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Das Mädchen Rosenstengel

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„Kreuz und queer“ lautet der Titel eines Hörspiels über die „Prophetin und lesbische Soldatin Anastasius Lagrantinus Rosenstengel“, die eigentlich Catharina Linck hieß, aus Glaucha (heute ein Stadtteil von Halle) stammte und sich Ende des 17., Anfang des 18. Jahrhunderts durch ihr „kurzes und abenteuerliches Leben“ trieb – meist in Männerkleidung und mit einem selbstgebastelten Lederpenis ausgerüstet.

Der Pressetext des WDR, der die Sendung von Lorenz Schröter am 24. August um 20.05 Uhr auf WDR 5 ausstrahlt, soll ein Loblied auf eine widerständige, um ihre sexuelle Freiheit ringende Frau sein, eine frühe Vorkämpferin der Schwulen- und Lesbenbewegung, hinterläßt aber einen zwiespältigen Eindruck: „Soldat für die eine oder andere Seite“ war sie, und „wurde es gefährlich, desertierte sie“.

Um sich „durchzuschnorren“, wechselte sie „öfter“ das Glaubensbekenntnis, und es gelang ihr sogar, eine junge Frau zu heiraten, bis sie von ihrer Schwiegermutter entlarvt wurde und unter dem Schwert des Henkers endete.

Juristisch saubere Arbeit

So ulkig wie traurig wirkt das Hörspiel, das hauptsächlich aus der Verlesung von Gerichtsakten, den Fragen des Inquisitors und den Geständnissen der Inquisitin besteht; als vorbildlich muß deren Anarcho-Individualismus zwar nicht angesehen werden (wobei mich nicht die sexuelle Neigung, sondern das unbekümmerte Jedem-Herren-Dienen stört), aber auch nicht unbedingt als „sündhaft“ – obwohl der Inquisition in diesem Fall zuzugestehen ist, daß sie juristisch eine saubere Arbeit machte, um Klärung bemüht war, sorgsam abwog, ob weibliche „Sodomie“ beziehungsweise Homosexualität überhaupt möglich sein könne und auf eine relativ milde Strafe erkannte, die erst nach Intervention des preußischen Königs verschärft wurde.

Seine Ausgefuchstheit macht dieses verwegene Mädel, das sich „Rosenstengel“ nannte und vor Gericht argumentierte, daß Frauen zwar keine Männerkleider tragen dürften, dies aber nicht für Jungfrauen gelte, sogar ziemlich sympathisch, aber das – für jene Epoche des geistigen Umbruchs so charakteristische – „Abenteurertum“ der alles andere als unerschrockenen Kämpferin bestand in ständiger Flucht und Davonlaufen. Sie war ein armes, geplagtes, verhetztes Mädchen.

Private religiöse Erfahrung gegen die Macht aller Normen

Selbstverständlich war sie auch keine „Prophetin“, sondern von einer inbrünstigen, für die Frauenmystik typischen Leidenschaft besessen, die in der pietistischen Schwärmerei ihrer Zeit einen religiösen und damit halbwegs vermittelbaren Ausdruck fand; zudem fühlte sie sich als gesellschaftlicher Paria fast naturgemäß zu den sektiererischen Kreisen hingezogen, die ihr Gehör und Aufnahme schenkten.

Der Drang, die eigene Sexualität, und der unbedingte Wille, eine private religiöse Erfahrung gegen die Macht aller Normen und Institutionen auszuleben oder zu artikulieren, korrespondierten miteinander, vermischten sich, bedingten sich zuweilen, ohne daß letzterer freudianisch aus ersterem hergeleitet werden muß (auch wenn der Pietismus eine solche Deutung oft nahelegt).

Eine Bewertung dieser Wege und Irrwege aus einer Perspektive jenseits von moralischem Dogmatismus einerseits, Genderismus und „Queer-Studies“ andererseits, ist nicht so leicht, wie es sich die meisten machen; und mancher Konservative muß sich überlegen, warum er womöglich dazu neigt, die Verurteilung der „lesbischen Soldatin“ durch die damalige Obrigkeit tendenziell zu rechtfertigen, gleichzeitig aber heutige muslimische Drohungen gegen Homosexuelle als Herausforderung unseres Wertekanons zu verurteilen.

Zurückdrängen des jeweils stärksten Extremismus

Mit einigem Recht kann der muslimische Fundamentalismus darauf verweisen, daß er nur die Ordnung wiederherstellen möchte, die das Christentum nicht mehr hat behaupten können.

Gegen die sich dadurch eventuell abzeichnenden Allianzen hilft der Rekurs auf ein strukturelles „konservatives Minimum“ (Karlheinz Weißmann), das nicht in der Parteinahme für eine Ideologie, sondern im Zurückdrängen des jeweils stärksten Extremismus und der Förderung der durch diesen bedrohten Existenzformen bestehen sollte:

So ist das Recht auf die eigene sexuelle Orientierung gegen religiös aufgeladenen Moralismus – einst und jetzt – zu verteidigen, die totale Sexualisierung der Gesellschaft sowie die Behauptung, jede Form von Sexualität sei gleichwertig, aber zu kritisieren.

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