Herr Professor Kubyschkin, Beobachter kommentieren dieser Tage: „Der Krieg im Kaukasus ist eine echte globale Krise.“ Kehrt jetzt der Kalte Krieg zurück? Kubyschkin: Zunächst mal kehrt viel Rhetorik im Stil des Kalten Krieges zurück. Viele Amerikaner betrachten den Konflikt als Verteidigung der „georgischen Demokratie“ gegen „russischen Autoritarismus“. In Rußland dagegen geraten die westlich gesonnenen Liberalen unter Druck, weil es heißt: „Da sieht man, was von der Demokratie kommt! Dem georgischen Vormarsch fallen 1.600 Menschen zum Opfer, und Saakaschwili wird von den USA unterstützt. Seht die Doppelmoral!“ – Dem ist ja auch nur schwer zu widersprechen. Aber das eigentliche Opfer sind nach meiner Ansicht die Hoffnungen, die wir uns auf beiden Seiten gemacht haben, in Zukunft besser miteinander auszukommen, als dies lange Zeit zwischen unseren Ländern der Fall war. In Georgien geht es Moskau allerdings nicht wirklich um Südossetien und Abchasien? Kubyschkin: Nein, das eigentliche Ziel der russischen Operation in Georgien ist, die Sphäre des russischen nationalen Interesses zu definieren und dem Westen den Rubikon zu zeigen, den er nicht überschreiten darf. Rund fünfzehn Jahre lang galt Rußland international als Weichei, als schwaches Land, das nicht mehr in der Lage war, seine nationalen Interessen geopolitisch wirksam zu formulieren. Die russische Reaktion muß also verstanden werden als Antwort auf die Traumatisierung unseres Landes, die wir in den neunziger Jahren erfahren haben. Die Politik Präsident Putins war von Beginn darauf ausgerichtet, diesem Trauma zu begegnen und Rußland wieder einen Platz im Reigen der Großmächte zu sichern. Also ist der Krieg keine Folge kaukasischer Grenzkämpfe, wie offiziell dargestellt? Kubyschkin: Nun, konkret ausgelöst hat die Krise schon Georgiens Präsident Saakaschwili. Aber es stimmt, im Grunde wurzelt die Georgien-Operation in der Politik Putins, sie steht in deren Kontinuität. Moskau hat Washington lange zugebilligt, die georgische Demokratie zu organisieren, gut. Aber die USA haben dies gegen die nationalen Interessen Rußlands getan. Das konnte sich Moskau nicht gefallen lassen und mußte früher oder später die Gelegenheit nutzen, um ein Exempel zu statuieren. Denn die Politik der USA ist darauf gerichtet, in den Ländern der ehemaligen Sowjetunion demokratische Institutionen nach ihrem Gusto zu installieren und damit Rußland quasi zu umgeben. Im Grunde ist dieser Konflikt kein Ringen zwischen Dmitri Medwedew und George W. Bush, sondern zwischen Wladimir Putin und Hardlinern im Weißen Haus wie Richard Cheney – ein Schattenboxen im Stil des Kalten Krieges. Daß es aber auch anders geht, zeigt etwa die Politik Deutschlands: Berlin verhält sich auch prowestlich, formuliert aber mit viel mehr Verständnis für Rußland als die USA. Diese denken nun offen über eine internationale Bestrafung Rußlands nach. Kubyschkin: Präsident Bush sprach ja sogar anfangs von US-Schiffen und Flugzeugen, die zur Unterstützung Georgiens entsandt werden könnten. Aber davon ist längst keine Rede mehr. Washington hat sich einfach verschätzt. Man hat den Fehler gemacht, zu glauben, man könne einfach Demokratie der Marke USA nach Georgien exportieren, ohne sich um die Tradition, Geschichte und die wahren soziokulturellen Verhältnisse im Land zu scheren: Baukasten-Demokratie, als ob es sich um Georgia in den USA, nicht um Georgien im Kaukasus handeln würde. Schon in der Ukraine ist ihre Orange Revolution schnell verblüht, und so wird es wohl nun auch ihrer Rosenrevolution in Tiflis gehen. Wird die Krise sich als Meilenstein auf dem Weg Rußlands zurück zur Supermacht erweisen? Kubyschkin: Nein, denn eine globale Supermacht zu sein, ist