Herr Hohmann, Sie haben sich immer geweigert, auf dem Ihnen zugewiesenen Stuhl im Plenarsaal außerhalb der Fraktion Platz zu nehmen. Hohmann: Kollegen aus der Fraktion sagten zu mir: „Setz Dich da nicht drauf, das ist diskriminierend!“ Auf dem Stuhl Platz zu nehmen, wäre das falsche Signal – es würde so interpretiert werde, als akzeptierte ich diese Trennung. Dieser Stuhl ist inzwischen zum Symbol geworden. Am 20. Juli hat Sie das Schiedsgericht der hessischen CDU nach zehn Monaten der Auseinandersetzung aus der Partei ausgeschlossen (JF 31-32/04). Ist damit Ihr Kampf zu Ende? Hohmann: Nein, ich habe bereits dagegen Beschwerde beim Bundesparteigericht der CDU eingereicht. Das heißt, Sie wollen versuchen, den Ausschluß aus der CDU rückgängig zu machen? Hohmann: Ich werde vor dem Bundesparteigericht um meine Mitgliedschaft kämpfen. Zur Zeit kann ich aber noch nicht sagen, wann das Verfahren abgeschlossen sein wird. Mit welcher Aussicht auf Erfolg? Hohmann: Das Ausschlußurteil in Hessen war mit schwerwiegenden Mängeln behaftet. An deren Wiederholung auf Bundesebene mag ich nicht glauben. Daher bin ich zuversichtlich. Ist das nicht blauäugig? Sie wissen doch, daß man Sie weder in Wiesbaden noch in Berlin weiter in der Union haben will. Hohmann: Erstens schreiben mir Tausende CDU-Mitglieder aller Ebenen, daß sie mich weiter dabeihaben wollen, daß ich kämpfen soll. Zweitens glaube ich, daß die innerparteiliche Demokratie in der CDU – und dazu gehören auch faire Verfahren vor den Parteigerichten – sich letztendlich als funktionierend erweisen wird. „Inhaltlich findet meine Position die Mehrheit in der Fraktion“ In der Union empfinden viele – wenn man etwa den Bemerkungen Jürgen Rüttgers glaubt – einen regelrechten Ekel vor Ihnen. Warum wollen Sie dennoch in dieser Partei bleiben? Hohmann: Es mag sich bei dem einen oder anderen Parteifreund so anhören, als sei persönliche Abscheu im Spiel. Es geht aber tatsächlich mehr darum, dem Diktat der Political Correctness zu huldigen und öffentlich einen möglichst großen Abstand zu Hohmann zu demonstrieren. Die, die sich am meisten moralisch echauffieren, hängen also nur am eifrigsten ihr Mäntelchen nach dem Wind? Hohmann: Die gesamte Politik steht unter dem Druck der Political Correctness – der eine ist standhaft, der andere nicht. Selbst wenn Ihr Ausschluß nicht erfolgen beziehungsweise rückgängig gemacht werden sollte, ist die Atmosphäre in der Partei nicht vergiftet? Hohmann: Nein, die Kollegen, mit denen ich zuvor schon zusammengearbeitet habe, lassen mich keine Veränderung spüren. Dafür bin ich ihnen allen sehr dankbar. Ablehnung erlebe ich nur bei Leuten, die weit weg sind und mich nicht kennen, wie eben zum Beispiel bei Herrn Rüttgers. Die Fraktion der CDU/CSU hat 247 Mitglieder. Wie ist das Verhältnis zu denen, mit denen Sie nicht „schon zuvor zusammengearbeitet haben“? Hohmann: Bis auf einzelne Ausnahmen, die mich bereits früher wegen meiner klar konservativen und christlichen Einstellung kaum grüßen wollten, erlebe ich bei allen nach wie vor die übliche Freundlichkeit unter Kollegen. Die meisten betrachten die Angelegenheit lediglich als eine Art Betriebsunfall – bedauerlich und unvermeidlich zugleich -, bei dem es „den Hohmann“ leider aus der Kurve getragen hat. Wie ist das zu erklären, immerhin haben 195 Abgeordnete im letzten Herbst für Ihren Ausschluß aus der Fraktion gestimmt? Hohmann: