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Abgang von Norbert Walter-Borjans: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Abgang von Norbert Walter-Borjans: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Abgang von Norbert Walter-Borjans: Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Der scheidende SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans: eine Fußnote der Parteigeschichte Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Der scheidende SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans: eine Fußnote der Parteigeschichte Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Der scheidende SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans: eine Fußnote der Parteigeschichte Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
Abgang von Norbert Walter-Borjans
 

Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan

Wer war noch gleich Norbert Walter-Borjans? Darauf wird schon bald niemand mehr eine Antwort wissen. Mit dem raschen Abgang des Co-Parteichefs der SPD offenbart sich, welche Rolle ihm von Anfang an zugedacht war. Ein Kommentar.
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Hat eigentlich irgendwer hierzulande ernsthaft daran geglaubt, Norbert Walter-Borjans, der vor zwei Jahren wie Kai aus der Kiste kam und SPD-Vorsitzender wurde, stehe für die Zukunft der deutschen Sozialdemokratie? Walter-Borjans war nie das Gesicht der Zukunft der SPD. Er war das Gesicht eines geschickten machttaktischen Manövers, das man in Anbetracht des Ergebnisses der Bundestagswahl als Riesenerfolg bezeichnen muß.

Der seriös und unprätentiös wirkende Endsechziger, eine Art Martin Schulz ohne Bart und ohne zu nerven, war zwei Jahre lang das proletarische Feigenblättchen der einstigen Arbeiterpartei, die ungeachtet der demonstrativen Schambedeckung die Interessen ihrer ursprünglichen Stammwählerschaft verraten und mit den Idealen Kurt Schumachers und dessen bedingungslosem Ja zu Heimat, Nation, Tradition gebrochen hat. Wie der als Monstranz durch alle Wahlkampfarenen geschleppte Mindestlohn, der sich voraussichtlich in den nächsten vier Jahren als Konjunkturbremse auswirken wird, erfüllte der Mann aus Nordrhein-Westfalen mit seiner ruhigen, unaufgeregten Art die Funktion, die in die Jahre gekommenen SPD-Anhänger bei Laune zu halten, die man für den Wahlsieg brauchte.

Bei Saskia Eskens Namen fällt denen eine Schlagersängerin aus den sechziger Jahren ein, und bei der linken Identitätspolitik, für die die alte und neue starke Frau an der Spitze der SPD steht, runzeln sie irritiert die Stirn. Wenn sie „Politiker*innen“ sagt, denken die Alt-Wähler an die Innenräume des Willy-Brandt-Hauses oder des Bundestags oder gar nicht weiter darüber nach. Sie haben ihr Kreuz bei der Wahl an der richtigen Stelle gemacht, weil der bodenständige Walter-Borjans und der solide (wirkende) Olaf Scholz ihnen Vertrauen eingeflößt haben und die schrille Esken ja schließlich nur Co-Vorsitzende ist.

Salonsozialismus und Hörsaalmarxismus gehen Hand in Hand

Die meisten haben noch gar nicht gemerkt, daß mit Esken und ihrem Günstling Kevin Kühnert eine neue Form von sozialistischem Umerziehungsgeist Einzug in die Parteizentrale gehalten hat, bei dem nicht auf Räte gesetzt wird wie 1918 bei den Verfechtern der Räterepublik, sondern auf einen innovativen Mix aus Salonsozialismus und Hörsaalmarxismus: In Uni-Hörsälen und AStA-Referaten, den Jakobinersalons unseres Zeitalters, wurden Realitäten zu einer präegalitaristischen Konstruktion umdefiniert und sprachliche Codierungen ausgebrütet, die Linientreue und Rechtsabweichler schon nach wenigen Sätzen wie Böcke von Schafen scheiden helfen. So läßt sich – das Prinzip Ulbricht – Sand im Getriebe des Fortschrittsmotors frühzeitig markieren und marginalisieren.

