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Filmkritik: Oppenheimer, die Atombombe und der Fluch des Prometheus

Filmkritik: Oppenheimer, die Atombombe und der Fluch des Prometheus

Filmkritik: Oppenheimer, die Atombombe und der Fluch des Prometheus

Florence Pugh als Jean Tatlock (l) und Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer machen im Spielfilm "Oppenheimer" einen Spaziergang
Florence Pugh als Jean Tatlock (l) und Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer machen im Spielfilm "Oppenheimer" einen Spaziergang
Florence Pugh als Jean Tatlock (l.) und Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer machen im Spielfilm „Oppenheimer“ einen Spaziergang Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Melinda Sue Gordon
Filmkritik
 

Oppenheimer, die Atombombe und der Fluch des Prometheus

Eine aufwendige Filmbiographie schildert Triumph und Tragik des J. Robert Oppenheimer, des Vaters der Atombombe. Trotz hochkarätiger Besetzung zeigt die anspruchsvolle Filmproduktion dennoch einige Mängel.
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Es sei keine neue Waffe, woran sie hier arbeiteten, warnt Niels Bohr (Kenneth Branagh) seinen deutsch-amerikanischen Kollegen J. Robert Oppenheimer (Cillian Murphy) es sei „eine neue Welt“. Und damit dürfte er wohl ins Schwarze getroffen haben. Als „Vater der Atombombe“ wird Oppenheimer später auf dem Titelbild des Time-Magazins gefeiert, die Entwicklung der Bombe mit dem Superlativ einer „furchtbaren Offenbarung göttlicher Macht“. Doch statt den Status eines US-Heiligen zu erlangen, fällt der Physiker zehn Jahre später in Ungnade.

Beide Geschichten, die des Triumphs und die des darauf folgenden Absturzes, erzählt der Film „Oppenheimer“, der neueste Geniestreich des von Cineasten verehrten, wenn nicht vergötterten Regisseurs Christopher Nolan. Der Brite drehte drei legendäre Batman-Filme, die zu den besten ihrer Art zählen, und sorgte zuletzt mit dem Zeitebenen-Verwirrspiel „Tenet“ für Schlagzeilen. Aber ist „Oppenheimer“ wirklich ein Geniestreich? Oder strengt er sich – das war schon ein Vorwurf, der „Tenet“ traf – nur mächtig an, als solcher zu erscheinen?

Nolan hat sich diesmal nicht eines fiktionalen Stoffes angenommen, sondern der Pulitzerpreis-gekrönten Biographie „American Prometheus: The Triumph and Tragedy of J. Robert Oppenheimer“ aus dem Jahre 2005 (deutsch: „J. Robert Oppenheimer: Die Biographie“, 2009) von Kai Bird und Martin J. Sherwin. So beginnt auch der Film mit der Anspielung auf die mythische Figur des Prometheus, der den Menschen das Feuer brachte und dafür von Zeus gezüchtigt wurde.

„Oppenheimer“ zeigt Parallelen zum Regenbogenfaschismus

Der Kinofilm nimmt damit vorweg, was Nolan neben der Entwicklung der Atombombe noch interessiert hat: die Verfolgung und Ächtung des Physik-Titanen als Kommunistenfreund während der neurotischen McCarthy-Ära, die sich in der gegenwärtigen Zeit in den Ländern des Westens wiederholt. Die Parallelen zum Regenbogenfaschismus der Gegenwart machen diesen Aspekt des Films zum eigentlich brisanteren, spannenderen. Doch er steht klar im Schatten der Haupthandlung um das Manhattan-Projekt, wie die Forschungen im streng abgeschirmten Testzentrum von Los Alamos in der Wüste von New Mexico verhüllend genannt wurden. Dort machte es dann irgendwann sehr laut „Bumm“!

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Albert Einstein (Tom Conti) und Niels Bohr verleihen dem Film den Glanz großer Genies. Matthias Schweighöfer, der bereits als Manfred von Richthofen in einem historischen Stoff zu sehen war, legt einen flotten Gastauftritt als Werner Heisenberg hin. Für Emotionen sorgt eine klassische Dreiecksgeschichte: Neben Oppenheimers Frau Kitty (Emily Blunt), ebenfalls Wissenschaftlerin, gibt es im Leben des Atomphysikers auch eine Geliebte: die Psychiaterin Jean Tatlock (Florence Pugh), die Regisseur Nolan so darstellt, als wäre sie am besten ihre eigene Patientin geworden.

