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Affäre Volker Beck: Leben in einer Parallelwelt

Affäre Volker Beck: Leben in einer Parallelwelt

Affäre Volker Beck: Leben in einer Parallelwelt

Anton Hofreiter und Volker Beck
Anton Hofreiter und Volker Beck
Grünen-Politiker Volker Beck mit Fraktionschef Anton Hofreiter (l) auf dem Christopher Street Day 2015 in Köln Foto: picture alliance / dpa
Affäre Volker Beck
 

Leben in einer Parallelwelt

Nach seiner Drogenaffäre kehrt der Grünen-Politiker Volker Beck in politische Ämter zurück. Eine Phalanx von Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens warb dafür, ihn wieder mit Ämtern auszustatten. Der Fall zeigt: Die deutsche politisch-mediale Klasse lebt in einer Parallelgesellschaft, weit entfernt von der Realität.
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Die Hühnergasse in Köln galt früher als verruchter Ort. Die „Tom Tom“-Bar, ein Treffpunkt von Homosexuellen, wurde bundesweit bekannt, weil dort angeblich der Bundeswehr-General Günter Kießling gesehen worden sein sollte. Das Besuchen von Schwulen-Bars galt Anfang der achtziger Jahre als Sicherheitsrisiko. Heute steht Köln im Ruf einer Homosexuellen-Hochburg.

Die politischen Wurzeln des Grünen-Bundestagsabgeordneten Volker Beck sind in der Domstadt zu finden. Wegen Homosexualität wird hier niemand mehr verfolgt oder diskriminiert. Dafür hat auch Beck in den vergangenen Jahrzehnten mit seinem Wirken bei den Grünen und im Bundestag gesorgt.

Morgenluft schon am Tag des Rücktritts

Es scheint heute vielmehr gewisse Großzügigkeiten zu geben, für die gerade Beck wieder ein Beispiel ist. Beck wurde in Berlin mit der Droge Chrystal Meth in der Nähe des Nollendorfplatzes, einem bekannten Schwulen- und Stricher-Kiez, erwischt. Sofort trat er – mit Ausnahme des Bundestagsmandats – von allen Ämtern zurück. Erste Rehabilitationsversuche begannen schon am Tag des Rücktritts.

Eine Phalanx von Parteifreunden, Medien und Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens warb und wirbt dafür, Beck wieder mit Ämtern und Würden auszustatten. Der 55jährige, der sich als verwitwet bezeichnet (sein Lebenspartner verstarb), witterte Morgenluft und begann mit dem Wiederaufstieg: „Er fädelt sein Comeback so vorsichtig und geschickt ein, daß er es damit ins Lehrbuch für strategische Kommunikation schaffen könnte“, beobachtete die Rheinische Post.

Andere Politiker hatten weniger Glück

Andere Politiker, die sich in echte oder angebliche Affären verwickelt sahen, hatten weniger Glück. Fast schon vergessen sind Philipp Jenninger (CDU), der ehemalige Bundestagspräsident, und der frühere CDU-Abgeordnete Martin Hohmann. Beiden wurde vorgeworfen, angeblich antisemitische Reden gehalten zu haben. Nach kurzem Zappeln war die öffentliche Vorverurteilung so einhellig, daß sie ihre Ämter verloren.

CSU-Aufsteiger Karl-Theodor zu Guttenberg, damals Bundesverteidigungsminister, hatte zuviel Fremdtext in seiner Doktorarbeit – er mußte genauso gehen wie Bildungsministerin Annette Schavan (CDU); andere blieben trotz Problemen mit ihren Arbeiten im Amt. Die Ministerpräsidenten Lother Späth (Traumschiff) und Max Streibl (Amigo) kippten aufgrund von Bereicherungsvorwürfen. Und warum mußte eigentlich Bundespräsident Christian Wulff zurücktreten? Die Vorwürfe jedenfalls lösten sich in Luft auf.

Medien-Affinität als Rücktrittsversicherung

Überhaupt das Fliegen: Bonusmeilen beziehungsweise der Verdacht der privaten Nutzung kosteten Cem Özdemir (Grüne) und Gregor Gysi (Linke) die Ämter. Beiden gelang immerhin nach einer Pause der Wiederaufstieg. Der Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth (CDU) konnte die großzügige Auslegung von Dienstwagen-Bestimmungen des Bundestages nichts anhaben.

Nun heißt es, wenn zwei gleiche tun, ist das noch lange nicht dasselbe. Aber es gibt eine Systematik, von der Politiker von Süssmuth bis Beck über Gysi bis Özdemir profitieren und die Politiker von Jenninger bis Hohmann zum Abtritt zwingt. Es hat etwas mit der Vernetzung zu tun, wozu unverzichtbar eine Medien-Affinität gehört.

