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Marc Jongen, ESN Fraktion

Interview: „Widerstand gegen die Moderne“

Interview: „Widerstand gegen die Moderne“

Interview: „Widerstand gegen die Moderne“

Nolte
Nolte
Interview
 

„Widerstand gegen die Moderne“

Steht der Islamismus in einer Reihe mit Faschismus und Kommunismus? Ernst Nolte provoziert in „Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus” mit neuen Thesen. Im Gespräch mit der JUNGEN FREIHEIT bezieht der Historiker Stellung zu den Vorwürfen seiner Kritiker: Eine Warnung vor dem Islam ist nicht der Zweck seines Buches, kann aber die Folge sein.
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Unwort, Umfrage, Alternativ

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Ernst Nolte: Der Historiker provoziert mit neuen Thesen Foto: Visiomedia

Herr Professor Nolte, Ihr neues Buch „Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus“ hat ein erhebliches, teilweise heftiges Presseecho gefunden. Jörg Lau etwa weiß in der „Zeit“ genau, was Sie damit wollen: den Nationalsozialismus relativieren. 

Nolte: Diese Rezension ist im Grunde ein antiwissenschaftlicher Boykottaufruf. Auf die Unterscheidung zwischen „relativieren“ und „relationieren“, die ich schon seit Jahrzehnten mache, hat Herr Lau offenbar nie einen Gedanken verschwendet.

Was wollen Sie wirklich?

Nolte: Was ich ursprünglich wollte, war nichts anderes als der Wunsch einer ganzen Generation: zu begreifen, wie „das“ – der Nationalsozialismus, der Zweite Weltkrieg, die „Endlösung der Judenfrage“ – geschehen konnte. Schon in meinem Buch „Der Faschismus in seiner Epoche“ von 1963 habe ich den Weg der vergleichenden Geschichtsschreibung eingeschlagen, von der ich mir mehr Gewinn an Einsicht versprach, als durch die Isolierung des Nationalsozialismus zu erreichen war.

Mit meinem Buch „Der europäische Bürgerkrieg“ von 1987 habe ich dann diesen Begriff, den ich für den Titel gewählt habe, ausdrücklich zugrunde gelegt, da er aus dem Kontext der Geschichte des 20. Jahrhunderts nicht herausgelöst werden kann. 

Versuch, Lücken zu schließen

Aber wie kamen Sie zum Islamismus?

Nolte: Ich gelangte deshalb zum Islam und zum Islamismus, weil ich der vergleichenden Geschichtsschreibung einen neuen Bereich erschließen wollte. Die neuzeitliche Geschichte des Islam und später des Islamismus gehört nämlich vor allem in den Zusammenhang der im 19. Jahrhundert beginnenden Auseinandersetzung zwischen der „westlichen“ bzw. „entwickelten“ Welt und der „unterentwickelten“ bzw. „Dritten Welt“.

Trotzdem gab es genug Ähnlichkeiten zwischen der „westlichen“ und der islamischen Welt, die die generelle Aufgabe der vergleichenden Geschichtsschreibung – Übereinstimmung so gut wie Unterschiede herauszuarbeiten – als besonders lohnend erschienen ließen. 

Wissenschaftlich nicht haltbar, aber symptomatisch war in der Mitte der fünfziger Jahre etwa die Bezeichnung Gamal Abdel Nassers als einem „neuen Hitler“, in der westliche Staatsmänner weitgehend übereinstimmten. Schließlich wollte ich aber auch mir selbst die Frage stellen, ob mein philosophischer Ausgangspunkt im Laufe meines Lebenswerkes von fünfzig Jahren eine Änderung erfahren hatte, die sich aus der Änderung der Zeitumstände ergab.

Eigentlich müßte ein Teil der „Schlußbetrachtung“ meines Buches bei den Lesern viel Verwunderung erregen, aber die betreffenden Aussagen sind weniger leicht wahrzunehmen als die simple und bloß vorläufige Entgegensetzung von „Moderne“ und „Zurückgebliebenheit“ oder von „säkular“ oder „religiös“.  

Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, der Islamismus diene Ihnen nur als Vorwand, um sich am Staat Israel abzuarbeiten. Tatsächlich spielt dieser über weite Strecken Ihres Buches eine große Rolle.