Ästhetisches Schwarz-Weiß

Suggestiv-surreale Bilder und Aufnahmen vom All machen deutlich, daß auch „Oppenheimer“ des Filmemachers liebster Spielerei dient, der Gedankenspielerei. Die Faszination für den Kosmos oder das Kosmische, die vor allem Nolans bislang bestem Film „Interstellar“ (2014) abzuspüren ist, schlägt die Brücke zu seiner neuesten Regiearbeit.

Der faszinierende Gedanke, daß sich das ganze Universum in der mikrokosmischen Welt spiegelt, ist ein Kriterium esoterischer Weltdeutungskonzepte, für die die Kernspaltung eine Todsünde ist, weil sie die Integrität des Kosmos zerstört. Ideal in dieses Konzept paßt der geläuterte Nachkriegs-Oppenheimer, der zum Botschafter eines neuen Paradigmas wird. Nach dem Wahnsinn von Hiroshima und Nagasaki erkennt er, was er angerichtet hat, auch wenn Präsident Truman (Gary Oldman) zu beschwichtigen sucht: Die Menschheit interessiere nicht, wer die Bombe entwickelt hat, sondern wer den Befehl gab, sie abzuwerfen.

Für den Teil seiner Geschichte, der in den Fünfzigern spielt, hat sich Nolan ästhetisch George Clooneys McCarthy-Abrechnung „Good Night, and Good Luck“ (2005) zum Vorbild genommen. Er hält den Handlungsstrang wie Clooney seinen ganzen Film, in Schwarz-Weiß. Robert Downey Junior, der ebenfalls in „Good Night, and Good Luck“ mitwirkte, spielt darin eine zentrale Rolle: Er verkörpert Lewis Strauss, den Mitbegründer der US-Atomenergiekommission. Der wirbt Oppenheimer für das Projekt in Los Alamos, wird später jedoch zu einem zwielichtigen Gegenspieler. Matt Damon in der Rolle des spröden Generals Leslie Groves, der die militärische Führung des Manhattan-Projekts ausübte, vervollständigt die Liste der Hollywood-Hochkaräter, die Nolan gewinnen konnte.

„Oppenheimer“ wirkt aufgebläht

Es sind also eigentlich zwei Filme, die der gebürtige Londoner hier in einen gepackt hat, und das ist für diesen einen Film zu viel. „Oppenheimer“ wirkt überfrachtet. Die beiden im Wechsel erzählten Geschichten funktionieren für sich genommen ganz gut. Gemeinsam aber blähen sie das Monumentalwerk zu einer Länge auf, die vor allem die erste von drei Stunden Film zum ermüdenden Dialog-Dramolett macht.

Verstärkt wird dieser Eindruck durch ein Zuviel an Musik: Kaum eine Szene – daran muss man sich bei Christopher Nolan leider gewöhnen – kommt ohne orchestralen Klangteppich aus und damit ohne die Ambition, selbst banalste Dialoge zum historischen Drama, zur existentiellen Begegnung hochzuwuchten. „Geht’s auch ’ne Nummer kleiner?“ würde man ihn gern fragen, wenn der Regisseur im Kino neben einem säße.

Schadet der Film Nolans Ruhm?

„Überambitioniert“ ist sicher das Attribut, das die teure Produktion am besten charakterisiert. Es war ein mutiger Schritt, sich nach den pompösen Spektakeln, denen er seinen Ruhm verdankt, in einer ganz anderen Stilrichtung auszuprobieren. Doch mit der hochkarätigen Besetzung und seinen quälend langen drei Stunden weckt „Oppenheimer“ höchst unwillkommene Erinnerungen, und zwar an Michael Ciminos „Heaven’s Gate“ (1980)  einen Film, der sich ebenfalls das Etikett „überambitioniert“ verdient hat, und das mehr als redlich.

Wie Nolan war Cimino, als der Film in die Kinos kam, auf dem Höhepunkt seines Ruhms, ehe dieser in den miserablen Einspielergebnissen des bildgewaltigen Spätwesterns versickerte. Dieses Schicksal wünscht man keinem. Doch sollte „Oppenheimer“ an den Kinokassen so einschlagen wie die Atombombe, von der der Film handelt, wäre das eine echte Sensation.

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Filmstart von „Oppenheimer“ war am 20. Juli. 

Florence Pugh als Jean Tatlock (l.) und Cillian Murphy als J. Robert Oppenheimer machen im Spielfilm „Oppenheimer“ einen Spaziergang Foto: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Melinda Sue Gordon
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