Anzeige
Anzeige

Streit um das Amt des Alterspräsidenten: Sollte Gysi den Bundestag eröffnen? Alter vor Schönheit!

Streit um das Amt des Alterspräsidenten: Sollte Gysi den Bundestag eröffnen? Alter vor Schönheit!

Streit um das Amt des Alterspräsidenten: Sollte Gysi den Bundestag eröffnen? Alter vor Schönheit!

Gysi mag sich über die Ehre des Alterspräsidenten freuen, diese steht ihm aber nicht zu, sondern der AfD. Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
Gysi mag sich über die Ehre des Alterspräsidenten freuen, diese steht ihm aber nicht zu, sondern der AfD. Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
Gysi mag sich über die Ehre des Alterspräsidenten freuen, diese steht ihm aber nicht zu, sondern der AfD. Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
Streit um das Amt des Alterspräsidenten
 

Sollte Gysi den Bundestag eröffnen? Alter vor Schönheit!

Ein Parlament konstituiert sich nicht von allein. Dafür braucht es den Alterspräsidenten, der wie der Name schon sagt, der älteste Abgeordnete ist. Doch wieder soll die AfD außen vor bleiben. Gregor Gysi wird wohl den Bundestag eröffnen – zu Unrecht.
Anzeige

Der nächste, 21. Deutsche Bundestag wird nun am nach Artikel 39 Abs. 2 GG letztmöglichen Termin, also am 30. Tag nach der Wahl, nämlich am Dienstag, dem 25. März, zu seiner konstituierenden Sitzung zusammentreten. Diese wird durch den sogenannten – und nicht den wirklichen! – Alterspräsidenten des 21. Bundestages, nämlich den Linken-Abgeordneten Gregor Gysi, geleitet werden. Damit verdrängt der 77jährige Gysi den wirklichen Alterspräsidenten des 21. Bundestages, den 84jährigen lebensältesten Parlamentarier Alexander Gauland von der AfD.

Hiergegen regt sich Unmut in der AfD-Fraktion, die auf die zweifelhafte Rolle Gysis – der aus dem roten Hochadel der DDR entstammt – im DDR-Unrechtssystem verweist. Gysi war viele Jahre lang Vorsitzender des Kollegiums der Rechtsanwälte in (Ost-)Berlin und mithin qua Amt zugleich Vorsitzender der Rechtsanwaltskollegien der DDR, eine wichtige Position innerhalb der kommunistischen Nomenklatura; nach dem Untergang der DDR übernahm er die Leitung der seither bis heute unter verschiedenen Namen agierenden SED-Nachfolgepartei und wird schon von daher mit dem Verschwinden des SED-Parteivermögens in Verbindung gebracht.

„Die Partei der Arbeiterklasse durchdringt alle Bereiche“

1976 wurde mit einer bei der Berliner Humboldt-Universität im Jahr zuvor eingereichten Dissertationsschrift „Zur Vervollkommnung des sozialistischen Rechts im Rechtsverwirklichungsprozeß“ promoviert. In den beiden von ihm bislang veröffentlichten Autobiographien (1995 und 2017) versuchte er jeweils, dieses Werk, das – anders als die meisten in der DDR veröffentlichten Doktorarbeiten auch in der Rechtswissenschaft – in der DDR nur bedingt und keinesfalls in den Westen ausgeliehen werden durfte, weil es wenig geeignet erschien, die DDR als Rechtsstaat mit mehr oder weniger unabhängigen Gerichten erscheinen zu lassen, als eine Art schlitzohrigen Akt des Widerstandes gegen das DDR-Justizsystem darzustellen.

Nichts könnte – einer Untersuchung der FAZ aus dem Jahr 2011 zufolge – verkehrter sein. Denn bei der Arbeit handelt es sich um eine besonders giftige Preisschrift zugunsten des Einsatzes einer durch und durch parteiischen Justiz gegen Andersdenkende. „Die sozialistische Rechtswissenschaft ist parteilich und klassenbewußt“, meint der heutige Doktor Gysi dort unter anderem, denn: „Die Partei der Arbeiterklasse durchdringt alle Bereiche und gewinnt aus allen ihre Erkenntnisse. Sie spielt überall die führende Rolle und ist durch die innerparteiliche Demokratie in der Lage, als Träger des gesamt-gesellschaftlichen Bewußtseins aufzutreten.“

Lügen haben kurze Beine

Kritikwürdiges findet der linientreue Doktorrand, der schon als Student der FDJ-Sekretär seines Studienjahrgangs gewesen war, allein bei vom ihm unterstellten oder vermuteten, angeblichen Mißständen im Westen (von denen er ohnehin keine eigene Anschauung haben konnte). „Lügen haben kurze Beine“, denkt man also unwillkürlich, wenn Gysi in seiner zweiten Autobiographie immerhin selbstironisch einräumt, er habe schon immer mal gerne, wie in amerikanischen Filmen zu sehen, seine Füße auf den Schreibtisch legen wollen – könne das aber nicht, weil seine Beine zu kurz seien.

Betrachten wir aber die Rechtslage im Falle des sogenannten Alterspräsidenten des nächsten Bundestages. Daß ein neu zusammengetretenes Parlament – das sich also auch bislang noch keine Geschäftsordnung gegeben hat – mangels positiv-rechtlicher Festlegungen quasi „naturrechtlich“ vom Alterspräsidenten eröffnet wird, der in der konstituierenden Sitzung die Rolle des Parlamentspräsidenten übernimmt, und daß unter dem „Alterspräsidenten“ der lebensmäßig älteste Abgeordnete zu verstehen ist, entspricht der deutschen Verfassungstradition. Dies wurde auch schon 1848 in der Paulskirche so gehandhabt. Entsprechend war es seit 1949 in allen Geschäftsordnungen des Deutschen Bundestages so geregelt:

1 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages [galt so bis zum 31. Mai 2017]

(1) Der neugewählte Bundestag wird zu seiner ersten Sitzung vom bisherigen Präsidenten spätestens zum dreißigsten Tage nach der Wahl (Artikel 39 des Grundgesetzes) einberufen.