Viele haben das getan, weil sie sich in der Zwickmühle sahen, nicht unbedingt, weil sie persönlich davon überzeugt waren, daß ich in der Sache unrecht habe. Das heißt, es gibt bei vielen, die gegen Sie gestimmt haben, gar keinen inhaltliche Dissens bezüglich Ihrer Rede? Hohmann: Um ehrlich zu sein, ich zweifle, ob jeder meine Rede ganz gelesen hat. Und das historische Hintergrundwissen kann auch nicht als selbstverständlich vorausgesetzt werden. So folgte man tendenziell den Vorgaben der Partei- und Fraktionsführung. Darin ein Votum auch über meinen geschichtspolitischen Standpunkt zu sehen, ist falsch. Der Standpunkt, die Abwendung von der Religion und Hinwendung zu aggressiven, menschenfeindlichen Ideologien sei das Übel des letzten Jahrhunderts gewesen, war das Ethos der Gründergeneration der CDU. Das findet nach wie vor die Zustimmung der Mehrheit von Fraktion und Partei. Ihre offizielle Behandlung durch die CDU entspricht also nicht der tatsächlichen Überzeugung in der Partei. Ergo handelt es sich nur um ein medienpolitisches Manöver? Hohmann: Einerseits: Was ist die Überzeugung der Partei? Wie ist diese meßbar? Andererseits: Eine politische Inszenierung war das schon. Im Herbst 2003, als es um Ihren Ausschluß aus der Fraktion ging, schienen Sie nur einen einzigen politischen Freund zu haben: den CSU-Abgeordneten Norbert Geis. Warum haben sich Konservative wie Peter Gauweiler, Vera Lengsfeld – die Sie erst nachträglich in Interviews mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 52/03-1/04) und dem „Focus“ öffentlich verteidigte – oder auch Jörg Schönbohm damals so zurückgehalten? Hohmann: Norbert Geis habe ich immer schon sehr geschätzt. Er ist ein mutiger Christ, für seinen Einsatz handelte er sich selbst eine Reihe journalistischer Angriffe und eine Rüge von Edmund Stoiber ein. Gauweiler hat in einem Beitrag für die Süddeutsche Zeitung meine Behandlung durchaus kritisiert. Es haben sich aber auch fraktionsintern einige Kollegen auf meine Seite gestellt, das ist allerdings kaum nach außen gedrungen. Alles zusammengenommen, stimmten trotz der aufgeheizten Anti-Hohmann-Stimmung knapp 50 Kolleginnen und Kolleginnen nicht für meinen Ausschluß. Wirklich öffentlich für Sie gekämpft hat dennoch nur Norbert Geis. Macht Sie das nicht wütend? Hohmann: Nein, weil ich weiß, wie mächtig und furchteinflößend die Drohung mit der Antisemitismus-Keule ist. Ich mache niemandem einen Vorwurf, daß er nicht bereit gewesen ist, sich für mich damit erschlagen lassen. Auf dem Höhepunkt der Affäre herrschte eine tiefsitzende, hintergründige Angst in der Fraktion, eine regelrechte Angststarre. Die Kollegen hatten wahrlich Existenzangst, politische Existenzangst – Sie können sich das nicht ausmalen! Jeder dachte: „Ein falsches Wort, und ich bin vielleicht der nächste!“ Auch vor diesem Hintergrund stimmten viele Abgeordnete für meinen Ausschluß, obwohl sie innerlich nicht dafür waren, was mir auch einige im nachhinein sagten. Geis hat sein Engagement politisch überlebt. Sie haben also doch Anlaß, enttäuscht zu sein. Hohmann: Worüber ich enttäuscht war, ist, daß bei allen wichtigen Entscheidungen der Unions-Gremien über meine Person die Rede vom 3. Oktober – sozusagen das corpus delicti – nirgendwo auslag. Hat man die sachliche Auseinandersetzung gefürchtet? Außerdem wurde ich als reiner Polittaktiker hingestellt. Es ist wirklich