Herr Dr. Tauber, wozu noch CDU?
Tauber: Das ist eine herausfordernde Frage! Ich bin aber sicher: Die Union ist für Deutschland nach wie vor unverzichtbar. Warum? Weil unser Parteiensystem eine große Kraft braucht, die soziale, wertkonservative und liberale Elemente miteinander verbindet. Das kann so keine andere Partei.
Die Verluste der CDU bei den letzten Landtagswahlen bestätigen einen Trend, der sich schon seit längerem abzeichnet: Die Union, und damit auch die klassischen CDU/FDP-Koalitionen, verlieren ihre strukturelle Mehrheit!
Tauber: Ich bin nicht so sicher, ob das stimmt. Parteien erleben immer wieder gute und auch schwere Zeiten. In letzteren werden sie dann von Journalisten gerne totgesagt. Erinnern Sie sich: Die Grünen flogen 1990 sogar aus dem Bundestag. In den Neunzigern läutete dann mancher voreilig der FDP das Sterbeglöcklein.
Die SPD fährt derzeit immer wieder Negativ-Rekorde ein – zuletzt vor wenigen Wochen in Niedersachsen, und in einigen der neuen Länder bewegt sie sich schon seit langem am Rande des Existenzminimums. Und daß mancher sich auf die CDU einschießt, ist für die Partei auch nichts Neues. Ein Problem ist natürlich, daß wir in einer Großen Koalition regieren, die zwangsläufig verhindert, daß wir ein klares Profil entwickeln können. Aber auch dieser Zustand wird nicht ewig währen.
Weniger Konservatismus, mehr „urbane Milieus“.
Also alles bestens?
Tauber: Nein, die Union muß durchaus kritisch in sich gehen und sich fragen, ob sie in vielen Bereichen noch die Lebenswirklichkeit der Menschen erreicht.
Auf diese Frage haben Angela Merkel und Roland Pofalla eine orangefarbene
Antwort: Weniger Konservatismus, mehr „urbane Milieus“.
Tauber: Die Gesellschaft verändert sich und die CDU muß da Schritt halten. Das Ergebnis von Ole von Beust in Hamburg zeigt, daß die CDU auch im großstädtischen Milieu Mehrheiten erreichen kann.
Also ist für Konservative in Zukunft kein Platz mehr in der Union?
Tauber: Nein, im Gegenteil, ich sage ja, der Konservatismus ist eines der drei Basiselemente der Union. Und ich fordere in diesem Zusammenhang meine Partei auf, sich einmal über die Frage Gedanken zu machen, ob wir denn noch wissen, was unser Leitbild ist?
Wie lautet Ihre Antwort?
Tauber: Bis 1990 war das Leitbild der Union der Kampf für die Einheit Deutschlands in Freiheit. Das war es, wofür die CDU stand, und alles andere ließ sich daraus ableiten. Heute besteht die Gefahr, daß sich die Union auf die Wirtschaftspolitik reduzieren läßt, daß sie den Werte- und den sozialen Flügel vernachlässigt. Wer aber keine Antwort auf die Frage gibt, für welches Gesellschaftsbild seine Partei eintreten will, der steht mit Blick auf die Zukunft auf schwankendem Grund.
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„Politiker wie Dregger oder Koch unverzichtbar für die Union“
Sie selbst rechnen sich zum konservativen Flügel der Union und nennen Alfred Dregger als Ihr Vorbild.
Tauber: Ich glaube, daß Politik vor allem über prägnante Köpfe funktioniert. Deshalb halte ich Politiker wie früher Alfred Dregger oder heute Roland Koch für unverzichtbar für die Union.
Wo sehen Sie Roland Kochs Zukunft in der CDU?
