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Streit in der AfD: „Wir sollten einen Gang herunterschalten“

Streit in der AfD: „Wir sollten einen Gang herunterschalten“

Streit in der AfD: „Wir sollten einen Gang herunterschalten“

Jörg Meuthen
Jörg Meuthen
AfD-Chef Jörg Meuthen Foto: picture alliance / Sven Simon
Streit in der AfD
 

„Wir sollten einen Gang herunterschalten“

Jüngst brachte AfD-Chef Jörg Meuthen überraschend eine Trennung des Flügels vom Rest der Partei ins Spiel. Für diesen Vorstoß erntete er massive innerparteiliche Kritik. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT spricht der AfD-Bundessprecher nun von einem Fehler. Er fordert dennoch einen offenen Diskurs über die Positionierung der Partei und plädiert für einen geschlossenen programmatischen Kurs.
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Weißmann, Reich, Republik, Nachkriegsrechte

Seit einigen Wochen schon sorgt der anschwellende Richtungsstreit in der AfD für Schlagzeilen. In einem kürzlich erschienenen Interview bei Tichys Einblick brachte AfD-Chef Jörg Meuthen überraschend eine Trennung des Flügels vom Rest der Partei ins Spiel. Für diesen Vorstoß erntete er massive innerparteiliche Kritik. Gegenüber der JUNGEN FREIHEIT nimmt der AfD-Bundessprecher Stellung zu den Vorwürfen.

 

„Mensch, was du tust, bedenk das End / Das wird die größte Weisheit genennt!“ Herr Professor Meuthen, haben Sie diese fast 500 Jahre alte Empfehlung beherzigt, als Sie jüngst in einem Interview den Vorschlag machten, der „Flügel“ um Björn Höcke und Andreas Kalbitz könne sich doch als eigene Partei außerhalb, neben der AfD etablieren?

Jörg Meuthen: Eine kluge alte Weisheit, in der Tat. Ja, ich versuche die Dinge immer vom Ende her zu denken. Das ist freilich leichter gesagt als getan. Wenn Sie zum Beispiel die Perspektive eines Schachspielers nehmen, so kann der gute Spieler einige Züge in allen Alternativen vorausdenken, aber niemals das Ende des ganzen Spiels. Er kann nämlich nicht in den Kopf seines Gegners schauen und all dessen Züge antizipieren. Hier sind wir in der Politik und da haben wir es nicht mit dem Verhalten nur zweier Spieler zu tun, sondern mit sehr viel mehr Akteuren. Das Ende eines Impulses also sicher vorhersagen zu können, ist in der Komplexität unmöglich.

Was das nun ausgerechnet jetzt soll, fragen sich viele Ihrer Parteifreunde. Und besonders diejenigen, die sich wie Sie zu den bürgerlich-konservativen in der AfD zählen, reiben sich die Augen und fühlen sich vor den Kopf gestoßen. Gerade erst haben Sie mit 11 von 13 Stimmen im Bundesvorstand die „härtere Linie“ erfolgreich durchgesetzt, daß sich der „Flügel“ bis Ende des Monats auflösen muß. Jetzt, keine zwei Wochen später, sind Sie in der Defensive…

Meuthen: Ich hätte noch klarer machen müssen, daß es sich hier um einen strategischen Denkansatz handelt und nicht um eine konkrete Forderung. Das war sicherlich ein Fehler. Vielleicht war auch der Zeitpunkt für das Gespräch ungünstig. Hätten alle, die mich jetzt angreifen, genau gelesen, was ich gesagt habe und was nicht, gäbe es vielleicht diese Bedrängnis so nicht. Ich habe aber in der Tat wohl unterschätzt, daß oft nur die Schlagzeilen gelesen werden und dann vorschnell geurteilt wird. Es wurden da Dinge anders als intendiert wahrgenommen. Ich habe weder eine Spaltung der Partei gefordert, schon gar nicht eine in Ost und West, und ich habe auch nicht, wie kolportiert wird, ein Ultimatum gestellt. Ich habe einen bislang tabuisierten strategischen Denkanstoß für die Zukunft unserer politischen Ziele entwickelt, mehr nicht. Keine Forderung, kein Ultimatum. Den Weg, der eingeschlagen wird, entscheidet bei uns kein Vorsitzender, sondern die Mitglieder und das ist auch sehr richtig so.

