Es ist an Symbolkraft kaum zu überschätzen, was sich in der Mitte Berlins derzeit vollendet. An diesem Freitag feiert die Hauptstadt das Richtfest des wiedererstehenden Stadtschlosses. Damit erfüllt sich, was gleich nach der Wiedervereinigung 1990 ein kleiner Kreis von Enthusiasten in Angriff nahm. Viele haben diese Initiatoren zunächst als Phantasten belächelt oder als Spinner verspottet, doch nun wird das Wunder wahr.
Architektur ist Gestalt gewordener Wille zum Staat. In ihr läßt sich das Selbstbewußtsein einer Nation ablesen. Es hatte einen Grund, daß die SED unter Walter Ulbricht 1950 die Ruine der Hohenzollernresidenz sprengen ließ: Die DDR löschte damit demonstrativ eine Traditionslinie aus. Nach der Wiedervereinigung bangten viele Skeptiker, ob in Deutschland preußisch-nationalistische Gespenster auferstehen könnten. Schon der Umzug von Bonn nach Berlin wurde von dieser Frage überschattet. Um so mehr wurde eine Rekonstruktion des Schlosses entweder als nostalgischer Witz oder Keim für neuen Größenwahn bekämpft.
Eiserner Wille, Begeisterungsfähigkeit und phänomenales diplomatisches Geschick
Daß trotz riesiger Widerstände – der Bauhistoriker Goerd Peschken erinnert im Gespräch mit dieser Zeitung noch einmal daran – das Stadtschloß Wirklichkeit wird, ist vorneweg dem eisernen Willen und der Begeisterungsfähigkeit von Wilhelm von Boddien, dem Gründer und Vorsitzenden des Stadtschloß-Fördervereins, zu verdanken, der ein Vierteljahrhundert auf dieses Ziel hinarbeitete.
Boddien gelang es mit phänomenalem diplomatischen Geschick, auch anfängliche Schloß-Gegner zu überzeugen, er schlug Brücken über politische Gräben hinweg, er verhinderte, daß der Schloßaufbau als ein reaktionäres Projekt aus einer nationalkonservativen Nische abgetan werden konnte.
Wir Deutschen gewinnen unsere Mitte wieder. Wir sollten uns die Bedeutung dieser Aussage in ihrem doppelten Sinne bewußt machen: architektonisch und psychologisch.
Wir wenden uns uns selbst zu und erschrecken nicht mehr
Deutschland ist eine durch die Katastrophe des Dritten Reiches, den Zusammenbruch und die jahrzehntelange Teilung im Inneren immer noch tief verstörte Nation. Wie stark diese nationale Neurose architektonisch wirksam werden kann, sieht man am 2011 eröffneten Militärhistorischen Museum in Dresden. Dort wurde das intakte Arsenalhauptgebäude aus dem 19. Jahrhundert durch einen riesigen Keil „dekonstruktivistisch“ gebrochen und dafür mutwillig ein Drittel der Bausubstanz zerstört.
Wenn in den nächsten Monaten schrittweise die liebevoll rekonstruierte Sandsteinfassade am Rohbau des Stadtschlosses angebracht wird, läßt sich sinnlich erfassen, was es bedeutet, wenn geschichtliche Gestalt neu ersteht. Wir wenden uns uns selbst zu und erschrecken nicht mehr, wenn wir in den Spiegel sehen.
JF 25/15