Zum ersten Mal nach mehreren Legislaturperioden kann das Duopol von Sozialdemokraten und Volksparteien (EVP), das Europa regiert, durchbrochen werden. Bis vor einigen Monaten war das Bestreben, eine solide Mehrheit zwischen den Fraktionen der EVP und den Europäischen Konservativen und Reformern (EKR) mit Unterstützung auch der EU-Fraktion Identität und Demokratie (ID) zu bilden, zweifellos stärker geworden – auch angesichts der überall in Europa wachsenden Widerständigkeit gegenüber der Politik der Linken.
Unter diesem Gesichtspunkt muß auch das niederländische Wahlergebnis gewertet werden. Entgegen den Vorhersagen und Hoffnungen progressiver Journalisten hat es eindeutig den Willen der europäischen Völker signalisiert: Der zum Fanatismus neigende Radikalismus der sozialistischen Politik soll überwunden werden. Dieser beugt sich immer mehr den neomarxistischen Positionen eines naiven Ökologismus, der die wirtschaftlichen und sozialen Fundamente Europas untergräbt.
Die Niederländer haben Frans Timmermans, dem Vorsitzenden der niederländischen Arbeiterpartei und Ex-Vizepräsidenten der EU-Kommission und seiner Agenda eine klare Absage erteilt. Den von ihm und Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (EVP) propagierten Green Deal lehnten sie ab. Man muß bedenken: Timmermans’ Handeln im wirtschaftlichen Bereich – wie das seiner Kollegen in der laufenden und auch in früheren Legislaturperioden – war durch die entscheidende Rolle der Sozialisten bei der Koalitionsbildung und der Wahl der EU-Kommission ermöglicht worden.
Meloni geht voran
In politischer Hinsicht hat die zunehmende ideologische Rigidität der Sozialisten die Fraktion der EVP-Volksparteien vor eine politisch folgenschwere Entscheidung gestellt: entweder weiterhin von der immer radikaleren Politik der Sozialisten ausgehöhlt zu werden und Verluste bei den Wahlen hinzunehmen, oder einen – wenn auch langsamen – Kurswechsel einzuleiten. In diesem Sinne ist der europäische Weg, den es einzuschlagen gilt, der eines neuen Mitte-Rechts-Bündnisses nach dem „italienischen Modell“.
Das nunmehr 30 Jahre währende Bündnis hat es den italienischen Mitte-Rechts-Parteien ermöglicht, fast alle Regionen zu erobern, Tausende von Städten zu verwalten und die italienische Regierung zu stellen. Während in den zwanzig Jahren der Berlusconi-Ära mit der Forza Italia eine der EVP nahestehende Partei an der Spitze der Mitte-Rechts-Koalition stand, ist mit dem Aufstieg von Giorgia Meloni und den Fratelli d’Italia die Führung der Koalition in Italien an die Rechts-konservativen übergegangen.
Zusammenarbeit zwischen Mitte-Rechts-Parteien macht auch in Spanien Schule
Meloni selbst war schon lange vor ihrer Übernahme der Regierungsverantwortung in Italien Vorsitzende der Partei der Europäischen Konservativen und Reformer (EKR) und spielt somit nicht nur eine institutionelle, sondern auch eine parteipolitische Rolle in der europäischen Landschaft. Es ist kein Geheimnis, daß seit dem Wahlsieg im September 2022 über den möglichen Aufbau eines Systems nach dem italienischen Modell in Europa gesprochen wird. Die Einzigartigkeit Italiens besteht darin, daß die drei großen Parteien, aus denen sich die Koalition zusammensetzt (Fratelli d’Italia, Forza Italia und Lega), jeweils Mitglied der EKR, der EVP und der ID sind, der drei wichtigsten europäischen Rechtsfraktionen.
Auch in Spanien haben sich auf regionaler Ebene bereits Koalitionen zwischen der Volkspartei (PP) und der rechten Vox (EKR) gebildet. All dies zeigt, daß die neuen Herausforderungen die christlichen, konservativen und rechten Kräfte dazu veranlassen und zwingen, ein einziges Bündnis zu bilden, um die Politik der Linken zu bremsen, die sich trotz ihrer Spaltungen oft einig sind, um ihre Agenda durchzusetzen.
Ein gemeinsames Wertefundamen ist eine Stärke
Unabhängig von jeder politischen Bewertung muß man bedenken, daß die Machtverhältnisse und Bündnisse auf nationaler Ebene durch die jeweils geltenden Wahlgesetze und die Fragmentierung des Parteiensystems bedingt sind. Die große Stärke von Mitte-Rechts ist ein gemeinsames Wertefundament, die Identität und die christliche Vision Europas, die Kraft der Tradition und heute mehr denn je die Verteidigung der Meinungsfreiheit – bedroht durch die politisch korrekte und woke vulgäre Sprache – und der Widerstand gegen die fanatische und wahnsinnige grüne Agenda, die die europäischen Länder verarmen läßt, während sie China bereichert.
Auch wenn das Bündnis zwischen der EVP und der EKR bereits weit fortgeschritten ist, gab es doch einige Reibereien zwischen beiden. Die Tatsache, daß die EVP ein auf die Souveränisten der ID ausgedehntes Bündnis ausschließt, bremst die Bestrebungen für eine europäische Mitte-Rechts-Regierung. Die klare Abgrenzung der Volkspartei gegenüber der ID ist vor allem auf interne Dynamiken im deutschen politischen Kontext zurückzuführen, die auch die europäischen Bündnisse beeinflussen. Daher auch die „Brandmauer“, die die CDU-CSU gegen die AfD errichtet hat und die von der Mainstream-Presse als Blockade gegenüber Kräften, die als antieuropäisch gelten, angeheizt wurde.
Unabhängig von den Besonderheiten der einzelnen Staaten muß das Hauptziel der europäischen Rechten darin bestehen, in der nächsten Legislaturperiode eine andere Mehrheit als die derzeitige zu erreichen, indem die Sozialisten aus der Regierung ausgeschlossen werden. Sowohl Giorgia Meloni als auch Matteo Salvini (Lega) arbeiten in diese Richtung, und die italienische Ministerpräsidentin hat erklärt: „Ich arbeite daran, eine alternative Mehrheit zur Linken und zur Regenbogenmehrheit aufzubauen“. Bereits in der laufenden Legislaturperiode hat die Opposition der europäischen Mitte-Rechts-Parteien in verschiedenen Ausschüssen, darunter dem Umweltausschuß, viele ideologische Vorstöße der Linken blockiert. Man muß sich vor Augen halten, daß man von Werten ausgeht, um ein Bündnis aufzubauen, und nicht von der Summe der Listen – das ist die eigentliche Lehre des italienischen Modells.
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Francesco Giubilei ist Präsident der konservativen Tatarella-Stiftung und der Denkfabrik „Nazione Futura“.