Tauber: Es ist im Interesse der ganzen Union und nicht nur der Hessen, daß Roland Koch in der deutschen Politik weiter mitarbeitet. Bei allen aktuellen Diskussionen akzeptieren ja auch seine Gegner, daß es nur wenige Männer gibt, die über einen ähnlichen Sachverstand und über ähnliche analytische Fähigkeiten wie Roland Koch verfügen. Wer in der CDU glaubt, man könne auf die konservativen Köpfe verzichten, muß lernen, daß diese im Konzert einer Volkspartei wie der Union unverzichtbar sind.
Koch geschlagen, Schönbohm vor der Rente und aus dem Parteivorstand gewählt, Stoiber erst gezähmt, dann abgesetzt, Friedrich Merz im inneren Exil, Hohmann ausgeschlossen, Henry Nitzsche ausgetreten – wer sind denn noch die konservativen Köpfe der CDU?
Tauber: Genau das ist das Problem, außer Roland Koch läßt sich inzwischen kaum noch ein prominenter Name nennen. Deshalb muß die Union aufpassen, daß ihr da nicht Anhänger und Wähler verlorengehen. Aber es fehlen uns nicht nur die Konservativen, es fehlen uns auch die Köpfe des sozialen Flügels. Also streitbare Männer wie Norbert Blüm. Auch wenn ich als junger Politiker gerade seine Äußerungen zu den sozialen Sicherungssystemen für völlig falsch halte, so sind Exponenten wie er doch wichtig für die Union.
Suche nach den konservativen Inhalten
Welches sind die Inhalte, die diese konservativen Köpfe vertreten sollten?
Tauber: Da muß man klar unterscheiden, worauf es ankommt. Ich betrachte mich selbst zum Beispiel als sehr konservativ, aber ich brauche auf dem Parteitag dennoch keine Blaskapelle, mir liegt eine Jazzband mehr. Was ich damit sagen will: Für mich sind nicht äußere Formen entscheidend, sondern Überzeugungen.
Und deshalb haben Sie als Landesvorsitzender der JU-Hessen jüngst in einem Appell die Grünen im Land zu einer Koalition mit der Union aufgefordert?
Tauber: Nur Jamaika kann in Hessen Rot-Rot und Andrea Ypsilanti noch verhindern. Aber genauso wichtig ist die Erkenntnis, daß die Union heute mehr Schnittpunkte mit den Grünen hat als mit der SPD. Denn bei vielen Wertefragen sind Grünen- und CDU-Postionen sehr nahe beieinander. Und es ist ja auch kein Geheimnis, daß die Grünen längst im bürgerlichen Lager angekommen sind – auch wenn sie das manchmal noch nicht wahrhaben wollen.
Sie wollen sagen, gerade bei einer Koalition mit den Grünen kämen konservative Positionen eher zum Tragen?
Tauber: Die Grünen sind heute vielleicht keine wertkonservative, aber eine liberale und bürgerliche Kraft, die in mancher Hinsicht weiter in der Mitte steht als die SPD. Die Grünen alleine der SPD zu überlassen, wäre ein Fehler, vor allem wenn man daran denkt, daß ein weiteres Erstarken der Linkspartei nicht auszuschließen ist.
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„Die Grünen sind mehr in Bewegung geraten als die Union“
Es ist doch erstaunlich, daß die Grünen weit mehr Vorbehalte gegen eine Koalition mit der Union haben als umgekehrt. Vielleicht deshalb, weil sie sich, anders als die CDU, im klaren darüber sind, welche strategisch entscheidende Rolle die Gesellschaftspolitik spielt?
Tauber: Es ist nicht von der Hand zu weisen, daß die Union sich gesellschaftspolitisch nicht so klar definiert wie die Grünen. Wir machen oft kein so klares Angebot. Die Linken haben da in der Tat oft sehr konkrete Vorstellungen. Daß das bei der CDU nicht so ist, liegt daran, daß viele dieser Konzepte, denken Sie an eine Kopfgeburt wie Gender Mainstreaming, für die meisten CDU-Anhänger nur graue Theorie sind, sie entsprechen nicht unserem Lebensgefühl – und auch nicht dem der allermeisten Menschen im Land.
