die Institutionen des Staates in der Lage, auf diese Herausforderungen zu reagieren?
Schauen wir doch nur auf die epochalen Veränderungen der letzten zwanzig Jahre: Der Kalte Krieg ging zu Ende. Das ist wunderbar, aber es hat eben zwangsläufig auch Freund- und Feindbilder völlig verändert, weil die Welt dadurch offener geworden ist. Die Bipolarität ist vorbei, sie wurde von Multipolarität abgelöst. Die Technologien, die medialen Möglichkeiten, das Internet – vieles ist hinzugekommen, was eine Öffnung und eine große Chance darstellt, aber den Menschen natürlich auch sehr viel abverlangt. Gerade eine Partei wie die CDU muß die Frage stellen: Was bleibt? Welche Werte geben auch in dieser veränderten, globalisierten Welt Halt und Orientierung?“
Jeder darf seine Meinung sagen, er muß nur mit den Konsequenzen leben
Die CDU-Vorsitzende hat es verstanden, in 159 Wörtern leere Worthülsen, Sprechblasen und Gemeinplätze loszuwerden und nichts Konkretes auf die Frage zu antworten. Dafür stellt sie aber selbst fünf Fragen, auf die sie eigentlich als Bundeskanzlerin und als Vorsitzende einer Volkspartei eine Antwort haben sollte. Wo sind die Antworten mit Inhalt und eine klare Haltung zu den Fragen, die sich laut Merkel „viele Menschen“ stellen?
Im restlichen Interview kommt Merkel zu Aussagen, die man – vorsichtig und wohlwollend gesprochen – hinterfragen kann. Zum Beispiel die Aussage: „Jedes Mitglied kann sich mit seiner Persönlichkeit in unserer Partei voll entfalten. Wenn jetzt manche den Eindruck haben, man dürfe seine Meinung nicht sagen, dann ist das schlicht falsch.“ Eigenartig: Mir sagte ein Funktionär der Jungen Union, daß ich als Autor für die JUNGE FREIHEIT in der „Partei nichts mehr werden könnte“.
Es ist also richtig, daß jeder seine Meinung sagen kann, er muß nur mit den Konsequenzen leben. Eventuell sollte man dazu das ehemalige CDU-Mitglied Martin Hohmann befragen oder den jetzt fraktionslosen René Stadtkewitz.
Daß auch Friedrich Merz, Jörg Schönbohm, Roland Koch und Erika Steinbach die CDU-Führung verlassen haben, hat laut Merkel „völlig unterschiedliche“ Gründe und „deshalb sollten wir auch ihre Bewertung nicht verallgemeinern.“ Aber „wir“ wollen auch nicht über die „völlig unterschiedlichen Gründe“ sprechen, signalisiert die Kanzlerin. Zukünftig wird den Konservativen in der CDU durch Angela Merkel, Volker Kauder, Volker Bouffier und Wolfgang Bosbach das Gefühl vermittelt, die CDU sei ihre politische Heimat. Wer solche Konservative hat, braucht keine Linke mehr. Zu Guttenberg kann fast schon froh sein, nicht genannt worden zu sein.
„Thema Integration seit langem eine Herzensangelegenheit“
Der Rest des Interviews ist zwar um so bedrückender, aber auch schneller zusammengefaßt. Merkel hatte Sarrazins Buch zwar nicht gelesen, aber den „Kern seiner Aussagen“ hatte sie allein durch Vorabpublikationen erfaßt, denn diese sind „vollkommen ausreichend und überaus aussagekräftig“. Bild und Spiegel sei Dank hat die Kanzlerin also einen umfassenden Einblick in Sarrazins Buch und seine Kernthesen nehmen können.
Daher weiß sie auch genau, daß der Kern von Sarrazins Aussagen „es schwerer“ macht, „Integrationsprobleme zu benennen und anzupacken“. Wir können als Bürger nur hoffen, daß andere Entscheidungen nicht nur mit Hilfe der Bild-Zeitung gefällt werden. Merkel entlarvt sich endgültig, als sie bekennt, daß das „Thema Integration seit langem eine Herzensangelegenheit“ sei. Auf der anderen Seite erklärt sie, daß Gesetze gegenüber Integrationsverweigerern „in Zukunft“ konsequent angewendet werden sollen.
Bitte? Seit wann ist Merkel Kanzlerin? Sie hätte sich doch schon lange um ihre „Herzensangelegenheit“ kümmern können! Warum fällt ihr das konsequente Anwenden von Gesetzen erst jetzt ein – nach Erscheinen von Sarrazins Buch, daß eigentlich keiner der Unions-Politiker benötigt und auch nicht hilfreich ist?
Die anderen Antworten von ihr sind zumindest ehrlich: „Diese Diskussion führe ich nicht.“ „Dazu ist inzwischen alles gesagt.“ „… und ansonsten ist dazu alles gesagt.“