Was sagt das Verhalten von Wolfgang Schäuble gegenüber seinem Pressesprecher Michael Offer über die Umgangsformen der politischen Klasse aus? Man muß Offers Brüskierung durch Schäuble bei Youtube verfolgen, um zu sehen, mit was für einem regelrechten Sadismus Schäuble agierte. Womöglich kein Einzelfall: „Das war ein typischer Schäuble“, zitiert die Welt einen Bundestagsabgeordneten der Union.
JF-Autor Thorsten Hinz schrieb einmal davon, wie er in der Komischen Opfer in Berlin Schäuble sah, nach Hinz „einer der wenigen Köpfe in der politischen Klasse“. Er habe auf Hinz „noch viel düsterer als im Fernsehen“ gewirkt, „wie einer, der seine Umwelt mit boshafter Schärfe und milder Herablassung betrachtet, der für sich behält, was er sieht und sich dabei denkt.“
Schäuble kenne „die innere Schwäche des Landes, die Manipulierbarkeit der Leute, die Dummheit, die Indoktrination und den Konformismus der meisten seiner Kollegen, aber auch deren Ohnmacht angesichts überwältigender Interessenszusammenhänge und Machtstrukturen.“ Wahrscheinlich halte er daher „eine schiedlich-friedliche Verständigung auf einer Islam-Konferenz für das überhaupt noch erreichbare Maximum.“
Alltäglicher Zynismus des Parteienbetriebs
Der liberale Publizist André F. Lichtschlag fragte später auf der Internetseite von eigentümlich frei, ob diese Analyse nicht auch zu Äußerungen Schäubles zur Steuerpolitik paßt. In einem „denkwürdigen FAZ-Interview“ (Lichtschlag) wurde Schäuble darauf angesprochen, daß es im 16. Jahrhundert den Bauernaufstand gegeben habe, als den Leuten die Hälfte ihres Einkommens abgeknöpft wurde. Schäubles Antwort: „Sie können die Zeiten nicht vergleichen. Was wir heute Staat nennen, waren damals Wegelagerer und Raubritter.“
Weiter fragte die FAZ, warum Schäuble es nicht durch eine Verringerung der Steuerlast ermöglicht, daß die Deutschen ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen. Schäuble deutet daraufhin an, daß er nur aus Pragmatismus dagegen ist: „Ich würde es ihnen schon zutrauen. Aber die Menschen wollen es nicht. (…) Wenn es konkret wird, wollen die Leute eher mehr als weniger öffentliche Leistungen.“ Lichtschlag fragte nun, ob es sich bei solchen Äußerungen denn um „Zynismus eines Wegelagerers oder Ohnmacht angesichts der Interessenszusammenhänge“ handele.
Es ist wohl ein wenig von beidem, denn das eine ist die Folge des anderen! Doch dank dieses Merkelschen Pragmatismus-Zynismus, der auch die grauenhaftesten politischen Zumutungen noch mit den „Interessenzusammenhängen“ rechtfertigt, droht Deutschland die demographische, finanzielle und gesellschaftliche Katastrophe. Dieser radikale Pragmatismus Schäubles paßt auch zu seinen jüngsten Äußerungen über Konservatismus. „Wir leben nicht mehr in den 50ern“, sagte Schäuble der Bild am Sonntag.
Und weiter: „Wer das bestreitet und fordert, die Union müsse zurück zu konservativen Werten, der hat nicht begriffen, wie Politik funktioniert“. Wie „Politik funktioniert“, das zeigte uns Schäuble nun augenscheinlich bei der Vorführung seines Pressesprechers: Er hat den alltäglichen Zynismus des Parteienbetriebs offenbar verinnerlicht. Daß er anscheinend „fertig mit der Welt“ ist, mag angesichts der Zustände verständlich sein, doch hier ließ er dies an jemandem aus, der es so nicht verdient hatte.
Demütigung wird auch von den Opfern nicht mehr bemerkt
Aber solche Umgangsformen hat nicht nur der Bundesfinanzminister. Daß einige Politiker nun Schäuble kritisieren, ist dreiste Heuchelei. Denn wo war denn die Empörung dieser Politiker über den Umgang mit Martin Hohmann, Eva Herman oder Thilo Sarrazin? Wo ist die Empörung der Journalisten über die ständigen Bloßstellungen durch den Boulevardjournalismus? Und warum schweigt sich die Presse aktuell wohl darüber aus, daß einige Journalisten bei der Düpierung von Michael Offer auch noch dümmlich lachten? Ob unter den lachenden Journalisten wohl auch einige besonders noble und intellektuelle „Qualitätsjournalisten“ waren?
Der ganze Vorgang war typisch für die generelle charakterliche Grundtendenz der politisch-medialen Klasse: pampig, rücksichtslos, zynisch. Wenn einzelne Bürger dies dann so aussprechen, werden Politiker und Journalisten zur beleidigten Leberwurst und schimpfen über „Populismus“ und „Gehässigkeit“. Und wenn es dann bei den Sonntagsfragen bergab geht, wird sich in dazugehörigen Sonntagsreden über gewalthaltige Computerspiele, über Bushido und Dieter Bohlen empört. Dabei blicken die „Eliten“, sofern man sie als solche bezeichnen kann, nur in den Spiegel. Und das Volk tut es gleichfalls, wenn es über die „Arroganz der Macht“ schimpft.
Daß solche Umgangsformen wie die von Schäuble nun in der Tat auch anderswo häufig auftreten – sei es am Arbeitsplatz, in Familien oder in der Schule – macht es nicht besser. Doch weil wir in Zeiten des Niedergangs von Stolz und Ehre leben, wird Demütigung auch von den Opfern oft gar nicht mehr bemerkt und als solche empfunden: „Demütigung beschleicht die Stolzen oft“ (Goethe). Ich freue mich, daß Michael Offer mit seinem Rücktritt gezeigt hat, daß er beschlichen wurde.