Wann habe ich zuletzt einen originellen oder belangvollen Gedanken des Schriftstellers und Publizisten Maxim Biller gelesen? Mir fällt stets nur auf, daß er prätentiös seine jüdische Herkunft betont, auch wenn die nichts zur Sache tut. Er spekuliert auf die einschüchternde Wirkung dieser Mitteilung, auf daß der Leser nach Stringenz und Gehalt seiner Polemiken nicht zu fragen wagt.
Sein neues Buch „Der gebrauchte Jude“ werde ich deshalb gar nicht erst zur Hand nehmen, obwohl Alan Posener es unter der Überschrift „Maxim Biller will Thomas Mann zerstören“ so ausführlich wie euphorisch anpreist. Natürlich in der Springerzeitung die Welt.
Beide haben sich getroffen und prächtig verstanden. Posener zitiert Billers Sehnsucht nach New York: „Schon wieder ein Fehler. Statt in die helle, kosmopolitische Parallelwelt zwischen East River und Hudson River zu verschwinden, wo mich nie einer fragen würde, warum ich immer anderer Meinung bin und ständig über Sex rede, beschloß ich, gebrauchter Jude in Deutschland zu werden…“
Für Billers Karriere war das von Vorteil
Was Posener versäumt hat hinzuzufügen: Wenigstens für Billers Karriere war das von Vorteil. Nicht jeder kann ein Genie sein und verfügt über den hintergründigen Witz eines Woody Allen! Und wo anders als in Deutschland würde man Biller solchen Schmonzes abnehmen: „Thomas Mann ist der neue Goethe, und den Deutschen ist egal, daß fast alle seine Bücher einen dunklen Hinterausgang haben, durch den man direkt in die schmutzige Fantasiewelt der Rassentheoretiker des 19. Jahrhunderts gelangt. Die Juden bei Mann sind schnell, schmierig, gewissenlos und Demokraten.“ Biller weiter über Thomas Mann: „Es muß mir gelingen, ihn zu zerstören.“
Nicht reden – machen!, möchte man da ausrufen. Doch Biller und Posener wissen vermutlich selbst, daß das haltloses Geschwätz ist. Wohl läßt sich gegen den Großschriftsteller eine Menge einwenden, zum Beispiel seine Begeisterung über die Bombenabwürfe auf deutsche Städte, doch zerstören kann man ihn nicht. Der Goethe des 20. Jahrhunderts ist so unbesieg- und unzerstörbar wie der des 19. Jahrhunderts. Die beiden setzen auf die Zerknirschung, das Schuldbewußtsein und die mentale Wehrlosigkeit der Leser. Und das ist billig.
Preisfrage: Was würde Thomas Mann dazu einfallen? Der hatte sich 1910 in die Auseinandersetzung zwischen zwei jüdischen Streithähnen, den Literaturkritiker Samuel Lublinkski und den Philosophen Theodor Lessing, eingemischt. Lessing nämlich hatte ein antisemitisches Schmutzvokabular benutzt, das auf einen schweren inneren Konflikt verwies und das Thomas Mann zutiefst abstieß.
„Gesudel“ mit Schärfe zurückgewiesen
Er wies das „Gesudel“ mit soviel Schärfe zurück, daß Lessing ihn zum Duell aufforderte. In der Zeitschrift Das literarischen Echo gab Mann ihm die gebührende Antwort: „Niemand wird verlangen, daß ich mich durch diese offenkundig sinnlosen Schreie eines längst Desequilibrierten ‚beleidigt‘ fühlen und damit mit ihm rechten soll.“
Er mokierte sich über den Schlachtruf des Gegners, „daß sein ‚Kampf erst jetzt beginne, er möchte den Handel ausnutzen, sich an mich hängen, mich stören, seinen Namen neben den meinen stellen, so oft, so lange wie möglich. Aber ich schüttle ihn ab, ich kenne ihn nicht. Möge er fortfahren zu ‚kämpfen‘. Möge er sich spreizen, Kußhände werfen und um sich schlagen, bis man ihn einsteckt. In mir hat er keinen Gegner.“ Also schrieb Thomas Mann!