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Ukraine-Krieg: Tillschneider, Rußland und die Rechte

Ukraine-Krieg: Tillschneider, Rußland und die Rechte

Ukraine-Krieg: Tillschneider, Rußland und die Rechte

Russland
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Plakat auf einer AfD-Demonstration (2016 Foto: picture alliance / dpa | Stefan Sauer
Ukraine-Krieg
 

Tillschneider, Rußland und die Rechte

In manchen rechten Kreisen findet sich seit jeher eine gewisse Sympathie und grundsätzliche Parteinahme zu Gunsten Rußlands. Das Motiv hierfür reicht weit in der Geschichte der politischen Ideen zurück. Ein Kommentar.
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In den frühen Morgenstunden, unmittelbar nach dem russischen Angriff auf die Ukraine, hat Hans-Thomas Tillschneider einen Tweet abgesetzt: „‘Rußland greift an’, schreibt die Tagesschau. Falsch. Rußland wehrt sich!“ Tillschneider ist nicht irgendwer, sondern Mitglied der AfD-Landtagsfraktion in Sachsen-Anhalt. Er wird sich bei seinem Kommentar etwas gedacht haben.

Nur was? Eher unwahrscheinlich, daß Tillschneider DDR-Nostalgiker ansprechen wollte, wenngleich man #Druschba (russisch für „Freundschaft“, der alte FDJ-Gruß) in dieser Richtung deuten könnte. Bleibt als zweite Option die Stärkung der Putin-Versteher in den eigenen Reihen. Denn unter Anhängern der AfD halten sich jene, die von einer russischen Bedrohung ausgehen, und jene, die eine solche Bedrohung bestreiten, fast die Waage. Aber am plausibelsten ist doch, daß man die Einlassung Tillschneiders als grundsätzliche Parteinahme zu Gunsten Rußlands verstehen soll.

Die findet man in Kreisen, die etwas summarisch als „Rechte“ bezeichnet werden, gar nicht so selten. Was einer Erklärung bedarf. Tatsächlich gab es während des Kalten Krieges nicht nur in der Bundesrepublik, sondern auch in der DDR, eine ausgeprägte antikommunistische Haltung, die einen stark antirussischen Einschlag hatte. Dabei spielte traditionelles Überlegenheitsgefühl mit. Wichtiger war aber die Erfahrung zweier Weltkriege, die Art und Weise, wie sich die Eroberung und Besetzung Ost- und Mitteldeutschlands vollzogen hatte und wie die „Russenpartei“ KPD / SED als Erfüllungsgehilfe Stalins und seiner Nachfolger auftrat.

Nachwirkungen des Nationalbolschewismus

Wer in bürgerlichen oder „nationalen“ Kreisen der Bundesrepublik vor der kommunistischen Gefahr warnte, tat das häufig auch unter Hinweis auf die Bedrohung durch die „Barbaren mit dem Pferdemagen“ (Hans-Ulrich Rudel). Allerdings gab innerhalb der Rechten Gruppen, die an dieser Stelle nicht mitgingen. Eine Ursache dafür war die Überlegung, daß eine Wiedervereinigung nur zu erreichen war, wenn man Moskau entgegenkam.

Der Nationalneutralismus hat sich bis in die sechziger Jahre von solchen Vorstellungen leiten lassen. Hinzu kam eine „Tauroggen-Fraktion“, deren Vertreter glaubten, nach dem Muster des preußisch-russischen Zusammengehens gegen Napoleon eine Übereinkunft zu beiderseitigem Vorteil erreichen zu können, wenn die Deutschen nur begriffen, daß nicht in der West-, sondern der Ostbindung das Heil liege.