hanebüchen, mir so etwas und dann auch noch in diesem Zusammenhang zu unterstellen! Ich habe mein Leben lang für politische Grundsätze und Ideen gefochten – mir dann bloßes Taktieren zu unterstellen, ist unter der intellektuellen Würde derer, die das getan haben. Wie können Sie bei alledem nur so ruhig bleiben? Jeder hätte Verständnis, wenn Sie vor Wut schäumen würden. Hohmann: Das hat zwei Gründe: Zum einen lernt man als Jurist schnell, Situationen realistisch einzuschätzen. Und zum anderen habe ich für meine Mitmenschen und mich ein sehr ausgeprägtes Gottvertrauen. Wenn es so gekommen ist, dann ist dies eine Fügung Gottes, mit der ich fertigwerden muß. Er hat es zugelassen. Da ich mich in dieser Sache frei von unguten Absichten fühle, wird er mir die Kraft geben, es durchzustehen. Gefühle wie Abneigung und Groll zerfressen nur das eigene Herz und bringen keinen Schritt voran. Zunächst hielt Angela Merkel noch an Ihnen fest, doch dann äußerte Edmund Stoiber ohne Not den Satz, wer wie Sie „die Einzigartigkeit des Verbrechens des Holocaust“ hinterfrage … Hohmann: … der stünde „außerhalb des Verfassungsbogens“. Mir haben diverse Parteifreunde gesagt: „Wenn Du Dich bei jemandem für Deinen Rausschmiß bedanken kannst, dann bei Edmund Stoiber!“ Angeblich, so Beobachter, ging es Stoiber aber gar nicht um Sie, sondern darum, Angela Merkel in Schwierigkeiten zu bringen. Hohmann: Kann schon sein, daß er die Entscheidungskraft von Angela Merkel austesten wollte. Das heißt, Stoiber betrachtet Sie gar nicht als außerhalb des Verfassungsbogens stehend? Hohmann: Wenn er die Rede gelesen hat, dann sicher nicht. Zumal ich die Einzigartigkeit des Holocaust in meiner Rede sogar herausgestellt habe. Zumindest hat Edmund Stoiber mir niemals eine inkriminierte Textstelle nachgewiesen. Außerdem hätte die Justiz im Frühling 2004 andernfalls nicht sämtliche Anzeigen gegen mich wegen Volksverhetzung als null und nichtig niedergeschlagen. Das ist der Beweis, ich habe weder „geleugnet“ noch „gehetzt“, wie die Bild-Zeitung unermüdlich schlagzeilte. Stoiber hat also seinen Parteifreund Hohmann verraten und die Öffentlichkeit belogen? Hohmann: Ich will mir nicht anmaßen, über andere ein so hartes Urteil zu fällen. Wie denken Sie über Menschen, die andere Menschen benutzen? Hohmann: Sagen wir, Edmund Stoiber hätte sich differenzierter mit meinem Fall auseinandersetzen müssen. Wie denken Sie über Menschen, die das Thema Holocaust für ihre politischen Zwecke benutzen? Hohmann: Die gegenwärtige Verfaßtheit der deutschen politischen Szene verleitet dazu. „Die Kampagne gegen mich war eine Kampagne gegen die CDU“ Es steht Ihnen frei, sich mißbrauchen zu lassen, aber haben Sie als Politiker für den Umgang mit diesem Thema nicht eine gewisse Verantwortung? Hohmann: Da haben Sie schon recht. Wir sollten in Deutschland einfach ehrlicher mit dem Thema Vergangenheit umgehen. Aber es gibt nicht nur eine deutsche Vergangenheit von zwölf Jahren. Es gibt auch andere „Vergangenheiten“. Wir Deutschen brauchen einen umfassenden historischen Realismus. Hätten wir den bereits, dann wären solche Mißbräuche auch nicht mehr möglich. Es ist auch die Tabuzone, und es ist die Atmosphäre der Political Correctness, die ein Taktieren mit solchen Dingen überhaupt erst möglich machen. Angst, Amoral, Verrat und Intrige – was für ein Bild zeichnen Sie da eigentlich vom Deutschen Bundestag