Neurotiker haben so ihre Probleme mit Akten der Selbstbejahung. Daß unsere Nationalneurotiker sich schwer tun würden mit einem Einheits- und Freiheitsdenkmal, das ein positives gemeinschaftliches Selbstbekenntnis zum Ausdruck bringen soll, war von daher absehbar. Kultur-Staatsminister Bernd Neumann(CDU) hat jetzt die Kapitulation der politischen Klasse vor der Aufgabe, ein Volksdenkmal zu schaffen, offiziell bekanntgegeben.
Das Denkmal auf dem Berliner Schloßplatz hätte ein wichtiges geschichtspolitisches Signal werden können. Ein Ort, an dem die Deutschen auf der Grundlage ihrer nationalfreiheitlichen Traditionen ein positives Geschichtsbild finden, das ein Gefühl der Zusammengehörigkeit, der nationalen Identität und Selbstbehauptung stiftet und den katastrophenfixierten Schuldkult überwindet. Daraus wird wohl erst mal nichts.
„Zu komplex“, dekretiert der Kultur-Staatsminister, sei das Ausschreibungskonzept des ersten Wettbewerbs gewesen, zu dem immerhin 532 Entwürfe eingereicht worden waren. Die meisten davon haben die Juroren als „naiv“, „beschämend“ oder gar „verheerend“ abgetan. Neumann kündigt jetzt einen neuen Wettbewerb an, der gegenüber dem ersten gleich zweifach kastriert wird: Der Traditionsstrang zur bürgerlichen Revolution von 1848 wird gekappt, es soll nur noch um Mauerfall und Wiedervereinigung gehen; und die Teilnahme wird von vornherein auf ausdrücklich eingeladene und handverlesene „interessierte Fachleute“ beschränkt. Wäre ja auch noch schöner, wenn bei einem Thema, das alle Deutschen angeht, auch noch alle mitreden dürften.
Verzicht auf historische Traditionslinien
Der Verzicht auf historische Traditionslinien paßt natürlich zu einer politischen Klasse, in deren beschränktem Bewußtsein „Deutschland“ erst mit dem Grundgesetz 1949 „gegründet“ worden ist. Wer so denkt, für den haben auch die Freiheitskriege und die Revolution von 1848 auf einem anderen Planeten stattgefunden.
Was aber ist so „komplex“ an der Aufgabe, eine Linie von der Einheits- und Freiheitsbewegung von 1815, 1832 und 1848 zur Einheits- und Freiheitsbewegung des 17. Juni 1953 und von 1989 zu ziehen? Etwa, daß das Volk, der Lümmel, damals wie heute der Obrigkeit Beine gemacht hat? Daß folglich das Volk als handelndes Subjekt, samt der schwarz-rot-goldenen Fahne, unter der es sich an all diesen Wegmarken unserer republikanischen Geschichte gesammelt hat, im Mittelpunkt eines solchen Denkmals stehen muß?
Volk und Fahne hochleben lassen, das ist allerdings Autobahn und geht gar nicht, hören wir die Gouvernanten tuscheln und mahnen. Die schlimme Zeit, Sie wissen schon, das kann man doch nicht einfach mal beiseite lassen. Ja, wenn es um ein neues Denkmal der deutschen Schande ginge, da hätten wir längst alles eingetütet. Aber wo es nichts zu schämen gibt, bleiben wir lieber abstrakt und auf der sicheren Seite. Selbst wenn am Ende kaum mehr übrigbleibt als eine Frittenbude mit Luftballons, so wie beim Staatsfest zum 60. Geburtstag des Grundgesetzes. Komplex sind an der Aufgabe, ein Einheits- und Freiheitsdenkmal der Deutschen zu realisieren, offenbar vor allem die Komplexe der Realisierer.