Das mag ein Mangel sein, aber es zeigt, daß wir auf die Lebensrealität der Menschen, auf Freiheit und Verantwortung des Einzelnen setzen. Und es gibt einen weiteren Grund: Die Union repräsentiert als Volkspartei ein viel breiteres Spektrum. Bei uns gibt es eine viel größere Vielfalt an Meinungen als bei einer so kleinen Partei wie den Grünen. Also können wir nicht so auf den Punkt verengen.
Sind aber viele grüne Inhalte nicht schlicht unvereinbar mit einer konservativen Programmatik? Die Grünen stehen etwa für Auflösung der Nation, eine zivilreligiöse Geschichtspolitik, Abschaffung der Geschlechter, Auflösung von Ehe und Familie etc.
„Nicht nur Anhänger des konservativen Familienmodells in der CDU“
Tauber: Gerade die als letztes von Ihnen angesprochene Familienpolitik zeigt, was ich eben beschrieben habe. Bedenken Sie, daß wir in der CDU nicht nur Anhänger des konservativen Familienmodells haben. Natürlich finden Sie die auch – und diese Leute müssen eine Heimat in der Union haben.
Aber wir haben eben auch viele junge Frauen, die Kind und Karriere wollen und für die wir deshalb entsprechende Betreuungsangebote brauchen. Das sind Frauen, die vielleicht in allen anderen Punkten mit der CDU übereinstimmen, denen der Weg zu uns aber verschlossen wäre, wenn sie bei diesem zentralen Punkt auf eine unflexible Haltung stoßen würden.
Die Folgen des multikulturellen Gesellschaftsexperiments werden in letzter Zeit allgemein zunehmend als Bedrohung realisiert – nicht zuletzt durch CDU-Innenminister wie Wolfgang Schäuble. Roland Koch hat bekanntlich in der Schlußphase seines Wahlkampfes gerade dieses Thema besonders betont. Die Grünen wiederum stellen nun gerade die Speerspitze des politischen Multikulturalismus dar.
Tauber: Ich glaube, daß da auch bei den Grünen inzwischen viel in Bewegung ist. Daß der klassische Multikulturalismus gescheitert ist, gesteht Ihnen – wenn auch vielleicht nicht gerade vor laufender Kamera – inzwischen jeder Sozialdemokrat und fast jeder Grüne ein. Die ganzen leidigen Debatten, etwa ob der Zwang zum Erlernen der deutschen Sprache nicht eine Art „Germanisierung“ sei, sind doch passé.
Sogar der rot-rote Senat in Berlin hat das hessische, CDU-geprägte Konzept zur Sprachförderung von Kindern im Vorschulalter übernommen. Also, da haben sich die Grünen in den letzten zwanzig Jahren vermutlich weit mehr bewegt als die Union. Wahr ist aber natürlich, daß das linke politische Spektrum immer noch einen anderen Ansatz hat, wenn es mit Migranten diskutiert: Die sehen jene eben per se als Migranten.
Und das ist der falsche Ansatz: Für mich sind das Deutsche. Wer hier geboren und aufgewachsen ist und einen deutschen Paß hat, den kann man nicht weiterhin als Migranten ansprechen und ihm damit signalisieren, daß er offenkundig andere Interessen und andere Befindlichkeiten hätte, als der Rest des Landes. So funktioniert Integration nicht.
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Strukturelle Mehrheit links von der Mitte
Sie haben zuvor argumentiert, der Konservatismus sei im Rahmen einer bürgerlichen Vielfalt, wie sie die Volkspartei CDU bietet, am besten aufgehoben. Auf der Linken ist die Vielfalt anders organisiert: Nämlich in Gestalt von – wenn man die gesellschaftspolitisch linksliberale FDP mitzählt – vier Parteien. Und mit diesem Konzept ist es dem linken Lager mittlerweile gelungen, eine strukturelle Mehrheit links von der Mitte zu schaffen.