„Es geht um Inhalte und Fragen des Stils des politischen Auftritts“

Oder ging der Beschluß des Bundesvorstands nicht weit genug? Geht es eben doch nicht um die Strukturen, um die Treffen oder die Internetpräsenz des „Flügels“, sondern um die Köpfe, ihre Sprache, die Inhalte, die sie vertreten; und die – nach Meinung nicht weniger in der Partei – die mit der CDU unzufriedenen bürgerlichen Wähler abhalten, ihr Kreuz bei der AfD zu machen?

Meuthen: Es geht letztlich immer um die Inhalte und zum Teil auch um Fragen des Stils des politischen Auftritts. Hier müssen wir schauen, ob die Summe an Gemeinsamkeiten groß genug und die programmatischen Differenzen klein genug sind, um sie in einer gemeinsamen Partei erfolgreich und stimmenmaximierend vertreten zu können. Ich habe angeregt, sich dieser wichtigen Frage ergebnisoffen zu stellen. Es geht um den Erfolg unserer leidenschaftlichen politischen Arbeit, in die Tausende Parteimitglieder, so auch ich, seit vielen Jahren ihre gesamte Arbeitskraft und Energie einbringen.

Auffällig war, daß der gegen den Flügel gerichtete Beschluß ohne große innerparteiliche Empörung wahrgenommen wurde und sogar einige „Flügler“ geradezu aufzuatmen schienen. Als Grund, warum dieses Vorgehen, das ja maßgeblich auf einer Initiative aus dem größten Landesverband beruhte, im Gegensatz zu früheren Vorstößen erfolgreich war, nennen einige in der Partei: weil es diesmal nicht gegen einzelne Personen gerichtet war und ohne die Drohgebärde eines Parteiausschlussverfahrens auskam. Nun aber wird es wieder persönlich – und die ersten Rufe werden laut: Meuthen muß weg!

Meuthen: Ich lege sehr großen Wert auf die Feststellung, daß es bei meiner strategischen Überlegung in gar keiner Weise persönlich wird. Ich greife niemanden an und grenze niemanden aus. Ich frage lediglich, ob wir alle eher gemeinsam oder auf getrennten Wegen zu maximalem politischen Erfolg gelangen. Und wenn eine Mehrheit überzeugt ist, daß das besser gemeinsam geht, dann ist das für mich völlig in Ordnung und dann wollen wir das mit dem gleichen Engagement wie bisher weiter so machen. Es enttäuscht mich ein wenig, daß einige, die ich in keiner Weise angegriffen habe, nun meinen, mich persönlich angreifen zu müssen. Aber ich kann auch damit umgehen.

Im Interview mit Tichys Einblick deuteten Sie an, von den ewigen Appellen an die Einigkeit in den eigenen Reihen genervt zu sein und sagten, man dürfe nicht „wie alte Sozialistenkader permanent das Hohelied der Einigkeit zu singen, wo man Einigkeit in vielen Politikfeldern selbst mit der Lupe suchend kaum wird erspähen können“. Doch genau das ist das Ergebnis Ihres Vorstoßes: auf einmal sind sich lagerübergreifend alle einig, daß eine Aufspaltung der AfD überhaupt nicht in Frage kommt. Haben Sie da möglicherweise genau das Gegenteil von dem bewirkt, was Sie eigentlich beabsichtigt hatten?