und seinen Politikern? Hohmann: Nun, das sind Ihre Worte. In der Politik ist es wie im richtigen Leben. Manchmal noch ein wenig heftiger. Eitelkeit und ein instrumentelles Verhältnis zu Mitmenschen bewirken das. Im übrigen, durch Stoibers Manöver wurde die Abstimmung über den Abgeordneten Hohmann zu einer Abstimmung über die CDU-Führung. Ein Votum für Hohmann wäre ein Votum gegen Merkel gewesen! Die Fraktion konnte sich nicht einen Monat vor einem wichtigen Parteitag „enthaupten“ lassen. Mit dem verfälschten Echo auf eine Rede in der Provinz, die zur Staatsaffäre aufgeblasen wurde, gelang es, die Union enorm unter Druck zu setzen. Wem ist das gelungen? Hohmann: Den Strippenziehern der Kampagne. Sie meinen, die Kampagne gegen Sie war eine Kampagne gegen die CDU? Hohmann: Natürlich! Es geht darum, einzelne Mitglieder der Union zu desavouieren, um die ganze Union zu desavouieren. Besser aber noch, durch Distanzierung der Union von diesen Mitgliedern und bestimmten CDU-hauseigenen Politikinhalten, für die diese Mitglieder stehen – wie etwa Zuwanderung, Nationalstaat, christliches Menschenbild – die Partei in eine bestimmte Richtung zu manövrieren. Unverhofft ist es diesmal gar gelungen, die Union tagelang voll in die Zange zu nehmen, bis sich Angela Merkel gezwungen sah, die Situation durch Flucht nach vorne zu bereinigen. Allerdings war das meines Ermessens nur taktisch richtig. Der Langzeitschaden ist noch nicht abzusehen. Inwiefern? Hohmann: Die Union verliert so zunehmend den Kontakt zu ihren konservativen, christlichen und prodeutschen Stammwählern und Mitgliedern. Vor allem aber begibt sie sich in die geistige Abhängigkeit vom politischen Gegner, weil der schließlich auch gegenüber der Union den Ton angibt. Denken Sie etwa an das Thema Leitkultur, ein klassisches CDU-Thema, das bei den Wählern garantiert gut angekommen wäre. Das aber von der Union fallengelassen werden mußte, weil es dem politischen Gegner gelang, den Streit darum in die Union hineinzutragen, statt ihn mit Rot-Grün zu führen. Die Union unterschätzt die Bedeutung der Tatsache, daß eigentlich ständig Kampagnen gegen sie laufen, die alle stets sehr „weit vorne“, das heißt, bei einzelnen Mitgliedern ansetzen. Ich erinnere zum Beispiel an die mit öffentlichen Geldern unterstützte Kölner Antifa-Wanderausstellung, die auch an Schulen gezeigt wird und die Politiker wie Jürgen Rüttgers, Günther Beckstein oder Friedrich Merz als geistige Inspiratoren des Rechtsradikalismus verunglimpft, ohne daß die Union gegen diese Verleumdungen etwas unternimmt. Ist der angebliche Skandal dann da – Jenninger, Heitmann, Hohmann beziehungsweise Unterschriftensammlung zur Zuwanderung, Leitkultur oder nationale Identität -, ist Gegenwehr allerdings nicht mehr oder kaum noch möglich. Die Folge ist ein „Krisenmanagement“ – wie etwa in meinem Fall – mit katastrophalen Folgen: Nach dem Fall Hohmann stand die Union vor den Linken als Partei mit „Antisemiten“, vor den Rechten als Zeitgeist-Partei und vor der Mitte als Partei ohne innere Überzeugung da, weil sie auf halbem Wege ihren Standpunkt gewechselt hatte. Auf viele Bürger machte sie tagelang den Eindruck einer Truppe von Getriebenen. Das zeigt, wie lächerlich diese Kampagnen im Einzelfall auch aussehen mögen, zusammengenommen bedrohen, ja schädigen sie die Union beständig. Auch der Fall Hohmann begann schon früher? Hohmann: Viel früher