Vor einigen Tagen wurde US-Präsident Obama gefragt, was er von der (vergleichsweise „bescheidenen“) 9-Millionen-Dollar-Bonus-Zahlung an den Goldman-Sachs-Vorstandsvorsitzenden Lloyd Blankfein halte. Obama gab, wohl auch des großen Einflusses von Blankfein eingedenk, eine sybillinische Antwort. Er bezeichnete ihn nämlich als „savvy“, was im Deutschen sowohl „schlau“ oder „geschickt“ als auch „gewieft“ (diese Bedeutung war wohl gemeint) oder „gerissen“ heißen kann und beeilte sich hinzuzufügen, daß die Amerikaner keinen Neid gegenüber Menschen empfänden, die für „Erfolge“ honoriert würden.
Dean Baker, Co-Direktor des Londoner Center for Economic and Policy Research, spekulierte in einem Kommentar für den britischen Guardian darüber, was genau in diesem Zusammenhang als „gewieft“ bezeichnet werden könnte. Diese Charakterisierung „verdiente“ sich die „Goldman-Gang“ möglicherweise mit dem Kauf von Hypotheken für Hunderte Milliarden von Dollar, die sie in hypothekarisch gesicherte Wertpapiere verpackte – das sind durch einen Pool von Hypotheken besicherte Wertpapiere –, um sie dann in der ganzen Welt zu verkaufen, mutmaßt Baker. Dieser „deal“ spülte Abermilliarden an Dollar in die Kassen der „gewieften“ „Goldmänner“ und anderer Finanzdienstleister.
Finanzielle Zeitbomben
Heute wissen wir, welche finanziellen Zeitbomben in diesen Anlagebündeln tickten: Eine hohe Zahl der (Hypotheken-)Kredite, die hier „verpackt“ worden waren, wurden von Banken, sagen wir es vorsichtig, auf der Basis einseitiger oder „frisierter“ Datenerhebungen gewährt. Bei vielen Kreditnehmern stand von vornherein fest, daß sie niemals in der Lage sein würden, ihre Kredite zurückzuzahlen. All dies bereitete GS und anderen Finanzdienstleistern keinerlei Kopfzerbrechen; es interessierte sie schlicht nicht, ob die Kredite in ihren Anlagebündeln, in denen sich Tausende von Einzelhypotheken befanden, nicht „koscher“ sein könnten, wie es Dean Baker ausdrückte. Sie verrichteten ja, wie GS-„CEO“ Blankfein einmal hervorhob, „Gottes Werk“.
„Schund“ gewieft abgesichert
Es mußte ihnen auch keinerlei Kopfzerbrechen bereiten, denn GS klopfte unter anderem beim US-Versicherungsgiganten AIG an – dessen Existenz mit dem Ausbruch der Finanzkrise auf der Kippe stand (Stichwort AIG-Skandal) – und handelte mit diesem aus, die von GS ausgegebenen Wertpapiere mit einem „Credit default swap“ (CDS) zu besichern. Als CDS wird ein außerbörsliches Kreditderivat zum Handeln von Ausfallrisiken von Krediten, Anleihen oder Schuldnernamen bezeichnet. Der Sicherungsnehmer zahlt dafür eine Gebühr.
Der Sicherungsgeber zahlt einen Ausgleich, falls der im CDS-Vertrag genannte Referenzschuldner ausfallen sollte. Mit anderen Worten: Die „Goldmänner“ hatten mit diesem Schritt schon einmal vorgesorgt, und zwar in vollem Bewußtsein, daß die eigenen Finanzprodukte „garbage“ („Schund“) sind, wie es Baker ausgedrückt hat. Genau dieses, um es erneut vorsichtig zu sagen, mehr als zweifelhafte Gebahren, so rundet Baker seine Gedanken ab, werde jetzt als „gewieft“ bezeichnet.
Die Krankheit, die zur Epidemie wurde
Verweilen wir noch ein wenig beim CDS, weil es das Instrument war, das die Finanzkrise maßgeblich mit ausgelöst hat oder – wie es in einem Hintergrundbericht des NZZ-Folio (01/2009), dem monatlich erscheinenden Magazin der Neuen Züricher Zeitung, hieß – aus „der Krankheit eine Epidemie“ gemacht hat. Eigentlich war der CDS, 1997 von einer Arbeitsgruppe um Blythe Masters bei JP Morgan Chase & Co. entwickelt, als Versicherung gedacht. JP Morgan machte diese Absicherung des Ausfallrisikos einer Forderung in Form eines eigenständigen Wertpapiers dann handelsfähig.
Mehr und mehr mutierte dieses Instrument im Laufe der Zeit aber zu etwas völlig anderem, nämlich zu einer „Wette“, wie es Gregg Berman, Leiter des Risikomanagements bei der New Yorker Beratungsgesellschaft Riskmetrics, ausdrückte. Auf die Frage „Hörten die CDS also irgendwann auf, Versicherungen zu sein?“, antwortete er: „Oh ja, es waren absolut keine Versicherungen mehr.“
„Und wurden stattdessen zu einer Art Glücksspiel?“
„Na ja, an den Finanzmärkten ist die Trennlinie zwischen Geldanlage und Spekulation oder Glücksspiel noch nie besonders scharf gewesen. Aber in gewissem Sinn: Ja.“
Finanzielle Massenvernichtungswaffe
Um hier eine Vorstellung über die Größenordnung der CDS zu geben: Lag der Bestand an CDS?s 2004 bei unter 10 Billionen Dollar, wuchs er im zweiten Halbjahr 2007 auf unvorstellbare 60 Billionen Dollar an und liegt heute bei ca. 50 Billionen Dollar. Ob die Änderungen der CDS-Handelsusancen im Jahre 2009 in Zukunft gegen weitere „Glücksspiele“ absichern, ist eine gute, mit Blick auf die internationalen Finanzmärkte möglicherweise entscheidende Frage. Nicht von ungefähr wurde der CDS vom US-Milliardär Warren Buffett einmal als „finanzielle Massenvernichtungswaffe“ bezeichnet.