Meuthen: Das ist einerseits nicht auszuschließen. Andererseits ist das, falls man sich tatsächlich so einig ist, aber ja auch ein erfreulich schnelles Resultat auf meinen Diskussionsbeitrag. Es ist unübersehbar, daß der Wille zur Einheit alles andere überlagert. Und dann ist so auch vorzugehen.

„Diskursräume nicht unnötig verengen“

Nun mag ja die Idee durchaus was für sich haben, die beiden Lager, die sich in der AfD oft genug gegenseitig behindern und offenbar auch Stimmen kosten, friedlich, schiedlich zu trennen, statt es zum Showdown kommen zu lassen. Aber ist es die Aufgabe ausgerechnet eines Parteivorsitzenden, solche „Überlegungen“ öffentlich auszusprechen? Wäre das nicht eher etwas für eine Debatte – sagen wir – in der parteinahen Erasmus-Stiftung, wo man mehr Freiräume hat und Szenarien durchspielen kann?

Meuthen: Darüber mag man durchaus streiten. Ich sehe es in meiner Funktion als zulässig und sogar wichtig an, auch neue Denkanstöße zur Diskussion zu stellen. Wir Bundessprecher sind nicht als Verwalter gewählt, sondern haben auch die Aufgabe, strategisch weiter zu denken. Wenn das dann angenommen wird, ist es schön. Wenn eine Idee als nicht zielführend verworfen wird, ist das ebenso in Ordnung. Aber man muß darüber offen reden! Mein Sprecherkollege Tino Chrupalla hat unlängst auch den neuen Gedanken aufgebracht, wir müßten uns einmal selbstkritisch fragen, warum uns immer wieder so viel Übles angedichtet werden kann. Ein wichtiger Gedanke! Das gab auch eine Menge Kritik, aber ich fand und finde es richtig, einen solchen Gedanken in die innerparteiliche Diskussion einzubringen. Als Partei der Meinungsfreiheit, die wir doch sein wollen, darf man die Diskursräume nicht unnötig verengen, auch nicht für die Sprecher.

Haben Sie wirklich geglaubt, jemand aus dem Flügel wäre bereit das Wagnis einer neuen Parteigründung einzugehen? Schließlich werden immer nur „drei Buchstaben gewählt“, wie Alexander Gauland einmal feststellte…

Meuthen: Die Vertreter des Flügels sehen sich doch selbst als mutige Zeitgenossen und ihren politischen Erfolg jedenfalls in den östlichen Bundesländern mit Ergebnissen überall deutlich über 20 Prozent kann man ja gar nicht übersehen. Sie sind auch überzeugt, mit ihrem sogenannten sozialpatriotischen Kurs ein wirkliches Erfolgsrezept entwickelt zu haben. Warum also sollten sie vor diesem Wagnis zurückschrecken?

„Inhaltliche, keine geographische Unterschiede“

In einer Insa-Umfrage haben wir diese Woche gerade lesen können, daß es praktisch keinen Unterschied zwischen Wählern Ost und Wählern West beim Wunsch nach einer klaren Abgrenzung der AfD nach rechtsaußen gibt. Insofern: Liegen Sie mit Ihrer geographischen Trennlinie wirklich richtig?

Meuthen: Sehen Sie, selbst Sie haben mein TE-Interview offenbar nicht sorgfältig gelesen: Ich warne darin sogar ausdrücklich vor einer geographischen Trennung in eine West- und eine Ost-AfD. Die ließe nämlich viele frustriert zurück, hier wie dort. Ich sprach von der Möglichkeit einer inhaltlichen, nicht einer geographischen Trennlinie.

Könnte es sein, daß Ihre Überlegungen die Partei entlang der Positionierung: hier ordo-liberal, dort „sozialpatriotisch“ zu trennen, eher auf Ihrer Unzufriedenheit mit dem Kompromiß-Leitantrag zum (verschobenen) Sozial- und Renten-Parteitag fußen?