nicht mehr das, was den Russen vorschwebt. Vielmehr geht es um ein neues Rußland. Seit dem 14. Jahrhundert verfolgte Rußland die Maxime der „Sammlung der russischen Erde“. – Jetzt soll sich der russische Imperialismus einfach in Luft aufgelöst haben? Kubyschkin: Was die Russen heute wollen, ist Wohlstand, Unabhängigkeit und Freiheit für Rußland. Obwohl fast 75 Prozent der Russen die Politik der georgischen Regierung verurteilen, haben nur 61 Prozent die Operation in Südossetien unterstützt. Das zeigt, daß den Russen der Sinn nicht nach Eroberung steht. Die Propaganda hierzulande konzentriert sich zudem voll und ganz auf die humanitären Aspekte der Mission, nicht auf die militärischen. Es geht also in den Augen der Russen um eine Hilfsaktion, nicht um einen Eroberungszug. Unter dessen Deckmantel man am liebsten die 1991 mit der Auflösung der Sowjetunion verlorengegangenen Gebiete zurückholen würde? Kubyschkin: Nein, da machen Sie sich falsche Vorstellungen. Jeder ernst zu nehmende Politiker in Moskau weiß heute, daß zum Beispiel die ukrainische Frage eine rein juristische und keine militärische mehr ist. Die Ukrainer mögen einen Moment lang gezittert haben, als jetzt die russischen Truppen nach Südossetien vorgestoßen sind, aber vor vierzig Jahren hat auch die Regierung in Wien gezittert, als 1968 Warschauer-Pakt-Truppen in die Tschechoslowakei einmarschierten, dabei bestand nie Gefahr für Österreich. Der versprochene Abzug der russischen Truppen stockt, was hat Rußland langfristig mit Südossetien und Abchasien vor? Kubyschkin: Wenn überhaupt, dann sehe ich diese in Zukunft maximal als unabhängigen Staat unter russischem Schutz. Abchasien vielleicht einmal als Mitglied der Russisch-Weißrussischen Union. Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn hat Polen wegen der am Freitag letzter Woche vereinbarten Aufstellung von US-Abwehrraketen mit einem Militärschlag gedroht: Die russische Militärdoktrin erlaube unter bestimmten Umständen auch einen Nuklearangriff, zitierte ihn die Moskauer Nachrichtenagentur Interfax. Kubyschkin: Die Russen fühlen sich bedroht. Sie haben erlebt, daß sich die Abrüstung der neunziger Jahre für sie als Nachteil erwiesen hat. Denn Rußland zog Zigtausende von Soldaten aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion ab – doch bald darauf standen US-Soldaten oder wenigstens US-Berater in diesen Ländern. Man fühlte sich ausgetrickst. Und nun wollen die Amerikaner dort sogar Raketen installieren. Sowjetunion? Zarenreich? Sie sprachen vorhin von einem „neuen Rußland“, was meinen Sie damit? Kubyschkin: Die Russen wollen weder die Sowjetunion zurück noch den zaristischen Imperialismus – aber eben auch nicht die neunziger Jahre. Was sie wollen, ist ein Machtstaat, aber kein Reich. Eine Großmacht, aber keine Supermacht. Man will Macht, weil dies als Voraussetzung dafür betrachtet wird, daß Rußland selbständig und unabhängig ist, daß das Land in Sicherheit leben und seine nationalen Interessen durchsetzen kann – daß Rußland in der Welt wieder ernst genommen wird. Während sich – wie Sie sagen – die ehemalige Weltmacht Rußland mit der Rolle als einfache Großmacht begnügen will, wächst das globale amerikanische Imperium weiter. Fühlt sich Rußland da nicht herausgefordert, vielleicht gar bedroht? Kubyschkin: Herausgefordert natürlich. Allerdings muß man feststellen, daß sich die USA längst im Gespinst ihrer imperialen Wucherung verheddert haben. Afghanistan, Irak und die Dauerkrise um den Iran – um nur die Brennpunkte zu nennen – überlasten Amerika doch im Grunde schon. Zudem stehen die ehemaligen Länder der Sowjet-union trotz des US-Engagements dort nicht gerade ganz oben auf der außenpolitischen Interessenliste