Eine genauere Untersuchung würde wohl zeigen, daß hier der Nationalbolschewismus der Weimarer Republik ebenso nachwirkte wie die Faszination, die die Planwirtschaft auf Ernst Jünger und seinen Kreis ausübte, oder der praktische Ansatz eines deutsch-sowjetischen Blocks, den man im Umfeld des NS-Außenministers Joachim von Ribbentrop entwickelt hatte. Aber wahrscheinlich muß man in der Geschichte der politischen Ideen noch weiter zurückgehen und damit auf ein Leitmotiv kommen, das seit dem 19. Jahrhundert in Deutschland Attraktivität gewann: „das Übergewicht unverbrauchter Naturkraft“ im Slawentum.

Die Formulierung stammt aus einer Rede Ernst von Lasaulxs, die er 1849 gehalten hat, und bezog sich auf einen Gedankengang, der gerade unter Konservativen mit Beifall rechnen durfte, die die europäischen Länder von Dekadenz geschwächt meinten. Sie sahen in den slawischen Völkern eine Kraft ähnlich den Germanen, die Rom überrannt und auf veränderte Weise erneuert hatten.

Eine Interpretation, die in Deutschland entscheidend zu jener Russophilie beitrug, die sich nicht in der Begeisterung für Tolstoi und Dostojewski erschöpfte, sondern bei Thomas Mann in der begeisterten Prophezeiung gipfelte, es werde die bolschewistische Revolution unter dem „genialischen Diktator“ – gemeint war Lenin – dazu führen, daß „die Proletarier … sich auf Europa stürzen und alles Alte auf ewig zerstören“.

Es fehlt historisches Bewußtsein

Mann hätte wohl keinen Einwand erhoben, wäre seine Aussage als unpolitisch bezeichnet worden. Urteilskraft im Politischen hat er nie gehabt und konnte sich im Zweifel auf seine Künstlerexistenz zurückziehen. Dieser Ausweg bleibt Tillschneider verstellt. Er muß sich die Frage gefallen lassen, welche politische Option er denn eigentlich im Auge habe, wenn er den aggressiven Vorstoß Rußlands gegen sein Nachbarland rechtfertigt. Wahrscheinlich würde er unter Verweis auf die „Achse“ Berlin-Moskau oder „Eurasien“ antworten.

Die Anziehungskraft derartiger Gedankenspiele ist in den beiden letzten Jahrzehnten gewachsen. Sie speist sich aus Erwägungen, die man gern als „geopolitisch“ oder „geostrategisch“ etikettiert und die es erlauben, als politischer Realist die Bühne zu betreten. Aber unter dem Kostüm erkennt man leicht den Romantiker, der in den Kategorien von Größe und Lebenskraft denkt, den die Kühnheit der eigenen Visionen mitreißt und der sich echte Staatsmänner nur mit blanker Brust und Waffe in den Händen vorstellen kann.

Es wird dabei zwar mit Geschichte hantiert, aber es fehlt, was man historisches Bewußtsein nennt. Denn das würde geraten erscheinen lassen, die Mahnung Bismarcks zu beherzigen, der – nichts weniger als ein Feind Rußlands – doch in dessen schierer Größe eine „elementarisch vorhandene Gefahr“ sah, „gegen die wir Schutzdeiche unterhalten, die wir aber nicht aus der Welt schaffen können“.

Wenn die Ukrainekrise etwas lehrt, dann, daß wir nicht fähig sind, solche „Schutzdeiche“ aufzuwerfen. Ohne eine Elite, die den Namen verdient, ohne Gewicht im Staatensystem, ohne einsatzfähige Armee können wir nicht als Akteure auftreten, sondern müssen uns dem beugen, was nie in Berlin, kaum je in Paris oder London, aber gewiß in Moskau und Washington über das Schicksal unseres Kontinents entschieden wird.

Wer das ändern will, sollte die Lage klären und die Handlungsmöglichkeiten prüfen. Das setzt Klugheit und Maß voraus und Abstand zu denen, die sich – noch einmal Bismarck – in erster Linie „möglichst forsch … vorkommen“ wollen.

Plakat auf einer AfD-Demonstration (2016 Foto: picture alliance / dpa | Stefan Sauer
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