Meuthen: Nein, definitiv nicht. Ich wußte ja von vornherein, daß ich mich mit meinem durchaus radikalen Vorschlag nicht eins zu eins würde durchsetzen können. So ist das einfach mit innovativen Ansätzen, Die brauchen Zeit. Ich wollte nur den gedanklichen Ansatz auch in dem Leitantrag der Bundesprogrammkommission drin haben. Mehr ging nicht, und das wußte ich vorher. Das ist mir gelungen. Darum habe ich in der entscheidenden Sitzung zum entscheidenden Zeitpunkt auch ausdrücklich vorgeschlagen, man möge sich dem Kompromißvorschlag in großer Mehrheit anschließen. Und so kam es dann auch.

„Selbstverständlich will ich, daß die Partei geschlossen auftritt“

Was entgegnen Sie Ihren Parteifreunden, die jetzt ein Déjà-Vu haben und sich daran erinnern, wie Frauke Petry mit ihrem „Zukunftsantrag“ Schiffbruch erlitten hatte, weil sie ohne ausreichend Rückhalt in den eigenen Reihen ihren Kurs durchsetzen wollte – und dann von einem die Seele der Parteimitglieder streichelnden Jörg Meuthen ziemlich zerpflückt wurde?

Meuthen: Frauke Petry wollte mit ihrem Antrag damals mit dem Kopf durch die Wand, wie vor ihr bereits Bernd Lucke. Sie wollten die Partei erpressen, und das ist auch der Grund, warum beide gescheitert sind. Sie hielten sich beide für klüger als die Partei und versuchten mit Macht und am Ende verkrampft, der Partei ihren Stempel aufzudrücken. Diese Hybris ist mir völlig fremd. Ich habe zwar meinen freien Kopf und stehe engagiert für Positionen, die sich in den Jahrzehnten meines bisherigen Lebens entwickelt haben, aber zugleich war und ist mir immer klar, dass ich nie über der Partei stehe, sondern ehrenamtlich im Auftrag der Mitglieder arbeite, die mich dafür gewählt haben. Ich verabsolutiere nie die eigene Position, wie engagiert ich sie auch vertrete.

Nun liefert fernab der alles dominierenden Corona-Krise und ungeachtet der immer noch brisanten Migrations-Lage in Griechenland die AfD mit ihrer Selbstbeschäftigung mal wieder Stoff für Schlagzeilen. Hat der Parteivorsitzende Meuthen eine Strategie, wie er die Wogen glätten könnte – und wenn ja, wie lautet sie?

Meuthen: Wir sollten in dieser Diskussion einen Gang herunterschalten. Und zwar auf allen Seiten. Ich habe einen Diskussionsbeitrag eingebracht, der neu war und deshalb einige in Aufregung versetzt hat. Nach meiner sorgfältigen Wahrnehmung der letzten Tage gibt es dafür trotz vieler zustimmender Rückmeldungen, die ich erhalten habe, insgesamt keine Mehrheit. Die Mehrheit wünscht ganz eindeutig ein weiteres Arbeiten als eine einheitliche Partei. Selbstverständlich will auch ich, daß die Partei geschlossen auftritt, so wie sie sich auf ihren Parteitagen programmatisch aufgestellt hat. Das ist der Auftrag, dem wir alle unsere Arbeit zu widmen haben. Das werden wir nun alle gemeinsam tun. Damit ist die Diskussion beendet. Und ein letztes, die Corona-Krise lehrt uns alle, dass die Welt wie unser Land derzeit die mit sehr weitem Abstand dringlichste Aufgabe hat, die Seuche in den Griff zu bekommen. Alles andere ist derzeit dagegen nachrangig.

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Prof. Dr. Jörg Meuthen ist einer von zwei Bundesvorsitzenden der AfD und Abgeordneter im EU-Parlament.

AfD-Chef Jörg Meuthen Foto: picture alliance / Sven Simon
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