(2) In der ersten Sitzung des Bundestages führt das an Jahren älteste oder, wenn es ablehnt, das nächstälteste Mitglied des Bundestages den Vorsitz, bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt.

Allerdings wurde die einschlägige Vorschrift (§ 1 Abs. 2 GO-BT) schon zum 1. Juni 2017 durch den damaligen 18. Bundestag und im Hinblick auf die Bundestagswahlen im September 2017 geändert, um zu verhindern, daß der AfD-Abgeordnete Wilhelm von Gottberg Alterspräsident des 19. Bundestages wird. Seither soll der Alterspräsident traditionswidrig der „dienstälteste“ Abgeordnete sein; damals war das dann Wolfgang Schäuble.

1 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages [gilt seit dem 1. Juni 2017]

(2) Bis der neugewählte Präsident oder einer seiner Stellvertreter das Amt übernimmt, führt das am längsten dem Bundestag angehörende Mitglied, das hierzu bereit ist, den Vorsitz (Alterspräsident); bei gleicher Dauer der Zugehörigkeit zum Bundestag entscheidet das höhere Lebensalter.].

Am 25. März würde also entsprechend Alexander Gauland durch Gregor Gysi verhindert. Dazu ist jedoch festzustellen, daß die Eigenschaft des „Alterspräsidenten“ technisch nicht durch eine Änderung der Geschäftsordnung durch den oder einen vorherigen Bundestag beeinflußt werden kann, da der neu zusammengetretene Bundestag zunächst eben noch keine Geschäftsordnung hat; diese unterfällt dem Grundsatz der Diskontinuität.

Dies hat erst unlängst der VerfGH Thüringen in seiner Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der Änderung der Landtags-Geschäftsordnung vor oder im Prozeß der Konstituierung des Landtages wieder betont (Beschl. v. 27.09.24, VerfGH 36/24, S. 17 f.). Die kuriose und verfassungsrechtlich zweifelhafte Thüringer Besonderheit, daß kraft eines formellen Landesgesetzes die Fortgeltung der Landtags-Geschäftsordnung über die Legislaturperioden hinweg angeordnet wird, spielt auf Bundesebene keine Rolle.

Nur Alexander Gauland kann den Bundestag eröffnen

Zwar ist es richtigerweise üblich, daß der Alterspräsident gleich zu Beginn der Sitzung über die jedenfalls provisorische Fortgeltung der bisherigen Geschäftsordnung abstimmen läßt (da es eben irgendeine Geschäftsordnung geben muß), was in der Regel auch nicht durch formelle Abstimmung, sondern durch einseitige versammlungsleitende Feststellung sowie die weitere Feststellung „ich höre keinen Widerspruch“ erfolgt (vergl. a.a.O., S. 18).

Jedenfalls die Eröffnung der Versammlung selbst, die – gewiß kurze – Begrüßung der Anwesenden und die Feststellung der Fortgeltung bzw. die Abstimmung über die Fortgeltung der alten Geschäftsordnung müßten jedoch – verfassungsrechtlich zwingend – durch Alexander Gauland und nicht durch Gregor Gysi erfolgen. Erst, nachdem die Fortgeltung der alten Geschäftsordnung beschlossen oder proklamiert worden ist, hätte er dann die Sitzungsleitung an Gregor Gysi zu übergeben.

Hilft am Ende nur noch das Bundesverfassungsgericht?

Man müßte sich die „Anfängliche Eröffnung“ der konstituierenden Sitzung des 21. Deutschen Bundestages und die Begrüßung der Anwesenden durch den wirklichen Alterspräsidenten Alexander Gauland verfassungsrechtlich richtigerweise kurz und knapp vorstellen. Der Verfassungsgerichtshof Thüringen hat in seiner hier in Bezug genommenen Entscheidung durchaus zu Recht betont, daß der Alterspräsident nicht gewählt worden ist, daher auch eigentlich kein Repräsentant des Parlaments als solchem ist und mithin in der konstituierenden Sitzung eine dienende Funktion hat. Wird die Position des Alterspräsidenten – wie in Thüringen – also, obwohl dieser weiß, daß die Parlamentsmehrheit in eigentlich nicht haben will, zu längeren Ansprachen über die politische Gesamtlage genutzt, so hat dies freilich auch Züge von Mißbrauch. So etwas sollte also richtigerweise unterbleiben.

Andererseits: Die Eröffnung der Sitzung selber, die Begrüßung der Anwesenden und die Herbeiführung einer parlamentarischen Willensbildung über die wenigstens provisorische Fortgeltung der bisherigen Geschäftsordnung – unter der dann Gysi das Amt des Sitzungspräsidenten übernehmen würde – kann Alexander Gauland verfassungsrechtlich keiner nehmen. Sein dahingehender Anspruch als wirklicher Alterspräsident des Deutschen Bundestages jedenfalls bis zu dem Zeitpunkt, an dem über die Fortgeltung der bisherigen und insofern anderslautenden Geschäftsordnung entschieden worden ist, könnte auch im Wege einer einstweiligen Anordnung beim Bundesverfassungsgericht durchgesetzt werden.

Gysi mag sich über die Ehre des Alterspräsidenten freuen, diese steht ihm aber nicht zu, sondern der AfD. Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
Anzeige
Anzeige

Der nächste Beitrag