Kaum im Amt, tat sich die neue Innenministerin Nancy Faeser (SPD) schon mit der ersten Protz-Ansage hervor: Von 40.000 Afghanen, die nach dem Willen der EU-Innenministerkonferenz auf das Gebiet der Europäischen Union – warum eigentlich? – umgesiedelt werden sollen, übernimmt Deutschland allein 25.000, also mehr als 60 Prozent.
Zur gleichen Zeit nutzte die soeben ins Außenministerium katapultierte Grünen-Spitzenkandidatin Annalena Baerbock ihren Antrittsbesuch in Polen, um Warschau Belehrungen über die „humanitäre“ Behandlung aggressiver Asylforderer an den Grenzen zu erteilen: „Hilfsorganisationen“, von der polnischen Regierung aus gutem Grund als Schleuser-Helfer wahrgenommen, sollten ebenso Zugang zu den Einlaß begehrenden Migranten erhalten wie die EU-Grenzagentur Frontex; letztere, so der unausgesprochene Subtext, um die polnischen Grenztruppen daran zu hindern, durchgebrochene Grenzverletzer einfach wieder zurückzuschicken.
Mit diesem Doppelschlag ist die Marschrichtung abgesteckt. In der neuen „Ampel“-Verpackung einer „wertebasierten“ Europapolitik meldet sich der Moralimperialismus der Merkel-Jahre lärmend und noch lauter mit den Stiefelabsätzen knallend zurück.
Freifahrtschein in den deutschen Sozialstaat
Nicht nur bei der Verteufelung der Kernenergie verfolgt Deutschland verbissen seinen europäischen Sonderweg, amüsiert zur Kenntnis genommen von den Nachbarn, die dem Energiewendewunderland Deutschland ein ums andere Mal mit ihren Atom- und Kohlekraftwerken aushelfen müssen und dabei nicht schlecht verdienen.
Denn während die neue deutsche Regierung mit noch größerem Eifer als die vorherige die Einladungsfahne schwenkt und mit Freifahrtscheinen in den deutschen Sozialstaat winkt, stehen in weiten Teilen Europas die Signale längst wieder auf geschlossene Grenzen und restriktive Einwanderungspolitik. Für Nordeuropa ist Dänemark der Vorreiter, dessen sozialdemokratische Regierung in den letzten Jahren systematisch das Asylrecht verschärft und jegliche Anreize zum Mißbrauch des Asylverfahrens für illegale Einwanderung eliminiert hat.
Die stärkste Signalwirkung geht indes von Polen aus. Der größte osteuropäische EU-Mitgliedstaat hat erfolgreich vorexerziert, daß eine lückenlose Grenzschließung sehr wohl möglich und die „Festung Europa“, die sich konsequent gegen illegale Migration abschottet, keine Utopie ist. Entnervt von der polnischen Unnachgiebigkeit treten ganze Flugzeugladungen irakischer Migranten, die vom Lukaschenko-Regime mit der Aussicht auf leichten Übertritt auf EU-Gebiet zur Weiterreise nach Deutschland angelockt worden waren, die Heimreise an.
Andere unterstützen Polen
Polen hat mit seiner harten Haltung nicht nur die übrigen Staaten der Visegrad-Gruppe – Ungarn, die Slowakei und die Tschechische Republik – hinter sich, mit denen es ohnehin eng zusammenarbeitet, sondern auch die baltischen Nachbarn, die ihre Länder nicht minder rigoros gegen den von Minsk aus orchestrierten Migrantenansturm abriegeln.
Sowohl aus dem Baltikum als auch aus dem östlichen Mitteleuropa erhielt Polen, was es vergeblich auch von Deutschland erbeten hatte: handfeste Unterstützung mit Truppen und Material, um den Kraftakt der Grenzsicherung meistern zu können, für den die Sicherheitskräfte des ganzen Landes permanent in Einsatzbereitschaft gehalten werden müssen.
Auch das Nicht-mehr-EU-Mitglied Großbritannien stand seinem traditionellen Verbündeten Polen mit einem Hilfskontingent bei. Ein symbolischer Akt, der weit über den konkreten Anlaß hinausreicht. Großbritannien, das nicht zuletzt wegen der chaotischen und moralgesteuerten EU-Migrationspolitik die Europäische Union verlassen hat, übt damit zugleich Druck auf Brüssel im Sinne einer Politik der Abschottung aus, die auch im britischen Interesse liegt.
EU-Kommission zunehmend isoliert
Londons konkretes Interesse liegt in der Eindämmung der illegalen Migration von Frankreich über den Ärmelkanal auf die britische Insel, die in den zurückliegenden Monaten zunehmend außer Kontrolle geraten ist. Die britisch-französischen Beziehungen sind darüber frostig und angespannt geworden.
Die britische Innenministerin Priti Patel hatte zuletzt mit durchwachsenem Erfolg auf diplomatischem Wege um europäische Unterstützung im Kampf gegen das Schleusergeschäft auf dem Ärmelkanal geworben. Parallel plant die britische Regierung, das Asylrecht zu verschärfen und insbesondere Migration über „illegale Routen“ als „kriminell“ einzustufen, um somit jedem, der über diese Routen einreist, von vornherein pauschal das Recht auf ein Asylverfahren abzusprechen.
Die Rolle Großbritanniens unterstreicht, daß EU-Migrationspolitik durchaus nicht identisch ist mit europäischer Migrationspolitik. Die EU-Kommission ist mit ihrer am UN-Migrationsglobalismus orientierten Position, die „humanitären“ Aufnahmeregelungen den Vorzug gibt und Zurückweisungen von Migranten, die sich illegal Zutritt auf EU-Territorium verschafft haben, rundweg für „nicht vereinbar“ mit europäischem Recht erklärt, mehr und mehr isoliert.
Die Front bröckelt
Die Wiederauflage der „Willkommenspolitik“ erweist sich vor diesem Hintergrund als gefährlicher ideologiepolitischer Sonderweg, der den Spaltpilz noch tiefer in die europäische Staatengemeinschaft hineintreibt. Die EU-Kommission und ihre aus Deutschland entsandte Präsidentin Ursula von der Leyen mag davon noch begeistert sein; in Nord- und Osteuropa und insbesondere in Polen und Ungarn ist die Ablehnung jeglicher oktroyierter Migration nach Brüsseler Quoten entschlossener denn je.
Gerade diese beiden Mitgliedstaaten sind nicht zuletzt wegen ihrer strikten Haltung in der Migrationskrise von der EU-Nomenklatura zum Buhmann gemacht worden. Doch auch diese Front bröckelt. Demonstrativ ist der französische Staatspräsident Emmanuel Macron dieser Tage nach Budapest gereist, um seinem ungarischen Kollegen Viktor Orbán als europäischer Partner auf Augenhöhe zu begegnen und den gemeinsamen Willen zur Zusammenarbeit bei der Abwehr illegaler Migration zu bekunden.
Die deutsche Regierung wäre gut beraten, aus ihrer ideologietrunkenen Selbstverliebtheit aufzuwachen und diese Signale aufmerksam zu lesen. Auch im vielbeschworenen Partner Frankreich hat der deutsche Moralimperialismus keinen Verbündeten mehr. Europa steht vor einer pragmatischen Wende. Die Initiative kehrt zu den Staaten zurück, die als souveräne Akteure die EU als Plattform für interessengeleitete Zusammenarbeit betrachten und nicht als ideologische Spielwiese für globale Transformationsphantasien. Für seine Selbstopferung auf dem Altar der selbstverleugnenden Moralpolitik kann Deutschland weder Dank noch Applaus erwarten.
JF 51/21