Der Europäische Gerichtshof hat diese Woche entschieden, daß Kruzifixe in Klassenzimmern öffentlicher Schulen einen Verstoß gegen die Europäische Menschenrechtskonvention darstellen. Denn solche religiösen Symbole schränkten Eltern in ihrem Recht ein, Kinder nach ihren eigenen Überzeugungen zu erziehen.
Geklagt hatte eine seit Jahrzehnten in Italien lebende Finnin mit italienischer Staatsbürgerschaft. Der bekennenden Atheistin waren die vielen Kruzifixe in ihrer neuen katholischen Heimat zuviel geworden. „In Italien drängt Katholizismus durch alle Fenster und Türen. Manchmal ist es sehr schwierig, hierzulande Atheist zu sein“, sagte Soile Lautsi in einem Interview mit der finnischen Tageszeitung Helsingin Sanomat.
Warum wird sie von einem Kruzifix verunsichert?
Nun, daß es ab und zu hart sein kann, wenn man in der Minderheit ist (wenn Atheisten heutzutage als solche gesehen werden können), mag stimmen. Aber wenn Frau Lautsi von ihrer eigenen Weltanschauung so überzeugt ist, fragt sich, warum sie sich dann von einem Kruzifix derart verunsichern läßt. Damit verleiht sie doch einem Symbol, an das sie nicht glaubt, sehr hohe Bedeutung.
Außerdem hat es durchaus etwas Positives, in der Minderheit zu sein: Denn in den allermeisten Fälle verstärkt diese Position sogar die eigene Überzeugung. Vor allem dann, wenn man sich ständig in der Verteidigung befindet. Denn die Abgrenzung von den anderen hilft bei der Selbstdefinition.
Doch der Europäische Gerichtshof und die EU mit ihren Antidiskriminierungsgesetzen sehen das anders: In der Minderheit zu leben, bedeutet für sie bereits eine Benachteiligung an sich. Zumindest darf keine Weltanschauung über die anderen gestellt und Kinder womöglich bereits in Klassenzimmern indoktriniert werden.
So etwas wie Werteneutralität gibt es aber nicht
Was sie und Menschen wie Frau Lautsi allerdings vergessen, ist, daß es so etwas wie Werteneutralität nicht gibt – auch dann nicht, wenn alle Kruzifixe aus allen öffentlichen Gebäuden verschwunden sind.
Denn die entstandene Leere wird dann mit etwas anderem gefüllt: mit politischen Ideen oder Symbolik anderer Religionen. In den Klassenzimmern werden dann womöglich Buddhastatuen aufgestellt, anthroposophische Bräuche eingeführt, Tische nach Feng Shui ausgerichtet oder Humanismus und Demokratie als einzig wahrer Gott deklariert.
Dann wären Christen allerdings offiziell in der Minderheit. Würde der Europäische Gerichtshof ihnen dann zur Seite stehen?
Was Frau Lautsi angeht: Niemand hat sie gezwungen, in ein erzkatholisches Land zu ziehen, dort länger zu leben und sogar dessen Staatsbürgerschaft anzunehmen. Liberal hätte sie auch zuhause in Finnland sein können. Nun zahlen die Italiener mit einem Verlust ihrer Tradition dafür.