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Hart aber fair: Aus Liebe zur Bürokratie

Hart aber fair: Aus Liebe zur Bürokratie

Hart aber fair: Aus Liebe zur Bürokratie

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Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber am Montag bei hart aber fair Foto: ARD Mediathek/ JF Screenshot
Hart aber fair
 

Aus Liebe zur Bürokratie

Einmal mehr waren sich bei Hart aber fair alle einig: Bürokratie sei im Grundsatz etwas Gutes. Die Gäste – mehrheitlich keine Politiker – gebärdeten sich dabei bisweilen fast so staatstreu wie Akteure im chinesischen Staatsfernsehen. Eine TV-Kritik von Boris T. Kaiser.
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Wieviel Bürokratie verträgt das Land? Oder anders formuliert: „Hier Bonpflicht, da Krötenschutz – alles geregelt, aber nichts geht mehr?“ Mit dieser Frage beschäftigte sich „Hart aber fair“ am Montag abend in der ARD. Die Gästeliste bestand, mit Ausnahme von Edmund Stoiber, nicht aus den üblichen, immer gleichen politischen Talkgesichtern.

Was erst einmal nach frischem Wind und viel Platz für neue Ideen klang, stellte sich im Laufe der Sendung allerdings schnell als ziemlich laues Lüftchen und alter Wein in neuen Schläuchen heraus. So wirklich etwas gegen Bürokratie an sich hatte in der Runde nämlich eigentlich keiner.

Selbst Stoiber singt ein Loblied auf die Bürokratie

Nicht einmal Edmund Stoiber, der für diesen Part offensichtlich eingeplant war, ihn aber nicht über die ersten Sendeminuten hinaus erfüllen wollte. Zwar weist er zu Anfang in leicht empörtem Ton auf die 360 Milliarden Euro hin, die in Europa allein für Bürokratie ausgegeben würden, lobt sie aber schon wenig später als richtige Reaktion auf den Unrechtsstaat der Nazis.

Nun wußte man über die finsterste Epoche der deutschen Geschichte und die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten ja schon so einiges, aber daß es ihr an Bürokratie gemangelt haben soll, dürfte für die meisten Zuschauer neu gewesen sein. Der ehemalige bayerische Ministerpräsident war sich jedoch sicher: „Bürokratie darf nicht verleumdet werden, als wäre sie etwas schlechtes.“

Dieser These stimmten so ziemlich alle in der Runde zu. Ganz besonders aber einer: Werner Jann. Der Seniorprofessor für Politikwissenschaft, Verwaltung und Organisation an der Uni Potsdam schwärmte von der Bürokratie wie ein frischverliebter junger Poet von seiner eroberten Angebeteten kurz nach der ersten gemeinsamen Liebesnacht. Die Bonpflicht verteidigte er, als sei sie sein aus dieser Nacht hervorgegangenes Kind. „Immer dieses Schimpfen über die Bürokratie! Fast die ganze Welt beneidet uns um unsere Bürokratie, weil sie funktioniert und gerecht ist – und die Bonpflicht verhindert Steuerbetrug in Milliardenhöhe“, so das glühende Plädoyer des Paragraphophilen.

„Höhle der Löwen“ will digitalere Bürokratie

Der durch die ungewollten Kassenzettel entstehende Papiermüll in den Bäckereien wäre doch ein „Pipifax-Problem“ im Vergleich zu den Wegwerfpappbechern, aus denen die Leute jeden Morgen ihren Kaffee trinken würden. In anderen Ländern wie Österreich oder Italien sei der obligatorische Bon zu jeder auch noch so kleinen Bestellung längst Normalität.

Und überhaupt müsse man sich gar nicht darüber aufregen, da bessere Lösungen bereits möglich wären. Wer zum Beispiel mit der Bankkarte bezahle, bekomme gar keinen Kassenbon, belehrte der Professor die Zuschauer derart euphorisch, daß es einen nicht wundern würde, wenn er heute Morgen beim Bäcker seines Vertrauens darauf lauern würde, wie viele Brötchenkäufer seinen Ratschlag bereits beherzigen.

Ins selbe Horn, wenn auch nicht mit der gleichen Begeisterung, stieß auch der aus der Erfolgsshow „Die Höhle der Löwen“ bekannte Unternehmer Frank Thelen. Zwar hält er Deutschland für „völlig überreguliert“ und die Bonpflicht in dieser Form für absurd, vor allem aber ist ihm das Ganze nicht digital genug. Der Papierverschwendung will er durch bessere Technologie entgegenwirken.

Die Legitimation von Steuern wird nicht in Frage gestellt

Keinem in der Runde scheint es in den Sinn zu kommen, einmal ganz grundsätzlich zu hinterfragen, mit welchem Recht der Staat eigentlich alle Unternehmer und ihre Kunden unter den Generalverdacht des Betruges stellt. Auch, daß die Kontrollsucht der Obrigkeit inzwischen so weit geht, daß sie von jedem Bürger die totale Rechenschaft über jede seiner Ausgaben verlangt – und zwar buchstäblich bis auf den letzten Cent, scheint niemanden der Anwesenden so richtig zu stören. Daß die Legitimation von Steuern an sich in keinster Weise in Frage gestellt wird, versteht sich von selbst.

Öffentlich-rechtliche Polit-Talkshows sind traditionell nicht der Platz für echte Grundsatzdiskussionen oder gar fundamentale Systemkritik. Eine Runde aus vermeintlichen Experten, die zum größten Teil endlich einmal nicht aus der Parteipolitik kommen, sich aber staatstreuer gebärden als sämtliche Berufspolitiker gibts in dieser Form wohl nur in Deutschland – oder allenfalls noch im chinesischen Staatsfernsehen.

Immerhin: Der Psychologe Stephan Grünewald erkennt dieses sehr deutsche Phänomen. Er attestiert den Bundesbürgern eine besonders stark ausgeprägte „heimliche Liebe“ für die Bürokratie. Dies scheint ein Stück weit auch Selbstanalyse zu sein. Denn auch der Gründer des rheingold-Marktforschungsinstituts spricht mit Blick auf die Bürokratie von einer grundsätzlich „sinnvollen Sache“. Problematisch sei allenfalls deren „Durchsetzung nach dem Führerprinzip“, die beim Bürger ein „kafkaeskes Ungerechtigkeitsgefühl“ auslöse. Eine Frau gab es, neben Moderatorin Susan Link, die immer noch die Krankheitsvertretung für Frank Plasberg übernimmt, übrigens auch in der Runde. Die NDR-Redakteurin Alicia Anker hat dabei jedoch eigentlich nur auf ihre Satire-Sendung „extra3“ hingewiesen. Das allerdings ziemlich unlustig.

Der frühere bayerische Ministerpräsident Edmund Stoiber am Montag bei hart aber fair Foto: ARD Mediathek/ JF Screenshot
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