Nolte: Das ist nicht unrichtig, aber der Vorwurf, ein anti-israelisches Buch geschrieben zu haben, ist unzutreffend. Der Ansatzpunkt ist ein anderer: Der Islamismus kann einfach ohne die Einbeziehung des Zionismus nicht verstanden werden. 

Tatsächlich gibt es islamistische Bewegungen, bei denen Israel kaum eine Rolle spielt.

Nolte: Das läßt sich nicht leugnen, aber für den allbekannten und überwiegend arabischen Islamismus hatte der Zionismus entscheidende Wichtigkeit. Schon 1948 kämpfte eine „Parteitruppe“ der Muslimbrüder, einer der ältesten und wichtigsten aller islamistischen Bewegungen, in Palästina gegen den entstehenden Staat Israel.

Dieser Kampf hat die Islamisten zuweilen sogar über sich selbst in die Irre geführt, weil nicht wenige zu der Meinung gelangen, der Zionismus sei ihr einziger Feind, während sie in Wirklichkeit einen viel mächtigeren Gegner vor sich haben: die „westliche Moderne“. 

Das heißt, gäbe es keinen Staat Israel …

Nolte: … dann wäre das zentrale Problem des Islam, nämlich die von ihm selbst so stark empfundene Zurückgebliebenheit gegenüber dem Westen, dennoch vorhanden. Mit anderen Worten: Israel ist nicht die Ursache für den Islamismus, aber es hat ihn wesentlich verstärkt und verschärft. Deshalb ist jeder Versuch, den Islamismus ohne den Blick auf den Zionismus zu verstehen, ein Irrweg oder sogar ein propagandistisches Unternehmen.

Sie sprechen von Islamismus. Welche Rolle spielt aber der Islam an sich?

Nolte: Der Islamismus ist das, was bei uns die christlichen Kirchen, insbesondere die katholische, einmal waren: eine Institution des Widerstands gegen die säkularisierte Moderne. Allerdings war dieser Widerstand von seiten der christlichen Kirchen nie von solcher Entschiedenheit wie heute der des Islam. Christentum und „Aufklärung“ waren in Europa keine Gegensätze, die einander unbedingt ausschlossen; es gab ja die starke Tendenz einer christlichen Aufklärung. 

„Rückkehr der Konzeption der ‘jungen’ und ‘alten’ Völkern“

Weniger entwickelte Kulturen gibt es viele, warum hat ausgerechnet der Islam die „dritte Widerstandsbewegung“ hervorgebracht?

Nolte: Die Kulturen Afrikas, Amerikas und Australiens waren dazu gewiß zu schwach. Anders sah es in Asien aus, zumal in China. Aber es gibt Gründe, warum das Verhältnis zwischen dem Westen und dem Islam besonders prekär ist: Seit dem Mittelalter steht der Islam in engem Kontakt mit dem Okzident, ja er war diesem jahrhundertelang in vieler Hinsicht überlegen. Eben deshalb empfindet der Islam seine heutige Lage sehr stark als einen Zustand des Abstiegs. Und so sind dort die Reaktionen auf den Westen stärker und heftiger als anderswo.  

Die These Ihres Buches läßt sich so zusammenfassen: Die westliche Moderne hat Kommunismus und Faschismus als Gegenbewegung provoziert. Nach 1945 ist ein Tropfen dieser Moderne im islamischen Raum als Staat Israel geronnen. Dort hat dieses Einsprengsel die gleiche Reaktion provoziert: eine radikale antiwestliche Widerstandsbewegung, den Islamismus. 

Nolte: Machen Sie nicht den zweiten Schritt vor dem ersten. Zunächst ist aus dem Islam heraus eine Haltung artikuliert worden, in der es um die Frage der „entwickelten“ zur „unterentwickelten“ Welt geht. Und schon  vor dem Zionismus tauchte eine der großen Paradoxien auf, die es nicht zuläßt, die Situation mit vereinfachten Begriffen wie „Fortschritt“ und „Reaktion“ zu charakterisieren.

Der Islam besitzt eine demographische und missionarische Potenz, in der die Konzeption der faschistischen Bewegung von den „jungen“ und den „alten“ Völkern wieder auftaucht. Wenn die Völker des Westens, wie nicht wenige Muslime behaupten, tatsächlich „sterbende Völker“ und die Muslime eine ständig wachsende „Umma“ sind, dann repräsentiert der Islam trotz aller technischen Zurückgebliebenheit den wahren Fortschritt, nämlich das aufsteigende Leben. 

