Es war eine klassische Sandwich-Kritik, die der Internationale Währungsfonds (IWF) am gestrigen Donnerstag vorlegte. Zwischen zwei Scheiben laffem Lob war deftige Kritik an Berlin verpackt. Im 92-seitigen Länderbericht breitete der IWF aus, was das immer wieder auch in den Bundespressekonferenzen mit Verve gemalte Bild, eines belastbaren Wirtschaftsstandorts in der Mitte Europas arg ins Wanken bringen.
„Die Risiken für den Ausblick neigen sich zum Negativen“, heißt es in der Pressemitteilung. Nicht nur Trump, Brexit und Euro-Krise stellten Gefahren dar. Es geht dem Währungsfonds in seiner Kritik vor allem auch um Kernkomponenten des deutschen Wirtschaftsmotors. Zu den hausgemachten Problemen zählen beispielsweise die sinkenden Investitionen privater Akteure, die steigenden Immobilienpreise und die demographische Entwicklung.
Drei Punkte sprechen gegen Deutschland
Die deutsche Wirtschaft verdeutlicht ihre Skepsis, indem sie sich mit Investitionen zurückhält. In den 1990er Jahren lagen die privaten Investitionen noch bei rund dreizehn Prozent der Wirtschaftsleistung. Inzwischen sind sie auf elf Prozent gesunken. Und bereits diese zwei Prozentpunkte Unterschied machen große Summen aus. Jeder Euro, der von der heute finanzstarken Generation nicht investiert wird, bedeutet ein Vielfaches verpasster Chancen und Möglichkeiten für Kinder und Enkel in der Zukunft.
Ein weiteres Feld auf dem die Politik in den letzten Jahren viel Schaden angerichtet hat, ist der Immobilienmarkt. Die Mietpreisbremse hat weniger den Mietpries, als den Bau neuer Wohnungen ausgebremst. Auf der anderen Seite stiegen die Löhne, Migranten zogen zu und die niedrigen Zinsen trieben die Nachfrage nach Eigentumswohnungen in die Höhe. „Hauspreise in München, Hamburg und Frankfurt sind viel schneller gestiegen als in anderen EU-Städten“, stellte der IWF fest. Deshalb fordert er von der Bundesregierung, nun endlich die Hürden für den Neubau von Häusern zu reduzieren. Die Abschaffung der Mietpreisbremse muß der erste Schritt sein.
Doch Deutschlands größte Herausforderung sei es, so der IWF, „das Wachstumspotenzial langfristig zu erhöhen“. Seine Ökonomen haben errechnet, daß das Angebot an Arbeitskräften in Deutschland ab dem Jahr 2020 deutlich sinken werde – und dies trotz der einberechneten Zuwanderung. Zwar könne Deutschland, dank einiger Rücklagen im öffentlichen wie privaten Bereich, die Kosten dieser demographischen Abwärtsspirale für einen gewissen Zeitraum auffangen, doch das steigende Alter des durchschnittlichen Bundesbürgers bedinge eine schwächere Steigerung, wenn nicht sogar Schrumpfung der allgemeinen Produktitivät. Vor allem der Dienstleistungssektor sei hier betroffen.
Entweder Länger Arbeiten, oder mehr Einwanderung
Der Lösungsvorschlag des IWF: Renteneintrittsalter hoch – die Deutschen sollen länger arbeiten. Bereits im Mai hatte Julie Kozack, die Leiterin der IWF-Delegation in Berlin, dies offen gefordert. Entscheidend sei das Alter, in dem Menschen tatsächlich in Rente gehen.
Naheliegender ist hier jedoch, das demographische Problem mit einer zielgerichteten Zuwanderungspolitik zu bearbeiten. Deutschland und Europa brauchen, mit Blick auf den nicht zu übersehenden Migrationsdruck aus Afrika, endlich eine belastbare Migrationssteuerung. Eine defensiv orientierte Festung Europa wird der neuen Völkerwanderung nicht lange standhalten können. Die Folgen ihres Zusammenbruchs wären fatal.
Ohne eine offensive Herangehensweise – ohne eine Förderung qualifizierter Einwanderung – ist das absehbare Mißverhältnis zwischen gealterten „Bio-Deutschen“ und jungen Migranten nicht zu bewältigen. In Afrika leben schon heute mehr als 1,2 Milliarden Menschen. Bis zum Jahr 2050 wird sich diese Zahl wenigstens verdoppeln. Dann wird der Anteil der Afrikaner an der Weltbevölkerung bei über 20 Prozent liegen. Die Europäer werden dann nur noch rund fünf Prozent der Weltbevölkerung stellen. Auf dem afrikanischen Kontinent sind schon heute die Hälfte aller Menschen jünger als 18 Jahre.
Ein Migrationsgesetz muß her
Diese jungen Menschen sind es, die aufgrund der heimischen Perspektivlosigkeit der afrikanischen Ökonomien gen Europa drängen. Weltweit hat vor Jahren bereits ein „War for Foreign Talents“ begonnen. Vorbild für Deutschland können hier durchaus auch die Vereinigten Staaten sein, wo heute zwei Drittel der Leistungsträger schon einen Migrationshintergrund aufweisen.
Kanada hat auch während der Finanzkrise weiter auf qualifizierte Einwanderung gesetzt. Talente aus dem Ausland wurden hier zur kritischen Masse für Innovationen und schufen die Grundlage für neue Arbeitsplätze und neues Wachstum.
Nicht zuletzt der Wirtschaftsstandort Deutschland hängt davon ab, ob ein Einwanderungsgesetz nach kanadischem oder australischem Vorbild endlich auf den Weg gebracht wird. Mit Arbeitsverboten und Sozialtransfers für eine steigende Zahl junger, arbeitsfähiger Migranten ist dieses Problem in keinem Fall zu lösen.