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Immaterielle Heimat

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In seinem Essay „Was ist Heimweh?“ erklärte Frank Lisson den „Heimat“-Begriff für kulturgeschichtlich obsolet. Tatsächlich scheint er aus dem Gegenwartsdiskurs noch radikaler gestrichen als die Begriffe „Seele“ oder „Erlösung“. Zumindest in seiner geographischen Bedeutungen, auf eine Ortschaft bezogen. Die mit „Heimat“ verknüpften Emotionen – Geborgenheit, bedingungsloses Angenommensein – stehen unter Regressionsverdacht. Weshalb sie freilich nicht verschwinden. Sie suchen sich neue Kanäle, neue Symbole der Erfüllung.

Und siehe da – plötzlich taucht das alte Wort „Heimat“ wieder auf. Bereits bei Ernst Bloch meinte „Heimat“ die ganze Welt. Aber nicht die gegenwärtige, sondern eine zukünftige. Heimat, so der Utopist im „Prinzip Hoffnung“ (1947), müsse erst noch geschaffen werden. Trotz dieser Globalisierung des „Heimat“-Begriffes, seiner Ausweitung auf die gesamte Welt, bleibt er räumlich fixierbar: Man kann nach einem „Wo?“ fragen.

Kurzzeitige Wärme-Oasen

Jedoch ist die real „globalisierte“ Welt alles andere als heimatlich. Dahin gehende Sehnsüchte müssen jetzt in völlige „Raumlosigkeit“ ausweichen. Beispielsweise in der Drogenerfahrung: Beschreibungen von Junkies über die Gefühle des Geborgen- und unbedingten Angenommenseins im Heroinrausch erinnern nicht nur an vergangene Heimat-Definitionen, sondern werden seitens der Psychologie gleichsam als regressiv verdonnert. Ein Zusammenhang, den auch der Künstler Stefan Strumbel erkannte. Der verriet der Freiburger Zeitschrift „Fudder“ über seine Bilderserie „Heimatdroge“: „Die nennt sich ,Heimatdroge‘, weil ich der Meinung bin, daß Heimat die stärkste Droge der Welt ist.
Jeder von uns strebt danach und ist ein Junkie. Ich habe die typischen Trachtenfrauen gemalt, die sich Kokain ziehen, die sich Heimat spritzen.“

Dahinter steht die Erkenntnis: „Heimat ist eigentlich die Beziehung zwischen Mensch und Raum, unabhängig von Ort und Zeit. Ein Ort, an dem man sich wohlfühlt.“ Der kann folglich überall sein, kann toxisch geschaffen werden. So entstehen in der Eishölle „Welt“ kurzzeitige Wärme-Oasen, sprich: „Heimat-Orte“.

Rückkehr zu einem Ursprünglichen

Selbst in der Mode-Branche hat sich der Heimatbegriff etabliert. Die neue Berliner Bekleidungsmarke „wertvoll“ wirbt: „Wir wollen dem schnellebigen Mode-Konsum mit ‘wertvoll’ Nachhaltigkeit, Dauer und Heimat entgegensetzen.“ Schnellebigkeit, Flexibilität, die einem auch das Vergängliche, Verschwindende schmerzhaft erkennen läßt, soll durch Bleibendes gebremst werden. Heimat ist hier das Unvergängliche, das man auf seinem Körper trägt. Egal, wohin man wieder mal versetzt wird.

Vielleicht ist dieses flexible Heimatgefühl auch Rückkehr zu einem Ursprünglichen, das noch tiefer liegt als dessen Projektion auf eine Ortschaft: So schrieb schon Novalis, daß jede Philosophie eigentlich „nur Heimweh“ sei; die dem Wunsch entspringe, „überall zuhause zu sein“.  

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