als erst Ende Oktober 2003. Die Angriffe gegen mich durch einschlägig bekannte, linke Journalisten laufen schon seit Jahren. An der Kampagne beteiligten sich sogar Medien wie das Nachrichtenmagazin Stern oder das Fernsehmagazin „Panorama“. Und es ging dort nicht nur gegen mich, sondern auch gegen andere CDU-Politiker. Aus damaliger Sicht wirkten die Angriffe lächerlich, aus heutiger Sicht muß ich sagen: Sportliche Glückwünsche an die andere Seite, das habt Ihr gekonnt eingefädelt! Die beständige Wühlarbeit war schließlich von einem Erfolg gekrönt, den sie sich vermutlich selbst nicht zu träumen gewagt hatten. Alle Welt glaubt, der Fall Hohmann habe mit einem Bericht in den ARD-Tagesthemen begonnen. Weit gefehlt, es war die Internetseite hagalil.com, eine Art Antifa-Seite, die meine Rede lancierte und unerwartet einen Volltreffer landete. Erst daraufhin nahmen die Berichterstatter von ARD und ZDF den Ball auf und berichteten vor allem in ihren Online-Ausgaben über den Fall. Die Überschrift lautete „Bundestagsabgeordneter nennt Juden Tätervolk“. Dann war auch Paul Spiegel, Vorsitzender des Zentralrates der Juden in Deutschland, an der Reihe. Schließlich rief Friede Springer, die sich echten und vermeintlichen jüdischen Anliegen sehr verbunden fühlt, bei Angela Merkel an und drohte, wenn Hohmann nicht rausfliege, werde die Kampagne in Welt und Bild wochenlang laufen. Man muß verstehen, daß Friede Springer glaubt, für das projüdische Vermächtnis von Axel Springer einzutreten, was an sich ja ein sympathischer Zug ist. Nur hat sie leider nicht reflektiert, daß sie sich vor einen Karren hat spannen lassen. Nämlich? Hohmann: Vor den Karren Paul Spiegels. Er gab zu meiner Rede die Parole aus: „Schlimmster Ausfall von Antisemitismus seit Jahrzehnten“ und „Griff in die allerunterste Kiste des widerlichen Antisemitismus“. Das war der eigentliche Startschuß. Davon wagte praktisch niemand mehr abzuweichen. Warum? Hohmann: Wir können in Deutschland das außergewöhnliche Phänomen beobachten, daß eine bestimmte Gruppe von gewählten Interessenvertretern – nämlich der Zentralrat der Juden in Deutschland – in ihren Angelegenheiten quasi ex cathedra und mit moralisch unangreifbarer Autorität sprechen kann. Zwar vertritt der Zentralrat nicht alle Juden in Deutschland, geschweige denn „die Juden“, dennoch hat er in gewissen gesellschaftlichen Bereichen eine absolute Deutungshoheit inne. Der Papst in Rom hat nicht einmal annähernd diese Macht. Der erhält nämlich kräftig Widerspruch. Die Entwicklung der modernen Demokratie in Europa hat allerdings den gesellschaftlichen Diskurs unter das Postulat der gleichen Teilhabe gestellt. Alle Institutionen und Interessenvertreter wurden zu gleichberechtigten Konkurrenten gemacht. Die einzigartige Stellung, die der Zentralrat der Juden heute in Deutschland einnimmt, entspricht also im Grunde einem vordemokratischen Zustand. Wie löst sich dieser Widerspruch auf? Hohmann: Da dies mit der modernen Demokratie eigentlich nicht kompatibel ist, wage ich die Prognose, daß es diesen Zustand nicht mehr allzu lange geben wird. Ein Satz, der Ihnen garantiert erneut als „schlimmer antisemitischer Ausfall“ ausgelegt werden wird. Hohmann: Das hat mit Antisemitismus nichts zu tun, sondern es geht um gleichberechtigte demokratische Teilhabe. Die ist nur dann gewährleistet, wenn alle die gleichen Chancen haben. Die gleiche Augenhöhe ist ein vielbeschworenes Postulat. Insofern wird auch der Zentralrat eines Tages von seiner dominanten zu einer gleichberechtigten gesellschaftlichen Stellung zurückkehren müssen. Das Zusammenleben zwischen jüdischen und nicht jüdischen Deutschen wird sich damit normalisieren. Mit allem Respekt möchte ich die Jüdin Sonja Margolina zitieren: „Die Welt hat jetzt auch das Recht, mit den Juden wie mit allen anderen zu sprechen.