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Armenhaus Mecklenburg

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Der „Regionale Armutsatlas“ des „Paritätischen Wohlfahrtsverbandes“ druckt Mecklenburg als tiefrotes Terrain: Relativ gerechnet sind bis zu 27 Prozent der Bevölkerung arm. Das nordöstliche Bundesland ist mindestens statistisch wieder das Armenhaus Deutschlands und schließt auf diese Weise an eine traurige historische Konstanz an.

Auf dem Weg in die umgekehrte Zweidrittelgesellschaft leistet sich das Land im träumerischen Föderalismus eine so teure wie optimistische Landesregierung, eine Gesellschaft für Wirtschaftsförderung mit kunterbunten Prospekten und hofft auf Tourismus und Werften.

Nirgendwo ist die Arbeitsgesellschaft nach der Wende so tiefgreifend zerstört worden wie im ländlichen Raum der ehemaligen DDR. Der Soziologe Andreas Willisch vom Thünen-Institut für Regionalentwicklung weist eindrucksvoll die Ähnlichkeit zu amerikanischen Vorstädten und Ghettos nach, auch wenn die Gartenzäune noch gestrichen sind und das Konjunkturpaket für die Asphaltierung von stillen Wirtschaftswegen sorgt. Von 180.000 landwirtschaftlich Beschäftigten ließ die Technisierung noch ca. 30.000 übrig.

Bezug zur Heimat geht verloren

Willisch hat es in seinen Studien zum ländlichen Raum für symptomatisch befunden, daß beispielsweise innerhalb eines Haushalts von drei Generationen nur noch der Großvater und der 12-jährige Enkel ein volles Tagesprogramm haben: Der  Alte sorgt sich noch um Garten und Kaninchen und fährt zu Aldi, der Junge muß in die Schule. Alle anderen improvisieren ihren Tag. So entsteht vielerorts ein Milieu von Lethargie, Schwarzarbeit, Kleinstkriminalität. – Da die Verwaltungseinheiten immer größer werden, kann Demokratie merklich kaum mehr unten gründen.

Der Bezug zu Heimat und Region geht verloren, weil nicht mehr an deren Gestalt gearbeitet wird, sieht man von den „Ein-Euro-Jobbern“ an Wegen und Hecken ab. Zumal auch die aktuellen Wahlplakate Köpfe anstatt Positionen zeigen, wird die politische Teilhabe als Farce empfunden, die kulturelle – auch alltagskulturelle – erscheint unbezahlbar.

Sozialisation an der Busbude

Jugend bleibt sich selbst überlassen. Im Gegensatz zu stabilen und funktionierenden Gesellschaften kann sie sich nicht mehr an Ideen und Vorstellungen oder gar Vorbildern abarbeiten. Was bleibt, das sind „Maßnahmekarrieren“ oder die Abwanderung – wie im 19. Jahrhundert. Allzu viele stecken in der Primitivsozialisation von Parkplatz, Tankstelle, Busbude fest. Willisch diagnostiziert „eine Spaß- und Haßgesellschaft und Anomie – und das alles in diesen zauberhaften Dörfern und ökologischen Nischen“.

Alternativen lägen in sozialer und politischer Selbsthilfe. Die „Überflüssigen“ müßten ihre Exklusion als einen Impuls begreifen und ihr Schicksal in die eigenen Hände nehmen, um wenigstens ihre Würde zu retten. Anleihen an die alte Landvolkbewegung sind denkbar, Ansätze sogar sichtbar: Armut, wo sie geballt auftritt, befreit vom kalten Individualismus und erzwingt Solidarität. Die Leute haben kein Geld, aber Zeit. Sie beginnen, sich zu helfen. Welchen politischen Ausdruck das finden mag, ist unklar. Bisher beackert diesen Boden vor allem die NPD.

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