Herr Professor Hänsch, wie steht es tatsächlich um den „Forschungsstandort Deutschland“? Hänsch: Trotz aller Schwächen steht Deutschland so schlecht nicht da. Sie haben 2005 den Nobelpreis für Physik bekommen – wegen oder trotz des Forschungsstandorts Deutschland? Hänsch: Zweifellos habe ich die Vorteile des Standorts Deutschland genossen, insbesondere die Möglichkeiten, die mir die Max-Planck-Gesellschaft geboten hat. Ich gehe sogar so weit zu sagen, daß die Art Forschung, die ich in den letzten Jahren gemacht habe, mir so in den USA nicht möglich gewesen wäre. Warum? Hänsch: Weil man in den USA kurzfristige Versprechen machen muß. Grundlagenforschung aber, wie ich sie betreibe, kann naturgemäß keine schnellen Erfolge und Nutzanwendungen bieten. Daher ist diese Forschung in den USA schwierig. Also ist Deutschland noch das Land der Tüftler, Bastler und Erfinder? Hänsch: Ich glaube ja. Wir müssen uns nicht verstecken. Wenn es etwa darum geht, an US-Spitzenuniversitäten wie Harvard, Stanford oder dem Massachusetts Institute of Technology (MIT) Stellen zu besetzen, sind sehr oft deutsche Kandidaten im Spiel. Reden wir unser Land gern schlecht? Hänsch: Der Forschungsstandort Deutschland hat seine Tugenden, die wir vielleicht manchmal nicht genug würdigen. Nun hat man als Wissenschaftler aber natürlich das Interesse, die Situation für die Forschung stets zu verbessern. Dazu muß man die Mängel aufzeigen, was wiederum fast zwangsläufig dazu führt, daß die Lage in schlechtem Licht erscheint – sprich, daß die Verhältnisse ein Stück weit „schlechtgeredet“ werden. DIHK-Präsident Ludwig Georg Braun äußerte: „Der Forschungsstandort Deutschland hat Risse bekommen.“ Hänsch: Die Frage ist, worauf sich diese Kritik konkret bezieht. Es gibt ja verschiedene Verantwortliche: Die Politik, die sich fragen lassen muß, ob sie die entsprechenden Rahmenbedingungen schafft. Die Wirtschaft, die sich fragen lassen muß, ob sie ausreichend in Forschung investiert und sie effektiv vermarktet. Die Bildung, die die grundlegende Voraussetzung für die Forschung darstellt. Und nicht zuletzt die Forschung selbst, die sich fragen lassen muß, ob ihre Strukturen und ihre Mentalität zeitgemäß sind. Sie sind Direktor einer solchen Forschungseinrichtung, des Instituts für Quantenoptik der Max-Planck-Gesellschaft, die am 26. Februar ihren sechzigsten Geburtstag feiert. Sind „Strukturen und Mentalität“ noch zeitgemäß? Hänsch: Um Institutionen wie die Max-Planck-Gesellschaft beneidet man uns weltweit. Denn sie ermöglicht ambitionierten Forschern, auch risikoreiche Projekte mit langfristigem Horizont anzugehen. Es wäre aber schön, wenn wir uns in Deutschland auch so etwas wie die Stanford-Universität in den USA leisten könnten. Sie haben dort 16 Jahre gelehrt, wurden sogar zum „Wissenschaftler des Jahres“ gewählt. Hänsch: Ich kenne in der Tat den deutschen wie den amerikanischen Forschungsstandort aus eigener Anschauung: Das Problem ist, daß eine Einrichtung wie Stanford in unseren deutschen Rahmen wahrscheinlich gar nicht hineinpassen würde. Inwiefern? Hänsch: Dort versammeln sich Menschen, die gerne „loslegen möchten“, die sich auf die Fahne geschrieben haben, die Welt zu verändern. Unser deutsches Selbstverständnis an den Hochschulen geht dagegen noch oft auf die Kaiserzeit zurück: Wir glauben vor allem, wir müßten in erster Linie gute Untertanen sein. Ganz abgesehen von 1968 – wollen wir nicht genau dahin? Gerade zur Kaiserzeit waren die deutschen Universitäten doch Weltspitze! Hänsch: Das stimmt. Ich spreche aber vom bürgerlichen Selbstverständnis bei uns. Um die Herausforderungen der Zukunft zu bestehen, brauchen wir mehr als nur gehorsame Pflichterfüllung. Ich will sagen: Solange wir unsere deutschen Rahmenbedingen im Auge behalten, würde ein bißchen amerikanischer Geist uns nicht schaden. Amerikanischer Geist? Hänsch: In den USA hat sich bewiesen, daß Forscher das Gesicht der Welt verändern können: Denken Sie an die Mikroelektronik, die dort entstanden ist und die heute unser Leben so sehr formt: Ganze Lebensstile haben sich auf Grundlage dieser Technologien entwickelt. In den USA stellt man sich intensiv die Frage, wie unsere Zivilisation in naher Zukunft aussehen wird, und versucht diese Überlegungen