Was nach Schlingerkurs und Selbstaufgabe aussieht, ist knallhartes Kalkül der SPD-Spitze. Frank-Walter Steinmeier kämpft um die Stimmen in der Mitte („Wir dürfen die Mitte der Gesellschaft nicht räumen. Und das werden wir auch nicht. Dafür stehe ich!“), um später mit Linken und Grünen eine Volksfrontregierung bilden zu können.
Eindrücke vom SPD-Parteitag: Nachdem es eine Weile so aussah, als würde die SPD einen harten Wahlkampf führen, hat sie sich für einen Kuschelkurs entschieden. Anders kann die Rede von Frank-Walter Steinmeier auf dem SPD-Programm-Parteitag und das zeitgleiche Spiegel-Interview seines Stellvertreters Peer Steinbrück („Gekläffe kommt nicht an“) nicht interpretiert werden.
Steinmeier sprach in seiner 66minütigen Rede nicht ein einziges Mal vom „Baron aus Bayern“, übte nur sehr maßvolle Kritik an der Kanzlerin, die er überhaupt nur dreimal erwähnte, und wirkte auch sonst weniger beherzt, als er hätte sein können. Er brauchte geschlagene vierzig Minuten, bis er zum ersten Mal sagte: „Ich will Kanzler werden.“ Die Partei hätte klarere Worte erwartet. Nur einmal gab es spontanen Applaus, der über das übliche Pflichtklatschen deutlich hinausging, als Steinmeier sagte: „Schwarz-Gelb darf keine Mehrheit erhalten, weil die Ideologie, die uns in die Krise geführt hat, sicherlich nicht die Antwort auf die Krise sein kann.“ Er verzichtete aber auf andere Angriffe.
Kaum Zeit für die Familie
Das Wort „Familie“ kam nur zweimal in seiner Rede vor. Er redete nicht ein einziges Mal übers Sparen, übers Maßhalten. Dafür aber viel übers Geldausgeben. Überraschenderweise sagte er nichts über sein Ressort, die Außenpolitik. Dafür kam er mit einer Neuigkeit heraus, der Forderung nach einer Frauenquote bei Vorstandsposten in Großkonzernen. Darauf hat die Welt wirklich gewartet: noch mehr Frauenquoten! Steinmeier hätte gut daran getan, an eben diesem Sonntagmorgen „Weckup“ auf „Sat1“ einzuschalten, wo sein früherer Genosse Wolfgang Clement mit der deutschen Parteiendemokratie abgerechnet hat.
Der Ex-Wirtschaftsminister hat dort die Quoten bei der Vergabe von politischen Ämtern in Deutschland gegeißelt. Bei der Listenaufstellung in der SPD ginge es nur noch um „ein Mann, eine Frau“, während die Qualifikation keine Rolle mehr spiele. Und dieses feministische Spielchen will Frank-Walter Steinmeier nun auch noch privaten Firmen aufdrücken!
Er hat sich nicht verhaspelt, er hat nicht gestottert wie Edmund Stoiber, er hat keine unlogischen Bandwurmsätze wie Angela Merkel gebildet, sondern eine solide Rede eines sozialdemokratischen Kanzlerkandidaten gehalten. Aber richtige Begeisterung hat er nicht ausgelöst. Das liegt an Steinmeier selbst, der weder Temperament besitzt noch ein guter Geschichtenerzähler ist.
Fragende Blicke
In der Rede sprach er von „einem jungen Mädchen aus deutsch-türkischem Elternhaus“ aus Mainz, das es erst auf der Schule nicht geschafft hat, dann aber doch. Jetzt studiert es an einer Universität. So wie Steinmeier diese Geschichte vortrug, merkte jeder, daß er sie gerade ausgedacht hat. Er erntet nur fragende Blicke, aber keinen Applaus.
Fazit: Erstens weiß die SPD, daß sie die Wahl nicht gewinnen wird. Jedenfalls nicht so turmhoch, daß Steinmeier Kanzler in einer Großen Koalition wird oder eine rot-grüne Regierung bilden kann. Davon gehen die SPD-Bosse nach der Europawahl aus. Also geht es ihnen jetzt darum, möglichst viele bürgerliche Wähler ins Boot zu holen, damit Schwarzgelb am Ende keine Mehrheit hat.
Zweitens: Steinmeier hat von linken Mehrheiten gesprochen. Er sagte, es werde Mehrheiten geben für mehr staatlichen Interventionismus, für Kündigungsschutz, gegen die sogenannte Zweiklassen-Medizin, für den Atomausstieg und für noch mehr Bildungsausgaben. Die Linkspartei hat er nicht explizit erwähnt.
Die Volksfront rückt näher
Braucht er auch nicht. Jeder weiß, daß sie in diesen Punkten auf der SPD-Linie liegt. Eine mögliche Linksregierung hat er nicht angesprochen, so wie er überhaupt nicht über die Machtkonstellation nach dem 27. September gesprochen hat. Aber er hat gesagt, daß es entsprechende Mehrheiten geben würde.
Dafür hat er dann doch Applaus bekommen. Das war nämlich am Ende seiner Rede. Kurz darauf spendeten die Genossen 10 Minuten und 26 Sekunden Beifall. Die Volksfront rückt näher.