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Türkischer EU-Beitritt: Im Schwitzkasten des Sultans

Türkischer EU-Beitritt: Im Schwitzkasten des Sultans

Türkischer EU-Beitritt: Im Schwitzkasten des Sultans

Recep Tayyip Erdoğan
Recep Tayyip Erdoğan
Türkeis Staatschef Recep Tayyip Erdoğan: Die realen Kräfteverhältnisse auf den Kopf gestellt Foto: picture alliance / ZUMA Press
Türkischer EU-Beitritt
 

Im Schwitzkasten des Sultans

Merkel ist erneutet gescheitert. Die Türkei unter Erdoğan ist als EU-Beitrittskandidat nicht mehr vermittelbar. Deutschland verpasst die Chance, eine vernünftige Distanz zur Türkei zu gewinnen. Nun übernimmt Österreich die Rolle des Schrittmachers. Ein Kommentar von Michael Paulwitz.
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Der Staatsstreich nach dem Putschversuch, den der türkische Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan mit skrupelloser Konsequenz durchzieht, erteilt Deutschlands politischem Personal eine schmerzhafte Lektion in Realpolitik. Doch mit der Lernbereitschaft hapert es gewaltig.

Denn durch das von Bundeskanzlerin Angela Merkel forcierte „Flüchtlingsabkommen“ der EU mit Ankara, das die Entscheidung über den Zutritt auf deutsches Staatsgebiet faktisch an eine fremde Macht delegiert, hat sich die Bundesregierung in einer entscheidenden Souveränitätsfrage selbst gefesselt; und das Erpressungspotential durch eine nach Hunderttausenden, wenn nicht Millionen zählende „fünfte Kolonne“ nicht oder nur oberflächlich integrierter türkischer Untertanen mit oder ohne deutschen Paß, das Erdoğan mit gerissener Kaltblütigkeit ausspielt, schreckt die politisch Verantwortlichen vor dem Ziehen der unumgänglichen Konsequenzen ab.

Die Debatte über einen möglichen EU-Beitritt der Türkei ist unter diesen Vorzeichen zum grotesken Eiertanz geworden. Niemand glaubt mehr ernsthaft an die Perspektive einer Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union, am allerwenigsten die Führung in Ankara selbst. Dennoch scheut die Bundesregierung den überfälligen klaren Schnitt und klammert sich an die imaginäre „rote Linie“ einer möglichen Wiedereinführung der Todesstrafe in der Türkei.

Milliarden Euro für eine Illusion

Als wären nicht schon die Massenentlassungen und Verhaftungswellen, mit denen nicht zuletzt die Justiz enthauptet wurde, für deren „rechtsstaatliche“ Weiterentwicklung Brüssel viel Geld nach Ankara überwiesen hat, Grund genug für das ehrliche Eingeständnis: Die Türkei Erdoğans hat in einer europäischen Staatengemeinschaft gleich welcher Form noch weniger als je zuvor verloren.

Knapp fünf Milliarden Euro an „Vorbeitrittshilfen“ sind seit 2007 von Brüssel nach Ankara geflossen, um die Türkei in Sachen Umweltschutz, Produktionsstandards oder eben Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten reif für den EU-Beitritt zu machen. Weitere viereinhalb Milliarden sind bis 2020 noch vorgesehen. Unsummen, die für eine Illusion versenkt werden. Ebenso wie die Milliarden, die der Türkei im Rahmen des EU-„Flüchtlingsabkommens“ zugesagt wurden.

Auch mit diesem sogenannten „Deal“ reitet die Große Koalition samt ihren schwarz-grünen Hilfstruppen im Europaparlament ein totes Pferd. Forderungen nach einer endgültigen Beerdigung der EU-Beitrittsgespräche und des faulen Abkommens zur Eindämmung der illegalen Migration kommen außer von der AfD und dem erratischen CSU-Chef Horst Seehofer mittlerweile auch von der FDP und von der Linkspartei.