in die Arbeit miteinzubeziehen. Dieser Ansatz fehlt in Deutschland fast ganz und gar. Viele deutsche Erfindungen wurden erst von ausländischen Firmen vermarktet – man denke nur an den MP3-Spieler. Dessen Durchbruch brachte ausgerechnet einer Ihrer ehemaligen US-Studenten: Steve Jobs, Gründer der Computer-Firma Apple, mit dem iPod. Jobs hat bewiesen, daß man mit der Umsetzung einer guten Idee sogar einen ganzen etablierten Industriezweig herausfordern kann. Hänsch: Das stimmt. Ich habe natürlich nicht geahnt, was aus diesem langhaarigen, schlaksigen Hippie, der Steve Jobs damals war, einmal werden würde. Was ich allerdings schon bemerkte, war sein Charisma. Man hätte ihn sich auch gut als Sektenführer vorstellen können. Gut, manche meinen, manchmal sei die Apple-Fangemeinde nicht weit davon entfernt gewesen. Aber Spaß beiseite. Was man bedenken muß, ist, daß wir natürlich nicht so wagemutig sind wie die Amerikaner, weil wir Deutschen nicht so verschwenderisch mit unseren Ressourcen umgehen können: Bedenken Sie, daß es für jede Erfolgsgeschichte à la Apple sehr viele gescheiterte Firmen gibt, bei denen den Gründern und Investoren nichts als Schulden geblieben sind. Gut, leider haben wir Entwicklungen wie die Mikrocomputerrevolution völlig verschlafen. Wenn es darum geht, schnell Gelegenheiten zu ergreifen und neue Märkte zu schaffen, dann mangelt es bei uns. Aber dennoch ist Deutschland als Exportweltmeister immer noch konkurrenzfähig. Unsere Stärke sind Industrien, die technisch hochwertige Produkte anbieten, wie der Fahrzeugbau, wo man in den USA übrigens nichts Vergleichbares findet. Gründlichkeit und langfristige Umsetzung, das sind unsere Trümpfe. Außer der Leitung eines Max-Planck-Instituts haben Sie auch noch einen Lehrstuhl an der Universität München inne. Sie kennen also beide Bereiche: Forschung und Lehre. Hänsch: So ist es. Und beim Thema Bildung, der Basis für die Forschung, sind wir in Deutschland inzwischen im Zwiespalt: Denn zum einen haben wir das Humboldtsche Ideal der Einheit von Forschung und Lehre, was eher auf eine kleine Elite von Spitzenforschern hinausläuft. Zum anderen aber fordert die Gesellschaft, daß ein großer Prozentsatz unserer jungen Leute eine Hochschulausbildung haben sollen. Das Humboldt-Prinzip, von dem ich sehr viel halte, funktioniert aber nur für jene, die sich wirklich auch für Wissenschaft und Forschung interessieren. Die meisten der Hochschulabsolventen heute haben das aber gar nicht im Sinn. Ihr Interesse ist es, sich lediglich möglichst hochrangig für das Berufsleben zu qualifizieren. Ich will das gar nicht abwerten, auch das ist sehr wichtig, aber man kann eben nicht beides unter einen Hut bringen. Deshalb ist es so ein Fortschritt, den Hochschulen zu erlauben, sich zu differenzieren. Und reicht Ihnen da die Exzellenzinitiative der Bundesregierung aus? Hänsch: Sie ist ein erster Schritt. Wenn man bedenkt, daß bis vor kurzem Konkurrenz unter Hochschulen politisch in Deutschland gar nicht gewollt war, dann ist das schon toll. Allerdings können die Summen, die bislang dafür bereitgestellt wurden, zum Beispiel aus einer Universität München noch kein Harvard oder Stanford machen. Als Einstieg gut, aber es darf nicht dabei bleiben. Wann wären Sie wirklich zufrieden? Hänsch: Wenn es uns tatsächlich gelingt, Spitzenhochschulen zu schaffen, die international mithalten können, die zu Magneten für die besten Forscher aus anderen Ländern werden. Zwei, drei solcher Institutionen sollten wir uns in Deutschland schon leisten. Natürlich erfordert so etwas erhebliche zusätzliche Geldmittel, denn die übrigen Hochschulen dürfen auf keinen Fall schlechtergestellt werden, wenn sie ihrer Aufgabe gerecht werden sollen, möglichst vielen jungen Menschen eine zukunftsträchtige akademische Ausbildung zu vermitteln. Im Zuge des Bologna-Prozesses wird nun erstmal unser Hochschulsystem amerikanisiert. Hänsch: Ich muß Ihnen ehrlich sagen, daß ich mit dem neuen System nicht zufrieden bin. Die ursprüngliche Idee der Bologna-Initiative war es, den Studenten in Europa mehr Freiheit zu gewähren, zwischen den europäischen Hochschulen hin- und herzuwechseln. Was aber daraus geworden ist, sind enge, verschulte Lehrangebote, die selbst zwischen zwei deutschen