Keine Fake News, vielmehr bittere Wirklichkeit. Bald 30 Jahre nach dem Mauerfall bleibt das zentrale Denkmal zur Mahnung und Erinnerung an die Opfer der kommunistischen Gewaltherrschaft ein Phantom. Eher unfreiwillig mußte die Bundesregierung jetzt einräumen, daß sie kein Konzept hat für das Denkmal, noch nicht einmal mit den Planungen begonnen hat.
Denn AfD- und FDP-Bundestagsfraktion wollten kürzlich in getrennten kleinen Anfragen von der Regierung wissen, wie weit die Überlegungen für das Vorhaben in Berlin gediehen seien. Die Bundesregierung wolle einer parlamentarischen Meinungsbildung „nicht vorgreifen“, antwortete Kulturstaatsministerin Monika Grütters allen Ernstes.
Erinnerung nur im Rahmen der Haushaltsmittel
„Wir sind ein Volk“ skandierten 1989 die glücklichen Deutschen in Ost und West. Heute streiten die Parteien noch immer über die Finanzierung, den Standort und die Errichtung eines Mahnmals. 2015 hatte der Bundestag beschlossen, eine Initiative für ein Mahnmal „vorzubereiten und zu begleiten“.
Den geringen politischen Stellenwert des Mahnmals illustriert die Auflage, das Vorhaben müsse sich „im Rahmen der zur Verfügung stehenden Haushaltsmittel“ bewegen. Es soll also bitte schön wenig kosten. Es geschah nichts. Zum Jubiläum 2019 blieb es deshalb bei der nichtssagenden Ankündigung der CDU-Politikerin, die Bundesregierung werde „selbstverständlich ebenfalls ihren Beitrag leisten, damit das Jubiläum … angemessen und würdig begangen wird“.
Diese kaum verhüllte Gleichgültigkeit der Politik gegenüber den Opfern der kommunistischen Diktatur ist nur eine Ursache dafür, daß diese sich als Opfer zweiter Klasse fühlen. So hat es der Gesetzgeber 2007 bei der Regelung der Haftentschädigung akzeptiert, daß NS-Opfer günstiger gestellt bleiben als SED-Opfer, etwa bei der Anerkennung von Gesundheitsschäden. Empört und verbittert hat diese aber, daß bei der Bemessung der Opferrente von derzeit monatlich 300 Euro die wirtschaftliche Lage des Betroffenen entscheidet.
Zusatzrenten für die Peiniger
Mit anderen Worten, wer im Laufe seines Lebens Ersparnisse angesammelt hat oder neben seiner Rente hinzuverdient, bekommt weniger oder gar keine Opferrente. Eine Bedürftigkeitsklausel im Bundesentschädigungsgesetz (BEG), das die Ansprüche der NS-Opfer regelt? Undenkbar in der deutschen Gedenkkultur, deren Vertreter – nicht selten von Parteizentralen entsandte Historiker – zusammenzucken, wenn von der DDR als zweiter deutscher Diktatur die Rede ist.
Gescheitert ist die gesellschaftliche Anerkennung der politisch Verfolgten auch an der Gerechtigkeitslücke zwischen den Tätern und den Opfern der SED-Diktatur, die sich marginalisiert fühlen. Denn Sonder- und Zusatzrenten ermöglichen den Peinigern von einst allzu oft ein komfortables Leben im verhaßten Kapitalismus. Die Verfolgten leben hingegen häufig am Rande des Existenzminimums.
Und nicht selten provozieren die Stasi-Schergen ihre gedemütigten Opfer. Zum Beispiel in der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, dem früheren zentralen Untersuchungsgefängnis des Ministeriums für Staatssicherheit. Dort haben sich in der Vergangenheit die früheren Mitarbeiter, getarnt als Geschichtslehrer, unter die Besuchergruppen gemischt, denen frühere Häftlinge die Stasi-Folterkammern zeigen. Heimliche Film- und Tonaufnahmen der Ex-Stasi-Leute sollen angebliche Widersprüche der Ex-Häftlinge aufzeigen.
„Ihr seid der elende Rest“
In der Öffentlichkeit spielen die SED-Opfer allenfalls bei Gedenktagen eine Rolle, etwa am 13. August, dem Tag des Mauerbaus. Sonst nimmt sie die Politik selten zur Kenntnis. Eine Ausnahme sei erwähnt, die noch in der Rückschau sensationell erscheint. Zum 25. Jahrestag des Mauerfalls lud Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) den Liedermacher Wolf Biermann in den Bundestag ein, den das Ost-Berliner Regime 1976 aus der DDR ausgebürgert hatte. „Ihr seid der elende Rest dessen, was zum Glück überwunden ist“, schleuderte der einstige Kommunist den erstarrten Mitgliedern der vor ihm sitzenden Links-Fraktion entgegen. Das saß.
Die DDR-Opfer beschleicht zudem das Gefühl, die Politik habe mitunter Hemmungen, die von Kommunisten begangenen Verbrechen auch als solche klar zu benennen. Ein Beispiel: Ende vergangenen Jahres wurde der Autor dieser Zeilen wegen seines Engagements für die Gedenkstätte Hohenschönhausen mit dem Verdienstkreuz am Bande ausgezeichnet.
Die würdevolle, herzliche Begegnung mit Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier im Schloß Bellevue bleibt unvergessen. Befremdlich war aber die offizielle Begründung für die Ordensauszeichnung. Daß die heutige Gedenkstätte bis 1989 für 10.000 Menschen ein Ort kommunistischen Unrechts war, blieb unerwähnt.
Und in Trier ersteht Karl Marx
Seit einiger Zeit registrieren Gedenkstätten, Forschungseinrichtungen und Zeitzeugen ein nachlassendes Interesse an der Aufarbeitung des Kommunismus. Die Ursachen dürften vielfältig sein. Diesem Trend könnte der Bundestag begegnen, indem er endlich den noch immer ausstehenden, obligatorischen Errichtungsbeschluß für das zentrale Mahnmal faßt. Geschieht in Berlin nichts, können sich die Kommunisten als späte Sieger fühlen und auf Trier verweisen.
Daß sich die Stadt Anfang Mai von der KP Chinas eine über vier Meter hohe Karl-Marx-Statue hat andrehen lassen, offenbart ein erbärmliches Geschichtsverständnis. Wertschätzung, Anerkennung und Aufmerksamkeit für die Opfer des Kommunismus finden darin keinen Platz. Wie gesagt: Keine Fake News, vielmehr bittere Wirklichkeit.
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Dr. Jörg Kürschner, geboren 1951 in Hannover, wurde 1979 am Grenzübergang Herleshausen verhaftet, als er verbotene Literatur in die DDR schmuggeln wollte. Wegen „staatsfeindlicher Hetze“ verurteilt, mußte Kürschner zwei Jahre Haft unter anderem im Stasi-Gefängnis Berlin-Hohenschönhausen verbüßen, bevor er schließlich von der Bundesregierung freigekauft wurde.
JF 35/18