Vernünftige Distanz zur Türkei gewinnen

Dabei bietet gerade der Erdoğan-Staatsstreich die historische Chance, das Verhältnis zur Türkei auf eine vernünftige, und das heißt: distanziertere Grundlage zu stellen. Auch die US-Interessen gefällige Verhätschelung der Türkei als Nato-Partner mit Narrenfreiheit gehört in diesem Zusammenhang auf den Prüfstand. Aus deutscher Sicht ist es in Zeiten verschärften islamischen Terrors geradezu widersinnig, das christliche Rußland zum Paria zu machen und mit Sanktionen zu belegen, der in den Islamismus abgleitenden Türkei aber weiter Milliarden zu überweisen.

Daß derlei in etablierten Politikerkreisen nicht einmal gedacht, geschweige denn international zur Sprache gebracht wird, ist ein weiteres Symptom des umfassenden deutschen Souveränitätsdefizits. Erdoğans unideologische Kehrtwende im Verhältnis zu seinem russischen Amtskollegen Wladimir Putin ist auch hier ein Lehrstück in Realpolitik ex negativo.

Reale Kräfteverhältnisse auf den Kopf gestellt

Tatsächlich ist die von Erdoğans Eskapaden nicht nur ökonomisch angeschlagene Türkei auf gute politische und vor allem wirtschaftliche Beziehungen zur EU und zu Deutschland weit dringender angewiesen als umgekehrt. Merkels verhängnisvolles „Flüchtlingsabkommen“ hat die realen Kräfteverhältnisse indes auf den Kopf gestellt.

Inzwischen bemüht sich die türkische Führung nicht einmal mehr zu verschleiern, daß es ihr bei diesem „Deal“ lediglich um die schnellstmögliche Erzwingung der Visafreiheit für ihre Bürger geht, um Europa und Deutschland dauerhaft mit gesteuerten Migrationsströmen vorführen und unter Druck setzen zu können. Das betretene Schweigen Berlins zu solchen Erpressungsversuchen und zu jedweder Grobheit, die aus Ankara an die Adresse Deutschlands geschleudert wird, ist geradezu eine Einladung zu weiteren Maßlosigkeiten.

Österreich übernimmt Rolle des Schrittmachers

Angesichts der Paralyse im politischen Berlin übernimmt ausgerechnet Österreich die Rolle des Schrittmachers bei der Neuordnung der europäischen Beziehungen zur Türkei. Das Vorpreschen des neuen Bundeskanzlers Christian Kern mit einer Veto-Drohung gegen weitere Beitrittsverhandlungen mag ebenso dem neuerlich entbrannten Präsidentschaftswahlkampf geschuldet sein wie die forsche Ansage von Außenminister Sebastian Kurz an die Adresse demonstrierender Erdoğan-Sympathisanten, wer sich in der türkischen Innenpolitik engagieren wolle, möge dies in der Türkei tun.

Beides trifft dennoch den Punkt: Deutschland muß den Irrweg von freigiebigem Familiennachzug, großzügiger Einbürgerung und Doppelpaß beenden, seinen türkischen Einwanderern die unzweideutige Identifikation mit dem Aufnahmeland abverlangen und jenen, die dazu nicht bereit sind, den Weg zurück in die Heimat weisen. Es muß die Agitation der Erdoğan-Partei AKP und ihrer Ableger sowie die Tätigkeit der von ihr kontrollierten Religionsbehörde Ditib, ihrer Moscheen und Imame ebenso unterbinden wie die Unterwanderungsbemühungen der konkurrierenden Gülen-Bewegung oder anderer islamistischer Organisationen.

Die Voraussetzung dafür ist der Wille, die Kontrolle über die Grenzen wieder selbst zu übernehmen. An dieser Frage entscheidet sich, ob Deutschland eine Zukunft als eigenständiger Staat hat – oder als waffenlos eroberte Provinz eines erneuerten osmanischen Sultanats.

JF 33/16

Türkeis Staatschef Recep Tayyip Erdoğan: Die realen Kräfteverhältnisse auf den Kopf gestellt Foto: picture alliance / ZUMA Press
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