Hochschulen einen Wechsel kaum erlauben. Ulrich Schreiterer, Wissenschaftsmanager an der Yale-Universität, nannte die deutsche Adaption amerikanischer Studiengänge einen „Masterplan ohne Mastermind“. Hänsch: Wir können die amerikanischen Studienpläne gar nicht so übernehmen, weil das Ausbildungssystem dort ein ganz anderes ist. Es gibt zum Beispiel in den USA bekanntlich keine Gymnasien. Die US-Colleges bieten dagegen etwa die letzten zwei Jahre unserer Oberstufe als eine Art Universitätsstudium an. Und unser bisheriges Hochschulsystem mit Vordiplom, Diplom, Promotion hat vielleicht mehr Zeit in Anspruch genommen, aber die Absolventen sind in der ganzen Welt mit Kußhand aufgenommen worden – auch an den Elite-Universitäten in den USA und England. Das heißt, wir schrauben unsere Standards zurück, wenn wir aus vorgeblichen Kompatibilitätsgründen diese nun zu Bachelor/Master verdünnen. Sie sind selbst zum Politikum geworden, als Sie nur ein Jahr nach Ihrem Nobelpreis mit 65 pensioniert werden sollten. Das Land Bayern intervenierte, und auch Bundesbildungsministerin Schavan äußerte sich. Hänsch: Der Punkt war damals, daß Deutschland in meinem Falle einen fast frischgekürten Nobelpreisträger in Rente geschickt hätte, statt ihn weiter forschen zu lassen. Ich darf nun in meinem Hauptamt als Professor an der Ludwig-Maximilians-Universität in München Jahr für Jahr Verlängerung beantragen und werde mit 68 aber doch unweigerlich pensioniert. Es gibt Versuche, für solche Fälle ein eigenes Tarifrecht einzuführen bzw. allgemein das Pensionsalter flexibler zu gestalten. Aber einen Durchbruch gibt es bei diesem Problem noch nicht. Es ist schon absurd, gerade in der Forschung, wo es unbedingt auch auf Erfahrung ankommt, diese Erfahrung in Rente zu schicken. Helfen können da vor allem Privatinitiativen wie in meinem Fall die 2006 gegründete Exzellenzstiftung zur Förderung der Max-Planck-Gesellschaft und die Carl-Friedrich von Siemens-Stiftung. Tatsächlich darf ich nun auch nach meiner formalen Pensionierung am Max-Planck-Institut für Quantenoptik und an der Universität München mit guter Unterstützung weiterforschen. Hat Ihre Stimme auch seit der Stockholmer Ehrung nicht mehr Gewicht? Hört Deutschland nicht auf seine Nobelpreisträger? Hänsch: Leider muß man feststellen, daß die Politik sich zwar gerne mit uns schmückt, aber seltener auf uns hört. Das ist allerdings wohl kein deutsches Problem. Wenn Sie drei Wünsche an die Politik frei hätten … Hänsch: … dann würde ich mir mehr Wettbewerb wünschen, mehr Investition in die Zukunft statt in die Strukturen der Vergangenheit und vor allem, daß wir Forschung und Wissenschaft in Deutschland endlich den Stellenwert in der Gesellschaft einräumen, der ihnen gebührt. Prof. Dr. Theodor Wolfgang Hänsch: Der Direktor des Max-Planck-Instituts für Quantenoptik in Garching bei München erhielt 2005 den Nobelpreis für Physik. Er ist außerdem Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Physik und Laserspektroskopie an der Universität München. 16 Jahre lang lehrte er an der Universität von Stanford/Kalifornien, wo der spätere Apple-Gründer Steve Jobs sowie der Physik-Nobelpreisträger von 2001, Carl E. Wiemann zu seinen Schülern gehörten. Hänsch ist Mitglied der Bayerischen und der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften. 2006 wurde er zum Politikum, als der quasi frischgekürte Nobelpreisträger in den regulären Altersruhestand geschickt werden sollte. Eine vorläufige Lösung gelang mit Hilfe der Max-Planck-Gesellschaft. Geboren wurde er 1941 in Heidelberg. Den Nobelpreis erhielt er für seine Erfolge in der Laserforschung. Max-Planck-Gesellschaft: Die vor sechzig Jahren, am 26. Februar 1948, in Göttingen gegründete Max-Planck-Gesellschaft (Logo oben) gilt als wichtigste deutsche Forschungsinstitution. Sie ging aus der 1911 in Berlin gegründeten Kaiser-Wilhelm-Gesellschaft hervor, die sich den gleichen Zielen verschrieben hatte und nach deren Präsidenten zwischen 1930 und 1937, dem Begründer der Quantentheorie, sie benannt ist. Die MPG ( www.mpg.de ) hat heute ihren Sitz in Berlin und München und ist Trägerin von 78 Instituten zur Grundlagenforschung. weitere Interview-Partner der JF
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