Die etwa sechzig Sonn- und Feiertagspredigten, die ein Pfarrer im Jahr gewöhnlich hält, stellen eine große Herausforderung dar, wenn man hierbei ein gewisses Niveau wahren und sich nicht ständig wiederholen möchte.
Wenn man noch die Kasualien wie Taufe, Trauung und Beerdigung hinzurechnet und bedenkt, daß der Pfarrer auch in der Seelsorge und im Religionsunterricht täglich gefordert ist, wird verständlich, daß manche Pfarrer gerne zu fertigen Predigtvorlagen greifen oder sich mit einer schlichten Paraphrasierung des Evangeliums begnügen.
Dennoch ist diese Entwicklung sehr zu bedauern. Wo nur allgemeine Floskeln vorgetragen werden, fehlt sowohl der Biss als auch die persönliche Note, die der Predigt Überzeugungskraft verleiht. Der Niedergang des Glaubens, der seit Jahrzehnten in unserem Land beobachtet werden kann, hängt nicht zuletzt auch mit dem Versagen der Prediger zusammen. Oft wurden klare Darlegungen der kirchlichen Glaubens- und Sittenlehre vermieden. Dazu machten sich auf der Kanzel immer stärker jene inhaltsleeren Aussagen breit, die wir von zahlreichen Politikern kennen.
Die Gläubigen freuten sich auf die Predigt
Doch es geht auch anders. Der vom heiligen Dominikus gegründete Predigerorden (Ordo Praedicatorum =OP) legte zu allen Zeiten großen Wert auf die Auslegung des Wortes Gottes. Der Kapuzinerorden (OFMCap) hielt noch bis in die siebziger Jahre große Volksmissionen ab, bei denen in der Regel die Predigt im Vordergrund stand. Darüber hinaus gab es große Prediger-Persönlichkeiten aus anderen Orden oder aus dem Diözesanklerus. Die Gläubigen freuten sich auf die Predigt, denn sie hatte einen gewissen Unterhaltungswert und man ging danach belehrt, getröstet oder gestärkt nach Hause und konnte von dieser geistlichen Nahrung mindestens eine Woche lang zehren.
Für den besten Prediger aller Zeiten halte ich den am 1. Dezember 1709 verstorbenen Abraham a Sancta Clara, mit bürgerlichem Namen Johann Ulrich Megerle. Er gehörte dem Orden der Augustiner-Discalceaten (Augustiner-Barfüßer) an und wirkte zunächst in der Nähe von Augsburg, bevor er wegen seines Predigttalents einen Ruf nach Wien erhielt.
Verunsicherte und haltlos gewordene Generation
In geschliffenen Worten forderte er seine Zuhörer jedes Mal heraus, zwischen Tugend und Sünde, zwischen Heil und Unheil zu wählen. Der Manesse Verlag hat aus Anlass des 300. Todestags eine Predigt-Sammlung vorgelegt, die es ermöglicht, sich von diesen barocken – oftmals etwas überschwenglichen – Predigten ein Bild zu machen. Wie sehr hätte unsere heute so verunsicherte und haltlos gewordene Generation einen solchen Prediger nötig!
Herr Jesus Christus, schenke uns glaubensstarke Priester und wortgewaltige Prediger. Nimm von ihnen alle Menschenfurcht, damit sie dein heiliges Evangelium unverkürzt und in aller Klarheit verkünden. Erleuchte sie mit deinem Heiligen Geist und gib ihnen das rechte Wort zur rechten Zeit. Schenke den Hörern deiner Botschaft ein offenes Herz, das bereit ist, dich und dein Wort aufzunehmen und fruchtbar werden zu lassen.