Südamerika ist beliebt bei politischen Exilanten aus Deutschland, die nach dem Zusammenbruch ihrer jeweiligen totalitären Regime Zuflucht in Übersee suchen. Margot Honecker, Ehefrau und graue Eminenz des Staats- und Parteichefs und mehr als ein Vierteljahrhundert „Volksbildungsministerin“ der DDR, hat 1992, nach kurzem Zwischenaufenthalt beim großen Bruder in Moskau, das Funktionärshäuschen im umzäunten Wandlitz gegen eine ummauerte Residenz in einem Villenvorort von Santiago de Chile eingetauscht.
Dort feierte die inzwischen 82 Jahre alte Dame am 7. Oktober DDR-Geburtstag. Das im Internet kursierende Video ihrer Ansprache im Kreise getreuer Allende-Anhänger, die – wie die derzeitige Staatspräsidentin – während der Pinochet-Regierung Unterschlupf in der DDR gefunden hatten, enthüllt wenig Überraschendes:
Die alte Dame hängt immer noch an ihrem „Arbeiter- und Bauernstaat“, den sie seit seiner Gründung, als Margot Honecker als jüngste Volkskammer-Abgeordnete dem Staatspräsidenten Pieck die „Grüße der Jugend“ übermitteln durfte, praktisch ihr ganzes Erwachsenenleben lang in herausgehobener Stellung mitgetragen hatte.
Rachephantasien gegenüber 82jährigen sind unwürdig
Soll man da wirklich im Medienchor den Kopf schütteln über fehlende „Reue und Einsicht“? Das wäre im Falle einer Margot Honecker doch so offensichtlich geheuchelt und gelogen, daß die Vorstellung, der „lila Drachen“ könnte sich ins Heer der nachtotalitären Wendehälse einreihen, deren es in diesem Land nach 1945 beziehungsweise 1989 ohnehin viel zu viele gegeben hat, noch unbehaglicher ist als mit brüchiger Stimme in chilenischer Genossenrunde intonierte Kampflieder.
Oder soll man sich empören, daß eine Frau, die 26 Jahre für die Indoktrination zahlloser Schülergenerationen verantwortlich zeichnete, heute ungestört Rente vom Klassenfeind bezieht? Rachephantasien gegenüber 82jährigen sind unwürdig.
Das gilt allerdings auch für greise Weltkriegsveteranen und zu „Kriegsverbrechern“ hochstilisierte kleine Mitläufer und nachgeordnete Rädchen in der NS-Maschinerie. Denen sitzen bis heute statt Fernsehreportern Geheimdienste und Sonderermittler im Nacken, selbst wenn die Kluft zwischen inszenierter Aufregung und tatsächlich Vorwerfbarem kaum noch rational zu überbrücken ist.
Fragen muß man sich allerdings schon, warum vor zwanzig Jahren die Versuche, die Köpfe der Diktatur zur Rechenschaft zu ziehen, so halbherzig betrieben und so rasch eingestellt wurden. Über Margot Honeckers Rolle etwa bei Zwangsadoptionen von Kindern, die Regimegegnern weggenommen wurden, hätte man doch gern mehr erfahren.
SED paßte gut ins westdeutsche Parteiensystem
Und die SED, ihre Nachfolgeorganisationen und Ableger zu verbieten, zu zerschlagen und ihr Vermögen einzuziehen wäre allemal sauberer gewesen, als sich jetzt darüber zu echauffieren, daß eine emigrierte Altstalinistin sich über Stimmengewinne der „Linken“ freut.
Wir wissen, warum all das nicht geschah; die SED und ihre Blockflöten paßten eben zu gut ins westdeutsche Parteiensystem, um einfach auf sie verzichten zu können. Und zuviel Enthüllungen über vergangene Kollaboration wollte man lieber auch nicht hören.
Kommt also der Sozialismus wieder, wie Margot Honecker der „Panorama“-Reporterin glaubensfest versichert? Den chilenischen Genossen hat sie ja schon erklärt, warum:
„Man kann damit rechnen, daß es in Deutschland weiter bergab geht, nicht mit der Industrie, sondern mit der Arbeiterklasse, es werden mehr Arbeitslose sein, es werden mehr Abstriche an den sozialen Leistungen gemacht, aber alles das wird man nicht mehr so hinnehmen, die Zeichen stehen jedenfalls gut. Ich bin jedenfalls optimistisch.“
Den Sozialismus in seinem Lauf mögen zwar Ochs und Esel mitunter aufhalten können, die Sozialismusgläubigen nicht. Die rennen weiter in der Hoffnung auf den großen Kladderadatsch und freuen sich über jedes Krisensymptom, weil sie glauben, daß ihre Stunde schlägt, wenn alles nur tief genug in den Graben fährt. Vor lauter Kopfschütteln über die alte Dame in Santiago sollten wir die vielen aktiven (National- und International-)Sozialisten nicht vergessen, die heute noch genauso denken.