Bevor die Eindrücke wieder verdämmern, muß ich an eine traumhafte Reise ins Baltikum erinnern. Mit Kindern und Auto ging es über Zwischenstopps im ehemals westpreußischen Thorn und ostpreußischen Lötzen (heute Giżycko) über die sicherheitspolitisch bedeutsame Suwałki-Lücke durch Litauen nach Lettland. In Lötzen an den Masurischen Seen werden Erinnerungen an eine Fahrradtour vor 33 Jahren wach.

Mit einer Gruppe Studenten erkundeten wir damals über Danzig und Marienburg kommend den polnischen Teil des ehemaligen Ostpreußen. Von zerfallenden Höfen und maroden Straßen ist nichts mehr zu sehen. Polen ist eines der wirtschaftlich florierendsten Länder Europas geworden. Alle Städte atmen heute Bürgerstolz, und wehmütig überfällt uns Rührung angesichts der liebevoll restaurierten historische Bauwerke und Stadtkerne, denen die sichtbaren deutschen Spuren nicht genommen, sondern bewahrt werden.

Eine Woche in Jūrmala und seinem als „Sylt Lettlands“ bezeichneten sich über 40 Kilometer erstreckenden Ostseestrand: Trotz überwiegend Dauerregens stellen sich die sagenhaften endlosen Sonnenuntergänge ein, für die der Ort gepriesen wird.

Zu Sowjetzeiten und bis zum Angriff auf die Ukraine 2022 war Jūrmala ein besonders bei Russen beliebtes Ziel, viele mondäne an die Dünen angelehnte Villen zeugen davon.
Wo nationale Identität noch trägt
Als geschichtsbewußter Besucher kommt man auch im kalten Sommer 2025 auf seine Kosten. Sowohl die lettische Hauptstadt Riga mit ihren 800 erhaltenen Jugendstilbauten als auch die im Anschluß besuchte litauische Hauptstadt Vilnius besitzen malerisch renovierte historische Innenstädte.

Wie auch in Polen begegnen uns im Gegensatz zu vielen deutschen Innenstädten keine Vermüllung, Graffiti oder durch unkontrollierte Migration entstandene „Partyzonen“ mit irritierenden Gruppen junger Männer.

Ein Abstecher führt von Memel über die Kurische Nehrung zum Sommerhaus Thomas Manns in Nidden. Beim Spaziergang durch die als „Sahara des Nordens“ bezeichnete Dünenlandschaft streift der Blick die Grenze zum russischen Teil Ostpreußens.

Ob beim „Berg der Kreuze“ bei Šiauliai oder den Okkupationsmuseen in den Hauptstädten, überall begegnen uns Erinnerungen an braune und rote Gewaltherrschaft, den mit Blut getränkten Boden – aber vor allem den unbeugsamen Freiheitswillen der kleinen baltischen Völker, die sich nie wieder zu Sklaven machen lassen wollen.

Kollektiver Stolz auf Freiheit und nationale Identität – wie sehr nehmen wir die Leerstelle wahr, als wir wieder über die Oder gen Berlin rollen.