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Das Stadtschloß und die Wohnmaschine

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Der Bau des Berliner Stadtschlosses wurde verschoben, einige sagen gar: beerdigt. Mancher hofft stoisch weiter, während andere sich in Trauer üben. Im Feuilleton der Tages- und Wochenzeitungen werden alte Pro- und Contra-Argumente wieder aufgekocht, ehemalige Befürworter – wie Florian Illies in der Zeit – wechseln zu den Gegnern, die meisten aber halten wie immer still. Polit-historische Argumente pro oder contra Schloß scheinen wirkungslos, zumal es ohnehin „nur“ um Fassaden geht.

Eine Ausnahme bildete der Filmregisseur Hans-Jürgen Syberberg. Dem war es Ernst mit dem preußischen Erbe, der wollte das Schloß „von innen heraus“ wiedererrichten: eine Stätte der Erinnerung schaffen, für ein virtuelles Preußen. Die Fassade stand ihm erst an zweiter Stelle. Daß deren Rekonstruktion laut Illies in den 1990ern noch richtig war, 2010 aber falsch sei, das ist mit Rücksichtnahme auf die aktuelle Wirtschaftsmisere nur vordergründig erklärt.

Nein, das Schloß erscheint vielen Zeitgenossen als „gestrig“, weil der Zug in Sachen Stadtgestaltung längst abgefahren und der Traum vom „anderen Anfang“ ausgeträumt ist.

Die funktionalistische Architektur hat gewonnen

Ein Beispiel ist der Potsdamer Platz: Was für Hoffnungen haben Intellektuelle wie Laszlo Földenyi in dessen Wiederbebauung gesetzt! Jetzt ist er zum Geschäfts-, Büro- und Shopping-Center mutiert. Auch in Mitte kam das Gesetz der Planierraupe zur Anwendung. Vorbei die jungen Jahre der Berliner Republik, als sich die Schloßfassade noch mit deren „Schönheit“ begründen ließ. Statt dessen hat die funktionalistische Architektur (mal wieder) gewonnen.

Im Grunde spiegelt der Streit ums Stadtschloß den Jahrhundertkrieg um die ästhetische Moderne: Die wurde und wird in breiten Bevölkerungsschichten nicht akzeptiert. Das Repertoire der Opernhäuser entstammt dem 19. Jahrhundert, neuere Musik sorgt für leere Plätze. Literatur hat Bestseller-Chancen nur, wenn sie auf ältere Erzähltechniken zurückgreift. Gleiches gilt für Film und (Regie-) Theater. Lediglich die Malerei kann modernistisch und populär zugleich sein.

Mag diese Nichtakzeptanz im Kunstbereich harmlos wirken – man muß nicht moderne Musik, moderne Literatur und Filme konsumieren –, in der Architektur ist die Lage existentiell. In ihr lebt man, ihr kann man nicht ausweichen. Wie würden sich zum Beispiel die Einwohner von Berlin und Paris heute fühlen, hätte man die Empfehlungen des Avantgardisten Le Corbusier umgesetzt?

Revolution gegen die gesamte moderne Zivilisation

Der forderte einen Totalabriß beider Innenstädte, um dort Riesenareale von „Wohnmaschinen” (Wolf J. Siedler) zu errichten: Zementhochhäuser, nur durch Autobahnen getrennt. Wahrscheinlich trieben diese grauen Mondlandschaften die  Selbstmordrate auf Rekordhöhe. Aber Le Corbusier bot nur die Radikalvariante einer Architektur, die „überflüssige“ Schönheit zugunsten von Funktionalität und „Pragmatismus“ liquidiert. Das gilt für häßliche Zementbauten der 1960er und 1970er Jahre wie den Glasbau für gläserne Bewohner.

Aber das „Nutzlos-Schöne“ ist unerläßlich zur Entfaltung des Lebendigen: Die Natur selbst macht solche Verschwendung vor. Deshalb wählt die Bevölkerung, sobald Neubau und Restauration alternieren, den Erhalt des Alten. Dafür beschimpft die Fachwelt sie als ignorant. Kurzum, die zeitgenössische  Architektur hat es nicht geschafft, daß Zeitgenossen sie als „schön“ erleben. Wenn sie aber die funktionalistische  Gegenwart (samt ihrer heimlichen Neuzeit-Müdigkeit) zum Ausdruck bringt, dann ist deren Ablehnung letztlich eine Revolte gegen die gesamte moderne Zivilisation – mag das dem Einzelnen bewußt sein oder nicht.

 

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