Haben Sie schon einmal schwarz-gelb gestreifte Zebras gesehen? Doch, diese Tiere gibt es tatsächlich. Es handelt sich dabei allerdings nicht um die neuesten Glücksbringer der christlich-liberalen Koalition, sondern um eine Tierart, die erst kürzlich von der Berner Stadtverwaltung entdeckt wurde. Verbreitet ist sie jedoch bereits über die ganze Schweiz. Die Sprachpolizei in der Schweizer Bundeskanzlei macht’s möglich.
Fußgängerüberwege sind in der Schweiz in der Regel mit gelben Streifen auf schwarzem Straßenbelag markiert und erinnern eher an das Muster einer Wespe als an die schwarz-weißen Steppenpferde. Deshalb hießen die Überwege bislang nicht Zebrastreifen, wie in Deutschland, sondern „Fußgängerstreifen“. Dieses Wort alarmierte jedoch die Sprachpolizei der Bundeskanzlei.
„Fußgängerstreifen diskriminieren Frauen“
In dieser Woche gab es daher eine Anweisung an alle „Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter“ der Stadt Bern. Die Stadt erstellte für knapp 10.000 Franken einen eigenen Leitfaden: Ab sofort müssen Texte „geschlechtergerecht“ formuliert werden. Das trifft auch den „Fußgängerstreifen“.
Nadine Wenger, Projektmitarbeiterin bei der Fachstelle für die Gleichstellung von Frau und Mann in Bern, fiel es wie Schuppen von den Augen: „Mit dem Wort Fußgängerstreifen sind nur die Männer gemeint“. Manche Frauen fühlten sich benachteiligt: „Wenn man es genau nimmt, ist es eine Diskriminierung.“
Wir haben volles Verständnis dafür, daß die Stadt Bern um die Sicherheit ihrer Bürger besorgt ist. Soll es denn Fußgängerüberwege nur für Männer geben, während die Frauen beim Überqueren der Straße Leib und Leben aufs Spiel setzen müssen? Das ist ein unhaltbarer Zustand. Die gefundene Lösung erscheint somit auf den ersten Blick genial einfach: Der „Fußgängerstreifen“ soll in „Zebrastreifen“ umbenannt werden, auch wenn es eigentlich keine schwarz-gelb gestreiften Zebras gibt.
Wann schickt Alice Schwarzer die Kavallerie in die Schweiz?
Die Schweizer Sprachpolizisten sind in ihrem Feldzug für eine gerechte Sprache allerdings auf ein schwerwiegendes Problem gestoßen: Um rechtlich eindeutig und unangreifbar zu sein, müssen sich behördliche Verfügungen nach den Gesetzestexten richten. In diesen Texten stehen jedoch nach wie vor die „geschlechterungerechten“ Ausdrücke. So heißt es etwa in der Schweizer Verkehrsregelnverordnung, Artikel 6.1: „Vor Fussgängerstreifen ohne Verkehrsregelung muss der Fahrzeugführer jedem Fussgänger oder Benützer eines fahrzeugähnlichen Gerätes, der sich bereits auf dem Streifen befindet oder davor wartet und ersichtlich die Fahrbahn überqueren will, den Vortritt gewähren.“
Herrje: „Fussgängerstreifen“, „Fahrzeugführer“, „Fussgänger“, „Benützer“. – Die Verordnung strotzt nur so von diskriminierenden Wörtern! Die Unterdrückung der Schweizerinnen hat ein geradezu erschreckendes Ausmaß. Wann schickt Alice Schwarzer die Kavallerie in die Schweiz?
So endet der Siegeszug des Schweizer Neusprechs vorläufig an der Hürde des Gesetzes. Zähneknirschend muß die Schweizer Bundesregierung in ihrem „Leitfaden zum geschlechtergerechten Formulieren“ eingestehen: „Solche Ersatzausdrücke sind nicht für alle Textsorten gleichermassen geeignet. So kann Zebrastreifen in einer Zeitungsmeldung problemlos verwendet werden, während in einer Verfügung, die auf den entsprechenden Gesetzesartikel Bezug nimmt, der dort verwendete Ausdruck Fussgängerstreifen beibehalten werden muss.
Das Gleiche gilt für Fahrausweis: Während dieser Ausdruck in der Umgangssprache für ‹Fahrerlaubnis› verbreitet ist, muss in der Gesetzgebung für diese Bedeutung Führerausweis beibehalten werden; Fahrausweis bedeutet dort ‹Fahrkarte›.“ Alles klar? Ich würde dann doch lieber alle Zebras gelb anmalen, als mir die Sprache so kaputtmachen zu lassen.
Zugabe:
Der Fußgängerstreifen ist nicht das einzige Opfer der Schweizer Sprachpolizei. Aus „Vater“ oder „Mutter“ soll beispielsweise „das Elter“ werden. Eine herrlich dämliche Liste hat die Bundeskanzlei in ihrem Leitfaden veröffentlicht:
statt Anfängerkurs
besser Grundkurs, Einstiegskurs, Kurs für Anfängerinnen und Anfänger
statt Arztpraxis (falls Gemeinschaftspraxis oder Praxis einer Ärztin)
besser Gemeinschaftspraxis, Praxis für … (z. B. Allgemeinmedizin)
statt Benutzerhandbuch
besser Bedienungshandbuch, Bedienungsanleitung, Manual, Benutzungshandbuch
statt Benutzerschulung
besser Benutzungsschulung
statt Besucherparkplatz
besser Gästeparkplatz; Gäste, nur für Gäste, nur für Kundschaft (für Beschilderungen)
statt Buchhalterdiplom
besser Buchhaltungsdiplom
statt Fussgängerzone
besser autofreie Zone, Flanierzone, Promenade
statt Kaminfegerdienst
besser Kaminfegedienst
statt Kundenberatung
besser Kundschaftsberatung
statt Lehrerzimmer
besser Pausenzimmer, Pausenraum, Teamzimmer, Vorbereitungszimmer
statt leserfreundlich
besser lesefreundlich
statt Mitarbeitergespräch
besser Qualifikationsgespräch, Personalentwicklungsgespräch, Beurteilungsgespräch
statt Patientenzimmer
besser Wartezimmer oder Behandlungszimmer (je nach Funktion)
statt Fussgängerstreifen
besser Zebrastreifen
statt Führerausweis
besser Fahrausweis
Dies ist nur ein kleiner Ausschnitt. Daß es nicht nur um den Austausch einzelner Wörter geht, wird mit dieser Formulierungsvorschrift deutlich:
nicht: die Frau betreut die Kinder, und der Mann geht einer Erwerbsarbeit nach
sondern: die Eltern kümmern sich gemeinsam um die Kinder und sind beide erwerbstätig