Endlich das Handy ausschalten. Der Bildschirm ist schwarz. Ich stecke das Gerät zwischen zwei Bände in unser Bücherregal. Die gepackten Satteltaschen hängen am Fahrrad. Die Haustür schließt sich hinter mir und ich radele los. Sechzig Kilometer bis zu einem Kloster südlich von Berlin. Für vier Tage melde ich mich elektronisch ab, habe keinen Computer dabei, sehe nicht fern. Stattdessen: Bücher lesen, spazierengehen, die Messe besuchen, in den Himmel schauen und den Vögeln zuhören.
Das Ganze ist jetzt eine Woche her. Der Besuch in diesem kleinen Benediktinerinnen-Kloster klingt immer noch nach in mir: das Echo der Stille. Vor fünf Jahren war ich schon einmal dort. Mancher, dem ich von dem neuerlichen Besuch berichte, schaut mich ratlos an: In ein Kloster? Gehen da Erleuchtete hin oder Typen in der „Midlife-Crisis“?
„Du hast dein Handy mehr lieb als uns“
Eine Bekannte, Mutter von drei Kindern, erzählte mir, daß sie wie ich damit zu kämpfen hat, das Mobiltelefon vernünftig zu benutzen. Sie muß sich beruflich um die Moderation von Internet- und Facebook-Seiten kümmern – eine stressige Tätigkeit. Sie habe kürzlich einen Schreck bekommen, als das jüngste Kind ihr sagte: „Du hast ja dein Handy mehr lieb als uns.“ Den Kindern entgeht nicht, wie oft wir uns von ihnen ab- und Bildschirmen zuwenden.
Wir sind nicht bei Trost, wie wir unseren Alltag von diesen Geräten bestimmen lassen. Sie sind eine Pest, wenn wir sie nicht unter Kontrolle bringen. Die Verführung ist groß, permanent auf dem laufenden zu sein, Mails abzurufen, Reaktionen in „sozialen Netzwerken“ zu überprüfen. Gerade letztere, Facebook, Twitter, Instagram, Whatsapp und andere konditionieren ihre Nutzer, immer mehr Zeit dort und nicht im realen Leben zu verbringen. Mit den internetfähigen Mobiltelefonen ist der „Stoff“ immer verfügbar.
Wir belügen uns selbst
Wie Junkies reden wir uns ein, wir müßten uns ständig „updaten“, immer verbunden sein mit dem Datenstrom. Wir belügen uns selbst. Die Fähigkeit zum Abstand, zur Nachdenklichkeit, zur Aufmerksamkeit schwindet, die Zerstreuung, die Ablenkung wird zum Dauerzustand – die Fähigkeit zur Konzentration auf eine Sache kommt abhanden.
Das ist eine wichtige Quelle für das Phänomen, das unter dem Schlagwort „Burnout“ immer breiter gesellschaftlich diskutiert wird. Wie kommen wir zur Ruhe, wie zur Besinnung, wie verlassen wir wenigstens zeitweise das Hamsterrad, in das uns der Beruf stellt und das wir freiwillig bis ins Private ausdehnen? Wann sind wir wirklich „da“, wenn wir bei Freunden oder unserer Familie sind?
Als ich nach der Rückkehr aus dem Kloster mein Handy wieder öffnete, zeigte es mir einige Dutzend überflüssiger Nachrichten an. Nicht eine einzige war wichtig. Ich habe nichts verpaßt. Es liegt allein an mir, Abstand zu gewinnen.
JF 22/16