Die einen sind vernetzt, die anderen müssen gehn

„Cleverle“ Späth hatte abgehoben wie Streibl, Hohmann war ein Einzelgänger. Guttenberg war ein Überflieger, der weit über seinen Parteifreunden schwebte, verankert war er nicht. Übrigens auch Hans-Peter Friedrich nicht. Der CSU-Minister hatte angeblich Vertraulichkeiten über Ermittlungen gegen den SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy wegen Kinderpornographie weitergegeben. Er mußte gehen.

SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann, den der gleiche Vorwurf traf, ist bis heute im Amt. Vernetzung heißt: Es gibt genug Parteifreunde, die auch bei starkem Gegenwind solidarisch bleiben. Früher hieß das Seilschaft. Medien-Affinität heißt: Politiker, die dienstliche Termine absagen, um lieber auf Pressetreffs zu gehen, schaffen sich so Rückhalt bei Medien.

„So wichtig ist diese Drogennummer nun auch wieder nicht“

Beck hat, das muß man wissen, bei Twitter mehr „Follower“ als die Grünen-Fraktion. „Außerdem ist diese Drogennummer so wichtig nun auch wieder nicht“, relativierte die taz. Andere Zeitungen wie der Kölner Stadt-Anzeiger sprangen Beck ebenfalls bei: „Mit Crystal Meth schädigt man nur sich selbst, mit Alkohol am Steuer gefährdet man auch andere.“

Und die „wirkliche gefährliche Alltagsdroge auch im Bundestag ist der Alkohol. Ein Abgeordneter kann ihm praktisch nicht entrinnen“, schwächte die Hessische Allgemeine ab, und für die Süddeutsche Zeitung stand fest, Beck habe sich seine eigene Wirklichkeit mit Substanzen geschaffen, „die das Leben schneller, bunter und selbstzentrierter machen“.

Nachdem schon der SPD-Innenpolitiker Michael Hartmann mit Crystal Meth aufgefallen war (Hartmanns Karriere ist zu Ende), fragte die FAZ sorgenvoll: „Wissen wir, welchen Belastungen Politiker ausgesetzt sind?“ Höhepunkt der Unterstützungskampagne war ein Aufruf von über 30 in Deutschland lebenden prominenten Juden, die der Grünen-Fraktionsführung nahelegten, Beck wegen seiner Verdienste um die Aussöhnung mit Israel in seinen Ämtern zu lassen.

„Welcome Beck“ und demonstrative Solidarität

Nachdem der „Sündenfall des Moralisten Volker Beck“ (B.Z.) doch nicht so tief war, wurde aus der verschämt gestarteten Rehabilitierung ein Hochamt: „Welcome Beck“ hieß es auf dem Grünen-Landesparteitag NRW in Neuss lautstark, wo die Rheinische Post noch einen zurückhaltend agierenden Beck beobachtete: „Er mied Funktionäre und sammelte gezielt von eher unbekannten Parteifreunden Schulterklopfer ein. Etwas tuscheln, flüchtige Umarmungen, dann weiter.“

Ein paar Tage später war es mit den grünen Distanzierungen nach dem ersten Schreck endgültig vorbei: Fraktionschef Anton Hofreiter nahm Beck vor den Grünen-Abgeordneten demonstrativ in den Arm. Die Fraktion machte ihn inzwischen zum Sprecher für Menschenrechte und Religion.

„Das Privatleben geht die Öffentlichkeit nichts anderes an“

Beck selbst reitet wieder auf hohem Roß: „Solange er niemand anderem schadet, geht das Privatleben die Öffentlichkeit nichts anderes an“, ließ er über die Süddeutsche die Öffentlichkeit zu seinem Fall wissen. Zu den in Serie gegebenen Interviews von Beck fiel das im Kölner Express auf: „Diejenigen, die mich schon immer gehaßt haben, haben das Thema natürlich gegen mich verwendet. Der Mob im Internet hat das gefeiert.“ Dabei betreffe der Vorgang seine „Privatsphäre“.

Man kann das wie die Bild-Zeitung zu Recht als Abgehobenheit und Arroganz geißeln. Tatsächlich zeigt der Fall Beck mehr: Die deutsche politisch-mediale Klasse lebt in einer Parallelgesellschaft, weit entfernt von der Realität und so fremdartig für die Bürger wie die Kölner Hühnergasse für ein katholisches Ehepaar.

JF 19/16

Grünen-Politiker Volker Beck mit Fraktionschef Anton Hofreiter (l) auf dem Christopher Street Day 2015 in Köln Foto: picture alliance / dpa
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