Das bekam Wolfgang Thierse zu spüren, der im Frühjahr gegen die von Kühnert, Esken & Co. neu installierte Sozialistenmoral rebellierte und prompt die Parteizuchtrute zu spüren bekam: Ein beschämendes reaktionäres Bild der SPD werde da gezeichnet, zeterten Esken und der LGBT-hörige Parteivize Kevin Kühnert; Gesprächsbedarf meldete auch der designierte Co-Parteichef Klingbeil an. Auf Säuberungen wird die SPD prinzipiell aber verzichten können. Kevin Kühnert ist der Anführer einer gewaltigen Kohorte von neu ins Parlament geströmten Jungjakobinern – „rotlackierte Faschisten“ hätte Kurt Schumacher sie wohl genannt –, die den neuen Kurs mittragen und mit im Nacken verschränkten Händen gelassen abwarten können, daß die Trivialkategorie Zeit alle Altgirondisten, die der „Erneuerung“ (O-Ton Esken) der Partei im Weg stehen, hinausschwemmt.

Von Walter-Borjans, der natürlich auf der Seite des Ex-Bundestagspräsidenten stand, war bei dem Streit zwischen Kühnert/Esken und Thierse wenig zu hören. Genau diese Rolle, die eines drögen Polit-Uwe-Seelers, der nirgends aneckt, um seine Ruhe zu behalten, hatte man ihm zugedacht. Und er hat sie prima gespielt.

Walter-Borjans ist nur eine Fußnote der Parteigeschichte

Anders als vor zwei Jahren, als die beiden Vorsitzenden einander zugelost wurden wie bei einem Speed-Dating für Senioren, tritt mit dem bisherigen Generalsekretär Lars Klingbeil nun ein Mann an die Seite der schrägen Parteivorsitzenden, mit dem sie durch die gemeinsame Arbeit im Digital-Ausschuß und im Wahlkampf vertraut ist. Außerdem verbindet Esken und Klingbeil ein geifernder, Antifa-geschulter Haß auf die AfD, der auch vor der mit ihr sach- und artverwandten Werteunion und einem ernst zu nehmenden ideologischen Gegner wie Hans-Georg Maaßen nicht haltmacht. Die Devise: Demokratie ist, wenn wir es sagen.

Klingbeil weiß natürlich, daß der Linksrutsch der CDU unter Merkel die SPD groß gemacht hat: Man brauchte Olaf Scholz nur noch als Merkels Kronprinzen zu inszenieren, schon war der Weg zur Macht frei. Nicht auszudenken, wenn die CDU plötzlich wieder anfinge, alle Facetten des Unheils, mit dem die linke Ideologie Deutschland seit der Jahrtausendwende konsequent dem Abgrund entgegenführt, zum Thema, den Harakiri-Kurs in Familien-, Finanz- und Energiepolitik sichtbar und somit eine Rückkehr zu einer Debattenkultur ohne ideologische Sperrzäune möglich zu machen!

In vielem gleicht Klingbeil dem Senkrechtstarter Jens Spahn im Lager der Union: Seine Zugehörigkeit zum „Seeheimer Kreis“ macht ihn genau sowenig zu einem „konservativen Sozialdemokraten“ (sowieso ein Paradoxon), wie Jens Spahn seine konservativen Positionierungen der Vergangenheit zu einem derjenigen machen, die für ein Raus-aus-der-tödlichen-Mitte der CDU stehen könnten. Beide zeichnen vielmehr machttaktisches Kalkül, ehrgeizige Netzwerkarbeit und die Standhaftigkeit einer Wetterfahne aus, wenn es darum geht, an Überzeugungen festzuhalten, die dem eigenen Aufstieg im Weg stehen könnten.

„Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan, der Mohr kann gehen“, lautet die Variation eines Ausspruchs aus Schillers „Verschwörung des Fiesco zu Genua“. Besser könnte man das „Mission erfüllt“ von Norbert Walter-Borjans nicht umschreiben. Der Vorsitzende, der stets im Schatten der machtbewußten Strippenzieherin Esken stand und am Montag als kleines Abschiedsgeschenk die Pressekonferenz eröffnen durfte, die seine Nachfolge klärte, war von Anfang an geplant als Fußnote in der Parteigeschichte der SPD. Zu unbedeutend, um im Haupttext zu stehen, und meistens übersehen.

Der scheidende SPD-Vorsitzende Norbert Walter-Borjans: eine Fußnote der Parteigeschichte Foto: picture alliance/dpa | Michael Kappeler
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