Große Aufregung bei der deutschen Wirtschaft lösten Zeitungsmeldungen in den letzten Tagen aus, die Europäische Kommisson plane gegen das Gütesiegel „Made in Germany“ vorzugehen. Es schien ins Bild zu passen, daß die EU-Bürokraten nicht nur ständig an der Aufweichung von Konvergenzkriterien des Euro basteln und sich über die Vergemeinschaftung nationaler Schuldenberge an das Portemonnaie deutscher Steuerzahler herantasten. Über phantastische Euro-Bonds soll schließlich die deutsche Bonität märchenhaft auf ganz Europa ausgedehnt werden.
Da läge es doch allzu nahe, auch mit den rückwärtsgewandten, an unselige Zeiten gemahnenden Etikettierungen von Waren aufzuräumen, die in antiquierter Weise auf längst überwunden geglaubte Nationalstaaten Bezug nehmen: „Made in Germany“. Just im August dieses Jahres feiert das von Großbritannien als Mittel zur Abschottung konkurrierender Importprodukte ersonnene Signum seinen 125. Geburtstag.
Die „Perfidie Albions“ scheiterte kläglich, und das Stigma verwandelte sich in ein Markenzeichen deutscher Produktqualität. Die ganze Welt riß sich schon bald um die Waren aus Deutschland, deren Güte legendär wurde und Standards setzte. Verlorene Kriege hin oder her – „Vorsprung durch Technik“, wie die Ingolstädter Autoschmiede Audi auch im englischsprachigen Ausland selbstbewußt wirbt, bleibt Alleinstellungsmerkmal der deutschen Hersteller.
Zeit also für mehr Selbstbewußtsein
Die EU-Kommission ruderte Anfang der Woche zurück und bekräftigte, nicht an „Made in Germany“ rütteln zu wollen. Nachvollziehbaren Klärungsbedarf gibt es lediglich für Produkte, deren Herstellung zum weit überwiegenden Teil überhaupt nicht im jeweils angegebenen Herkunftsland stattfindet, so beispielsweise bei Kleidung.
Bemerkenswert ist nun am Beispiel „Made in Germany“, wie lebendig der Bezug zur nationalen Identität nach wie vor ist – und wie schwer gerade wir Deutschen uns ansonsten damit tun. Darauf verweist eine interessante, jetzt veröffentlichte Studie der Universität Köln, bei der in einem Zeitraum von zehn Jahren über 6.000 Einwohner mit und ohne „Migrationshintergrund“ befragt wurden. Ergebnis: Die Deutschen sind ausgesprochen fremdenfreundlich und selbstkritisch.
Wie erschüttert unser Selbstwertgefühl ist, spiegelt sich in der Sehnsucht vieler befragter Jugendlicher wider, in einem zweiten Leben mit anderer Nationalität wiedergeboren zu werden. Der Herausgeber der Studie, Psychologe Ulrich Schmidt-Denter, macht die zu negative Betrachtung der eigenen Geschichte, die Fokussierung auf die Jahre des Dritten Reiches im Schulunterricht als eine Quelle des schlechten Selbstbildes aus. Das Ausland – siehe das Siegel „Made in Germany“ – bewerte Deutschland und die Deutschen hingegen viel besser. Zeit also für mehr Selbstbewußtsein!
JF 4/12