Im Juli 1984 erschien im legendären FAZ-Magazin ein Essay mit dem Titel „Zyniker in Sant’ Andrea: An Machiavellis Schreibtisch“. Ein Text mit gewissem Tiefgang und kennerischen Anspielungen, gut geschrieben und ausgewählt illustriert. Der Verfasser Herfried Münkler, 1951 in Hessen geboren und jüngst für sein bemerkenswertes Buch „Die Deutschen und ihre Mythen“ mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet, war damals ein junger Politikdozent und gerade dabei, sich einen Namen zu machen.
Machiavelli war ein etwas heikles Thema in der alten Bundesrepublik mit ihrer Neigung zum Hochmoralischen, und Münkler leistete einen Balanceakt zwischen Erlaubtem und Verbotenem. Natürlich ging es nicht um eine Apologie, aber es war doch zu erkennen, daß der Autor zur wohlfeilen Verdammung des bösen Florentiners spöttische Distanz hielt. Manches von dem, was Münkler hier ansprach, war schon Gegenstand seiner wissenschaftlichen Arbeiten gewesen – Geschichtsphilosophie und politisches Denken bei Machiavelli –, hat ihn aber auch in Zukunft beschäftigt: das prekäre Verhältnis zwischen Politik und Ethik, die Funktion von Gewalt und Herrschaft, die Rolle des Irrationalen in der Geschichte. Noch wichtiger als in bezug auf den Inhalt ist der frühe Text indes für Münklers Denkstil, den zweierlei kennzeichnet: Andeutung und Konsequenzvermeidung.
Beides bedarf der Übung, und vielleicht erklärt eine gewisse Unvorsichtigkeit in jungen Jahren die späte Berufung Münklers auf einen Lehrstuhl – 1992 an die Humboldt-Universität Berlin. Aber mit dem Wirklichkeitsschub, der seit Beginn der neunziger Jahre auch in der Bundesrepublik spürbar wurde, entwickelte sich seine eindrucksvolle akademische und öffentliche Karriere parallel zur Veröffentlichung einer Reihe ausgesprochen erfolgreicher Buchprojekte: „Die neuen Kriege“ (2002), „Imperien“ (2005), nun „Die Deutschen und ihre Mythen“ (2009). Münkler versteht es, auf die Agenda zu reagieren, immer etwas schneller als seine Konkurrenten, mit etwas gewagteren Interpretationen, die die Tabus des westdeutschen Konsens berühren, aber nicht verletzen, die jenes Pikante haben, das Interesse an verbotenen Gedanken weckt, aber nicht zu weit gehen, wie das die mehr (Carl Schmitt) oder weniger (Martin van Creveld) Verfemten tun, die Münkler zweifellos gelesen und ausgewertet hat, die er aber bestenfalls in seinen Fußnoten erwähnt.
Sollte es irgendwann in ferner Zukunft eine Geistesgeschichte der deutschen Nachkriegszeit geben, müßte ein Kapitel der „Kryptorechten“ gewidmet werden. Darunter wären all diejenigen zu fassen, die unter normalen Umständen von ihren Überlegungen zu einer konservativen oder darüber hinausgehenden Position auf der Rechen hätten geführt werden müssen, die aber alles taten, um diese Folgerung zu vermeiden. Das wird man dann – je nachdem, wie es ausgeht – entweder sehr intelligent oder sehr feige nennen.