Tauber: Wenn man nur Prozente addiert, dann kann man in der Tat zu Ihrer Schlußfolgerung kommen. Ich meine aber, daß es sich um einen Trugschluß handelt. Als wir in Hessen 1999 die Unterschriftenaktion gegen die doppelte Staatsbürgerschaft und für mehr Integration gemacht haben, haben unheimlich viele Sozialdemokraten bei uns unterschrieben.
Das zeigt, daß bei vielen Menschen die politische Meinung keineswegs deckungsgleich ist mit der gesellschaftspolitischen Agenda der Partei, die sie wählen. Sie geben der Linken vielleicht ihre Stimme, aber sie tun das nicht mit linker Überzeugung, sondern zum Beispiel in der – nicht selten irrigen – Annahme, daß ihre sozialen Interessen von diesen Parteien besser vertreten werden würden.
„Brauchen wir eine neue bürgerliche Partei?“
Vier konkurrierende Parteien forcieren den linken Prozeß, weil sie sich gegenseitig überbieten müssen. Die Volkspartei CDU bremst dagegen den konservativen Impuls, weil es ja innerhalb der Partei schon zu einem Ausgleich mit den anderen Flügeln kommen muß, bevor man überhaupt zum politischen Gegner in den Ring steigt.
Tauber: Die Alternative wäre, daß wir auf die Etablierung einer weiteren bürgerlichen Kraft im Parteienspektrum setzen.
Genau.
Tauber: Das halte ich für einen Fehler. Und das ist ja genau der Vorwurf, den man der SPD machen muß, die eben nicht leistet, was die CDU vermag, nämlich die linken Strömungen zu integrieren und damit Radikalismus und Zersplitterung zu verhindern und die linke Säule des politischen Systems zu stabilisieren.
Koalition bedeutet Kompromiß. Wenn Sie nur links Partner haben, wird Ihre Politik zwangsläufig immer nach links hin orientiert sein. Dieses Interesse können Sie als Konservativer unmöglich haben.
„Falsche Vorstellungen“
Tauber: Ich muß Ihnen sagen, Sie machen sich falsche Vorstellungen. Die Annahme, ein konservativer Partner würde die Union konservativer machen, vielleicht sogar, eine Allianz dieses Partners mit dem konservativen Flügel der CDU könnte den sozialen und liberalen Flügel der Partei aushebeln, ist ein Trugschluß. Die Stärke der Union ist, daß sie dank des Ausgleichs ihrer Flügel als eine Partei und ein Schwergewicht auftreten kann.
Und so kann sie auch konservative Inhalte viel nachdrücklicher durchsetzen, als es ein Konglomerat bürgerlicher Kleinparteien tun könnte, die nach dem Vorbild der Linken organisiert sind. Beispiel: Aufgrund unserer klaren Position in Sachen Integration und Sprachförderung haben sich heute die linken Parteien allesamt mehr oder weniger unserer Position angenähert!
Sie erwarten also ernsthaft, daß Schwarze trotz grünem Handschlag in Zukunft orange wählen?
Tauber: Wenn es der CDU gelingt, als große Volkspartei der Mitte sowohl ihre soziale Kompetenz als auch Werte und konservative Überzeugungen abzubilden, dann wird die Union künftig sicher wieder eher mehr als weniger Bürgerinnen und Bürger ansprechen. Zunächst warten wir erstmal auf den Bundestagswahlkampf 2009, um endlich eine vernünftige Bundesregierung ohne die SPD bilden zu können.
Zur Person:
Peter Tauber ist seit 2003 Vorsitzender der Jungen Union Hessen. Der Nachwuchspolitiker bezeichnet sich selbst als „sehr konservativ“ und nennt Alfred Dregger als sein politisches Vorbild. Dessenungeachtet forderte er jüngst in einem gemeinsamen Appell mit den Jungen Liberalen die Grünen im Land dazu auf, über eine sogenannte Jamaika-Koalition in Hessen nachzudenken. Geboren wurde der promovierte Historiker, der heute in der Privatwirtschaft arbeitet, 1974 in Frankfurt am Main.