Herr Steinhöfel, warum muß Innenministerin Faeser Ihrer Ansicht nach zurücktreten?
Joachim Steinhöfel: Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki hat sich vergangene Woche auf den Standpunkt gestellt, wenn das von Ministerin Faeser zu verantwortende Verbot der rechtsextremen Zeitschrift Compact vor Gericht keinen Bestand habe, sei ihr Rücktritt unvermeidlich. Daß solche öffentlichen Äußerungen aus den Reihen der Ampel und nicht aus der Opposition kommen, zeigt, wie umstritten Frau Faeser mittlerweile selbst regierungsintern ist. Sie ist offenkundig fachlich und intellektuell mit dem Amt überfordert.
Es kann bei der „Verfassungsministerin“ auch keine Rolle spielen, ob sie wichtige Grundrechte wie die Meinungs- und Pressefreiheit einfach nicht in ihrer Tragweite zu erfassen vermag oder ob sie sich „cäsarisch“ – so kürzlich Jan Fleischhauer – darüber hinwegsetzt. Daß ihr Ministerium den „Bericht über Muslimfeindlichkeit“ nach einer von Henryk M. Broder durch uns gegen die Bundesrepublik Deutschland erwirkten einstweiligen Anordnung des Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg eingestampft hat, verkommt da schon fast zur Randnotiz.
Herrn Kubickis Meinung in Ehren – aber wird sie dann auch zurücktreten?
Steinhöfel: Natürlich wird Frau Faeser nicht freiwillig zurücktreten. Rücktritte sind seit der Ära Merkel aus der Mode gekommen. Lieber beschädigt man weiter das Amt und die Glaubwürdigkeit der Regierung.
Steinhöfel: „Nicht nur Rücktritt der Ministerin, sondern auch verantwortlicher Beamter“
Was macht Sie denn so zuversichtlich, daß „Compact“ vor Gericht siegen wird? Immerhin ist nicht das Heft an sich verboten worden, sondern der Verein, der es trägt, und Vereine sind nicht von der Pressefreiheit geschützt.
Steinhöfel: Prognosen über den Ausgang des bevorstehenden Rechtsstreits wären unseriös, schon deshalb, weil ich die Akte und die Verbotsverfügung noch nicht gelesen habe. Daß es sich bei dem kommenden Rechtsstreit um eine für den Grundrechtsstaat eminent wichtige Auseinandersetzung handelt, ist allerdings klar. Ich bewerte das von Frau Faeser für das Verbot gewählte Verfahren aus einer Reihe von Gründen als nicht verfassungskonform. Es wird auch interessant sein zu recherchieren, wer neben der Ministerin für dieses Vorgehen in ihrer Behörde die Verantwortung trägt, zu diesem Vorgehen geraten oder es als verfassungskonform erachtet hat.
Die von Herrn Kubicki in den Raum gestellten Konsequenzen dürfen dann nicht lediglich den Rücktritt der Ministerin, sondern müssen auch die Entlassung weiterer Beamter umfassen. Frau Faeser war dabei so „klug“, in ihrer Pressemitteilung schon in der Überschrift deutlich zu machen, worum es ihr geht, nämlich nicht um ein Vereinsverbot, denn die Überschrift lautet: „Bundesinnenministerin Nancy Faeser verbietet das Magazin Compact“.
Wenn nicht das Magazin an sich, sondern „nur“ der Trägerverein verboten ist, warum darf dann eigentlich das Heft nicht weiter vertrieben werden? Immerhin ist die August-Ausgabe gerade frisch gedruckt und könnte noch in den Verkauf gehen.
Steinhöfel: Das aktuelle Verbot erfaßt auch das Heft. Solange das Verbot Bestand hat oder die Vollziehung nicht ausgesetzt wurde, ist der Vertrieb auch zukünftiger Ausgaben untersagt.
„Die Meinungsfreiheit erlaubt sehr viel mehr als Frau Faeser sich vorzustellen vermag“
Könnten Sie kurz definieren: Was darf in „Compact“ – oder einem anderen Medium – alles stehen, ohne daß es verboten werden kann? Und was müßte darin stehen, damit ein Verbot rechtens wäre?
