Wenn ein ausländischer Beobachter, sagen wir ein Korrespondent der britischen Times, hört, daß in Berlin in dieser Woche eine Bibliothek des Konservatismus erstmals ihre Pforten geöffnet hat, so wird er wohl sagen: „Erst?“ Und: „Ist das eine Einrichtung der Konrad-Adenauer-Stiftung der CDU?“
Derselbe Mann wird verwundert sein – wenn er es nicht aufgrund langjähriger Tätigkeit in Deutschland weiß –, daß der Begriff des „Konservatismus“ hierzulande herumgereicht wird wie eine heiße Kartoffel. Es gibt alle möglichen Personen und Institutionen, denen in der Öffentlichkeit das Etikett „konservativ“ anhängt, die es jedoch in aller Regel mit Schamesröte zurückweisen oder verdruckst („liberalkonservativ“, „wertkonservativ“) abzumildern versuchen.
So ist es eine Lieblingsbeschäftigung des Spiegels, die CDU damit zu piesacken, diese chamäleonhafte Partei als „Konservative“ zu betiteln. Bei keinem anderen Begriff bekommen nämlich die Granden aus dem Konrad-Adenauer-Haus größere Schluckbeschwerden, während man sich mit wachsender Begeisterung als „urban“, „liberal“ und „sozial“ bezeichnet.
Der Begriff des Konservativen ist unbesetzt
Der Begriff des Konservativen, zu dessen Position man nach Jan Fleischhauer höchstens „aus Versehen“ findet, ist tatsächlich quasi sedisvakant, unbesetzt. Keine große Stiftung oder Organisation, die ihn offensiv besetzen oder interpretieren würde. So ist es bezeichnend und eine kleine Sensation, daß die jetzt eröffnete Bibliothek des Konservatismus in Berlin ohne einen Cent staatlicher Mittel, ausschließlich durch Spenden idealistischer privater Förderer finanziert, in vier Jahren Arbeit aufgebaut und eröffnet werden konnte.
Der Publizist Burkhard Müller-Ullrich meinte kürzlich einmal: „Das Wesentliche am Auftauchen eines konservativen Selbstverständnisses … besteht darin, daß es alles andere als selbstverständlich ist. Es bedarf eines gewissen Mutes; es muß sich gegen den Comment, gegen den Usus, gegen die herrschende Meinung durchsetzen. Konservative Intellektuelle, diese Novität auf der deutschen Bühne seit der Nachkriegszeit, haben sich zu ihrem Standpunkt durchgerungen, während die Linksintellektuellen bloß stehenzubleiben brauchen. Bis heute ist das so.“
Die Bibliothek des Konservatismus mit ihren 60.000 Bänden wird zu einem in Deutschland, ja Europa, einzigartigen Ort der Begegnung, des Forschens und der Debatte werden. Wer künftig fragt: „Wo sind die Konservativen? Wo ist das Konservative?“, der wird im Zentrum Berlins darauf ab sofort eine Antwort finden. Es erschließt sich dem Suchenden ein reicher Kosmos und eine große weltanschauliche Vielfalt, die eine aktuelle Politik der Unipolarität, der vermeintlichen „Alternativlosigkeit“ Lügen straft.
JF 49/12