Washingtons. Schon haben sie dadurch Ärger, den sie gar nicht gebrauchen können: Ihr Verbündeter Saakaschwili bringt sie in Schwierigkeiten, und ihre hilflose Reaktion zeigt, daß sie hier bereits an ihre Grenzen stoßen. Wie wird also – nach der großen Rivalität im 20. Jahrhundert – im 21. die Beziehung zwischen beiden Mächten aussehen? Kubyschkin: Ideologie wird in ihrem Verhältnis nur noch in der Rhetorik eine Rolle spielen. Tatsächlich aber werden pragmatische strategische Gesichtspunkte bestimmend sein. Nach den US-Wahlen im November, wenn man in Moskau weiß, mit wem man es in Washington zu tun hat, wird man sich wieder näherkommen, denn es gibt heute einfach keinen ideologischen Gegensatz mehr zwischen Ost und West, der einer begrenzten Krise wie der im Kaukasus eine globale Dauerhaftigkeit verleihen könnte. Und was Rußland angeht: Außenminister Sergej Lawrow hat bereits deutlich erklärt, daß ein dauerhafter Konflikt mit den USA einfach nicht im nationalen Interesse Rußlands ist. Ihr Institut in Wolgograd arbeitet zusammen mit dem Washingtoner Center for Strategic and International Studies (CSIS), einer der führenden US-Denkfabriken für Geopolitik. Was kann dabei überhaupt herauskommen, wenn Sie sich mit Ihren US-Kollegen gemeinsam Gedanken machen? Schließlich sind Sie trotz allem doch „natürliche“ Konkurrenten. Kubyschkin: Ach, das sind schon interessante Kontakte und Projekte. Sicher sehen wir die Welt aus unterschiedlicher Perspektive, aber wir sind doch auch alle Akademiker, und internationaler Austausch ist akademische Routine. Ich schätze unsere Verbindung sehr. Natürlich dient das Denken des CSIS dazu, ein amerikanisches 21. Jahrhundert zu planen, aber wir sind nicht naiv und wissen den russischen Standpunkt zu formulieren. Die Diskussion bringt uns alle weiter. Prof. Dr. Alexander Kubyschkin: ist Direktor des Instituts für Amerikastudien und des Instituts für Eurasien-Studien der Staatsuniversität von Wolgograd. Der Historiker und Professor für Internationale Studien, Jahrgang 1950, ist Mitglied der russischen Akademie der Geisteswissenschaften in Sankt Petersburg, des Internationalen Instituts für Strategische Studien in London und war Fellow am George F. Kennan-Institut in Washington D.C. Kalter Krieg: Obwohl der Beginn offiziell auf 1947 datiert wird, setzt die Auseinandersetzung bereits 1917 ein: Mit der russischen Oktoberrevolution beginnt der ideologische Konflikt zwischen Ost und West – im Westen noch vor allem von Großbritannien statt den USA getragen. Nachdem die Westmächte erfolglos versucht haben, den Kommunismus mit Expeditionstruppen zu stürzen, wird die UdSSR außenpolitisch ausgegrenzt. Erst 1924 kommt es zum Frieden mit Großbritannien und Frankreich, die Anerkennung durch die USA gelingt erst 1933, die Aufnahme in den Völkerbund 1934. Wegen des Angriffs auf Finnland muß Moskau ihn 1939 aber wieder verlassen. Von 1941 bis 1945 überdeckt die „Anti-Hitler-Koalition“ die Gegensätze erneut. Mit der „Truman-Doktrin“, in der sie erklären, „alle freien Völker zu unterstützen“, gehen die USA 1947 wieder auf antisowjetischen Kurs. Nach Phasen der Stellvertreterkriege, relativer Entspannung und des Rüstungswettlaufs kündigt sich das Ende der Konfrontation 1986 mit dem Gipfeltreffen zwischen Reagan und Gorbatschow in Reykjavík an. Formell wird der Kalte Krieg am 21. November 1990 mit der „Charta von Paris“ beigelegt. Warschauer Pakt, RGW und Sowjetunion werden 1991 aufgelöst. Foto: Russische Soldaten auf dem Vormarsch (am 11. August nahe Zugdidi in Abchasien/Georgien): „Die Russen wollen, daß ihr Land in der Welt endlich wieder ernst genommen wird“ weitere Interview-Partner der JF
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