Steinhöfel: Kurz? All das, was Artikel 5 unseres Grundgesetzes – der die Freiheit der Meinung, der Kunst und der Wissenschaft garantiert – erlaubt. Und das ist sehr viel und vor allem viel mehr, als sich Frau Faeser vorzustellen vermag. Das Bundesverfassungsgericht formuliert klar: „Die mögliche Konfrontation mit beunruhigenden Meinungen, auch wenn sie in ihrer gedanklichen Konsequenz gefährlich und selbst wenn sie auf eine prinzipielle Umwälzung der geltenden Ordnung gerichtet sind, gehört zum freiheitlichen Staat.“
Wirft man einen Blick in die Pressemitteilung des Innenministeriums, so ist dort textbausteinartig und floskelgesättigt als Verbotsbegründung all das zusammengetragen, was man sagen darf. So lautet eine tragende Erwägung für das Verbot etwa, daß es in dem Heft „verzerrende und manipulative Darstellungen“ gegeben habe. Die allerdings gibt es gelegentlich in sämtlichen Medien, gleich welcher weltanschaulichen Ausrichtung, die gibt es im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und die gibt es in den Bundestagsreden von Frau Faeser.
Vielleicht hätte die Ministerin kürzlich in der Bundespressekonferenz nicht so indigniert von „Unsinn“ sprechen sollen, als sie mit der Frage konfrontiert wurde, ob sie nicht selbst eine Gefahr für die freiheitlich-demokratische Grundordnung sei. Wenn eine Ministerin ein Pressemedium rechtswidrig untersagt, dann ist sie aber genau das. Die Gerichte werden entscheiden, ob das der Fall war.
Sie beobachten Ministerin Faeser ja schon länger, haben erst im Februar vor Gericht gegen sie gesiegt. Für wie gefährlich für unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung halten Sie sie?
Steinhöfel: Es genügt, wenn man ihre politischen Leistungen festhält: Sie ist erfolglos bei der Bekämpfung von Kindesmißbrauch, entläßt BSI-Chef Arne Schönbohm (Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik) auf Zuruf eines öffentlich-rechtlichen Pausenclowns.
Die skandalösen Fehler beim Verbot von Hamas und Samidoun wurden auch von den Sicherheitsbehörden kritisiert. Grenzsicherung, Abschiebung, Schließung des Expertenkreises Politischer Islamismus, und dann der Gratismut beim Tragen der „One Love“-Binde in Katar. Wo Faeser draufsteht, ist Amtsversagen drin.
Was halten Sie von den Reaktionen der Medien auf das Verbot? Geben Ihnen diese Hoffnung oder machen sie Ihnen eher Angst?
Steinhöfel: Ich habe in der letzten Woche bei einer Veranstaltung des Hamburger Presseclubs länger mit dem Chefredakteur des Spiegel über den Fall gesprochen, mit einem stellvertretenden Chefredakteur der Zeit sowie mit zahlreichen anderen führenden deutschen Journalisten telefoniert, ich habe viele kluge und durchdachte Texte über die Sache gelesen, in der Welt, dem Spiegel, der Zeit und in vielen anderen Medien.
Mein Eindruck ist, daß man unabhängig von der jeweiligen weltanschaulichen Ausrichtung sehr genau verstanden hat, um was es hier geht. Nämlich nicht um die Verteidigung einer rechtsextremistischen Publikation, sondern um die Frage, ob diese Machtanmaßung des Staates grundrechtskompatibel ist oder nicht.
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Joachim Steinhöfel. Der „Top-Anwalt für Wettbewerbs- und Presserecht“ (Wirtschaftswoche) und „Pitbull in Robe“ (FAZ) gilt als Vorkämpfer der Meinungsfreiheit. Er war Kolumnist bei Bild und schrieb unter anderem für die Weltwoche, den European oder den Stern. Bekannt wurde der 1962 geborene Hamburger, der seine Kanzlei in seiner Vaterstadt betreibt, zudem als Radio- und TV-Moderator auf RTL und RTL2 sowie als Werbefigur für MediaMarkt. Neben seiner Kanzlei betreibt er den liberal-konservativen Blog „Steinhöfel“ und ist Gründer der Initiativen „Meinungsfreiheit im Netz“ und „Facebook-Sperre. Wall of Shame“. Gerade erschienen ist sein Bestseller „Die digitale Bevormundung. Wie Facebook, X (Twitter) und Google uns vorschreiben wollen, was wir denken, schreiben und sagen dürfen“.