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Welche Rolle spielt also Israel genau?

Nolte: Im ganzen gesehen, ist der Zionismus weit mehr als nur ein Phänomen der westlichen Moderne und dann in der politischen Realität eines von deren Einsprengseln. Er wollte von Anfang an die Rückkehr eines vor langer Zeit aus seiner Heimat vertriebene Volkes zur „Natürlichkeit“ und Normalität der physischen und vornehmlich landwirtschaftlichen Arbeit sein, um „ein Volk wie die anderen Völker“ zu werden. Er wollte also von der Abstraktheit eines bloß intellektuellen Daseins fortkommen.

Ein solches Ziel hat natürlich keine weltpolitische Bedeutung. Diese erwuchs erst aus dem Widerstand einer ganzen Kultur, eben des Islam, gegen eine Rückkehr nach Palästina, welche mit einer fast 2.000 Jahre entfernten Vergangenheit begründet und von Großbritannien sowie dann von den USA unterstützt wurde. Aber nicht nur darauf habe ich meine Aufmerksamkeit gerichtet, sondern gerade auf den Charakter des Zionismus als Teil der „westlichen Fortschrittlichkeit“, die für den ganzen Islam eine Herausforderung darstellt. 

Wollen Sie vor dem Islam warnen, oder wollen Sie um Verständnis für ihn werben? 

Nolte: Ein Buch, das lediglich „warnen“ will, kann keine wissenschaftliche Abhandlung sein. Eine solche muß auch jene Merkmale darstellen und analysieren, die eventuell wie weiße Punkte in einem auf den ersten Blick ganz „schwarzen“ Phänomen zu entdecken sind. Das eklatanteste Beispiel ist der Nationalsozialismus.

Daß gerade in Hinsicht auf Adolf Hitler der Wille zur Gerechtigkeit alles andere als selbstverständlich ist und also „schwer errungen“ sein muß, versteht sich von selbst. Aber wer „Ungerechtigkeit“, nämlich alleinige Berücksichtigung des Verfehlten, Abstoßenden und Verbrecherischen zum Ziel macht, schließt den Nationalsozialismus aus dem Bereich des „Menschlichen“ aus, das verstanden und dann verurteilt werden kann, und macht ihn zu einem absolut Bösen, mit dem es kein „sym-pathein“, kein Mit-Empfinden geben kann.

Wer so mit Hitler verfährt, muß sich dann aber sagen lassen, daß dieser in „den Juden“ das „absolut Böse“ erblickte und sie deshalb aus der Menschheit ausstoßen wollte. „Sym-pathein“ ist dabei nicht dasselbe wie „sympathisieren“ im üblichen Wortsinn. In dem recht verstandenen Sinne frage ich nach dem „Verstehbaren“ auch im Islamismus. Eine „Warnung“ kann die Folge, sie darf aber nicht der primäre Zweck sein.

Nationalsozialismus sieht in der „westlichen Moderne“ Auflösung 

Kommunismus und Faschismus haben die Moderne gefeiert, der Islam dagegen betont die Tradition. Passen Kommunismus, Faschismus und Islamismus überhaupt in eine Theorie?  

Nolte: Kommunismus und Faschismus haben „die Moderne“ gerade nicht in dem Sinne gefeiert, wie es der liberale Progressivismus tat und tut. Der Kommunismus kritisiert den Kapitalismus, dem man doch Modernität keinesfalls absprechen darf, als einen Zustand der Entfremdung, Entpersönlichung und Ausbeutung auf das schärfste. Und der Nationalsozialismus sieht in der „westlichen Moderne“ Auflösung und Dekadenz.

Kommunismus und Faschismus haben beide einen traditionalen Kern, und ich habe das in den ersten Kapiteln meines Buches sehr deutlich herausgearbeitet. Aber sie waren nicht so sehr „Widerstand“, wie es der Islamismus sein will, und insofern ist dieser ein Paradigma, das aber dennoch für sich in Anspruch nimmt, in einem höheren Sinne „modern“ zu sein.

Es gibt islamische Intellektuelle, die behaupten, was Karl Marx gesagt habe, habe Mohammed längst vorher gesagt. Auch hier stößt man auf eine jener Paradoxien, von denen die Geschichte voll ist.

