Die Union ist umgefallen. Das war nicht das erste Mal, und das wird nicht das letzte Mal sein. Durch den Beschluß, eine tiefrot-hellrot-grünrote Übergangsregierung unter Bodo Ramelow (Linkspartei) in Thüringen zu tolerieren, hat sie unter Beweis gestellt, daß der Abgrenzungsbeschluß gegenüber den Postkommunisten nur mehr Makulatur ist. „Hanau“ hat diesen Schritt ohne Zweifel erleichtert. Aber schon vorher waren die Signale eindeutig.
Denn laut oder halblaut wurde darüber nachgedacht, ob es noch in die Zeit paßt, Linkspartei wie AfD mit demselben Maß zu messen. Darüber kann auch nicht hinwegtäuschen, daß der eine oder andere in Berlin Bedenken äußert, um wenigstens den Schein zu wahren. Denn nicht nur die Taktiker, sondern erst recht die Strategen der Union suchen seit langem den Anschluß an die Fortschrittlichen, Guten, Aufgeklärten, mit einem Wort: die Antifaschisten.
Man verkauft das in der Regel als notwendigen Schritt zur „Modernisierung“ der Partei. Wobei unter „modern“ immer das verstanden wird, was die Gegenseite seit je für richtig hält. Ein Prozeß des Nachlaufens, der im Grunde schon mit dem traumatischen Machtverlust von 1969 einsetzte. So hat die CDU im Namen der „Modernisierung“ zuerst den Kampf gegen die Neue Ostpolitik aufgegeben, dann die Verteidigung des Leistungsprinzips, dann das klassische Familienbild, dann den bewährten Aufbau des Bildungssystems, dann die Grundsätze gerechter Besteuerung und eines ausgeglichenen Haushalts und zuletzt sogar den Alleinvertretungsanspruch.
Widerstand in der Partei ist verschwunden
Selbst Helmut Kohl meinte, daß das Wiedervereinigungsgebot ohne den Mauerfall in den eigenen Reihen kaum zu halten gewesen wäre. Denn die „Modernisierer“ – Heiner Geißler, Norbert Blüm, Rita Süßmuth, Warnfried Dettling und die übrigen Meisterdenker aus dem Konrad-Adenauer-Haus – waren längst dabei, die Union in eine „Großstadtpartei“ zu verwandeln, die auf „weiche Themen“ – Frauen, Ökologie, Soziales – setzte, um neue Wählerschichten zu erschließen.
Allerdings gab es für eine gewisse Zeit noch organisierten Widerstand: die Frommen, die Vertriebenen, die Nationalen, die Konservativen. Solchen Ballast konnte man nur schrittweise loswerden. Die Einbuße einer erheblichen Zahl an Wählerstimmen nahm man billigend in Kauf. Den Funktionären schien das die Sache wert, ging es doch darum, das Image der „Partei des Verbrennungsmotors, des Schweinenackensteaks und des Arbeitens bis zum Umfallen“ (Ole von Beust) loszuwerden, um die Union als Partei des Perpetuum Mobile, der veganen Ernährung und der Work-Life-Balance neu zu erfinden: verjüngt und smart und für den Großstädter und den Anhänger diverser Lebensformen wählbar.
Anpassungsfähigkeit gehört zur DNA der Union
Zu diesem Programm gehörte auch die Anerkennung, daß es nur einen Feind gibt und daß dieser Feind „rechts steht“. Alle Bemühungen, die Union als Partei der Mitte in Äquidistanz zu den Extremen zu halten, sind damit obsolet. Man fügt sich dem Konsens des „Nie wieder!“. Das heiß man erkennt nicht nur an, daß die AfD als faschistisch oder mindestens als „staatszersetzend“ (Horst Seehofer) zu bezeichnen ist, sondern auch, daß bis gerade eben „nur die Parteien der linken Mitte – nämlich SPD, Grüne und Linke uneingeschränkt zur Demokratie“ (Raed Saleh) standen. Aber nun nicht mehr. Denn jetzt haben sich Christdemokraten und Christsoziale dem Lager der Anständigen beigesellt.
Ob die CDU/CSU mit diesem Kurs ihre Position innerhalb des Parteiensystems bewahren kann, ist fraglich. Allerdings gehört Anpassungsfähigkeit zu ihrer DNA. Die hat ihr schon ein langes Leben beschert. Außerdem ist Beweglichkeit ein typisches Merkmal des bürgerlichen Zentrums. Man könnte auch weniger wohlwollend von Prinzipienlosigkeit sprechen, oder auf eine Bezeichnung zurückgreifen, die im 19. Jahrhundert für Parteien wie die Union üblich war: „Opportunisten“. Also solche, die Politik von Fall zu Fall treiben, jede Gelegenheit nutzen, ganz gleich, ob man damit die eben noch beschworenen „Werte“ verrät oder nicht.