Kommunismus und Faschismus haben ihren Widerstand zunehmend aggressiv vorgetragen. Was ist in Zukunft vom Islamismus zu erwarten?

Nolte: Daß der Islamismus jemals für die Welt eine so gefährliche Angriffskraft entwickeln könnte wie der Kommunismus und der Nationalsozialismus, ist so gut wie ausgeschlossen, denn dafür sind sogar in dem für ihn günstigsten Falle seine militärischen Ressourcen zu begrenzt und zu einseitig.

Ein Argument allerdings, das noch vor wenigen Jahrzehnten evident zu sein schien, läßt sich nun nicht mehr halten: nämlich daß der Islamismus anders als die beiden älteren Bewegungen keine Anhänger innerhalb der gegnerischen Länder habe. Das ist durch die Massenimmigration anders geworden.

Der Westen hat Faschismus und Kommunismus besiegt. Wie wird das Ringen mit dem Islamismus ausgehen?

Nolte: Ich halte die Anziehungskraft der „westlichen Lebensweise“ für so mächtig, daß der Islamismus auf mittlere Sicht einen aussichtslosen Kampf führt und schließlich unterliegen wird – sofern sich nicht die Situation aus diesem oder jenem Grunde fundamental ändert. 

Was, wenn der Westen am Ende tatsächlich siegt? Kommt dann das Ende der Geschichte?

Nolte: Vielleicht bliebe dann tatsächlich unsere Supermarkt-Zivilisation, wie man sie nennen könnte, übrig. Diese Bezeichnung  möchte ich nicht von vornherein negativ verstanden wissen, denn es handelt sich dabei um eine partielle Realisierung der utopischen Vorstellungen des Frühsozialismus.

Wenn aber am Ende die Weltgesellschaft nur aus Menschen bestehen sollte, die nichts Wichtigeres kennen als diese Art von Moderne und Zivilisation, dann würde man wohl feststellen müssen: Ein solches „Ende der Geschichte“ wäre für die Menschheit ein unwürdiges Ende, und es könnte eine „Nostalgie nach der Geschichte“ aufkommen. 

Prof. Dr. Ernst Nolte: gehört zu den großen Geschichtsdenkern des 20. Jahrhunderts. Mit seinem Werk „Der Faschismus in seiner Epoche“ revolutionierte der Berliner Historiker 1963 das Verständnis vom Nationalsozialismus. Eng verknüpfte er dessen Deutung mit dem Kommunismus, dem sich Nolte ebenfalls intensiv widmete.

Beide Phänomene faßte er schließlich in seiner Idee von einem „europäischen Bürgerkrieg“ zusammen. Dabei wird Nolte im Ausland weit mehr Anerkennung zuteil als in Deutschland, wo sich 1986 an seinem FAZ-Aufsatz „Vergangenheit, die nicht vergehen will“ der „Historikerstreit“ entzündete, der zu Noltes Ächtung führte. Geboren wurde Nolte 1923 in Witten.  

Mit seinem neuen Buch „Die dritte radikale Widerstandsbewegung: Der Islamismus“ (Landtverlag) hat Nolte erneut heftige Reaktionen provoziert: Die Zeit nennt den Band „beachtlich“, aber auch eine „verstörende geschichtsphilosophische Spekulation“.

Für die Süddeutsche Zeitung ist Noltes Interpretation „griffig“, jedoch geprägt von geschichtspolitischen „Entgleisungen“, die das Blatt dazu provozieren, Nolte als „schlichtes Gemüt“ zu beschimpfen. Während Walter Laqueur in der Welt erbost zu Protokoll gibt, Nolte verhebe sich am Islamismus, fragt sich Michael Stürmer im Deutschlandradio, ob Nolte sich nicht als „Retter des Abendlandes“ erweisen könnte.

Und während die FAZ Noltes „spekulative Kühnheit“ lobt, spricht Deutschlandradio Kultur von einem „eindrucksvollen Gemälde“, das „die Sicht auf das 21. Jahrhundert eröffnet“. Für die Zeitschrift Sezession schließlich liegt ein „großes Werk“ vor, erfüllt vom „Pathos des Verstehenwollens, das auf den Zeitgeist immer verstörend wirkt“.

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