“ Aber zeigt der Fall Hohmann nicht gerade eine Krise der Meinungsfreiheit auf? Hohmann: Die Political Correctness, die ursprünglich gar nicht negativ gedacht war, hat sich ins Gegenteil verkehrt. PC ist heute ausgeübte und gefühlte Intoleranz. Für uns sind zwei Konsequenzen entscheidend: Erstens, sie bedroht allgemein die demokratische Grundfreiheit der Bürger. Zweitens, der gesamte politisch rechte Flügel des demokratischen Spektrums wurde unter einen Faschismus-Generalverdacht gestellt. Aber genauso, wie es möglich sein muß zu sagen: „Ich bin ein Linker“, muß man sagen können: „Ich bin ein Rechter“. Als ich das in Erwiderung auf den damaligen Bundesminister Kurt Bodewig einmal tat, haben viele mir auch davon abgeraten. Ich würde damit meine politische Zukunft zerstören. Was den klaren konservativen Standpunkt in der Union angeht, haben Ihre Warner recht behalten. Bislang warben bereits die Republikaner, die Deutsche Partei, die Partei Rechtsstaatlicher Offensive und andere um Sie – haben Sie jemals einen Parteiwechsel in Betracht gezogen? Oder wäre es gar Zeit für die Gründung einer neuen konservativen „Protestpartei“? Hohmann: Meine politische Heimat soll die Union bleiben. Mit neuen Parteien haben wir in Deutschland bislang nicht viel Glück gehabt. Selbst gute Ansätze – wie etwa der Bund Freier Bürger – haben nicht funktioniert. Warum nicht? Hohmann: Vielleicht weil in neuen Parteien zu viele Leute mit Häuptlingsattitüde aktiv werden statt mit Indianerethos. Der Berliner Soziologie-Professor Bernd Rabehl sprach unlängst in einem Interview mit dieser Zeitung (JF 23/04) über die Zukunft der im letzten Herbst vom ehemaligen ZDF-Journalisten Fritz Schenk gegründeten Initiative „Kritische Solidarität mit Martin Hohmann“. Könnte diese nicht, so die Spekulation, Nährboden einer neuen Partei sein? Hohmann: Für diese Initiative bin ich sehr dankbar, aber ich habe meine emotionale und politische Heimat in der Fuldaer CDU. Allerdings war und ist die Unterstützung durch alle, die sich hier organisiert haben, für mich sehr wichtig. Weil sie mir – neben all den Tausenden Zuschriften, die ich bekommen habe – in einem Moment, in dem ich immer wieder das Gefühl hatte, in Berlin ziemlich allein zu stehen, bewiesen hat, daß dem nicht so ist! Aber auch, weil mit ihrer Gründung etwas politisch sehr Wichtiges gelungen ist: nämlich Gegenöffentlichkeit herzustellen. Die Initiative hat verhindert, daß die Fehlentscheidungen und Fehlinformationen im Fall Hohmann einfach in den Papierkorb des Vergessens geschoben werden konnten. Die Initiative ist ein beständiger Stachel im Fleisch! Was aber, wenn Sie nicht in die Fuldaer CDU zurückkehren können, weil Sie mit Ihrer Beschwerde beim Bundesparteigericht scheitern. Hohmann: Davon gehe ich nicht aus. Dann werden Sie den politischen Schwung Ihrer vielen tausend Unterstützer nicht weiter nutzen? Hohmann: Ich glaube nicht, daß die durch den Fall Hohmann freigesetzte politische Energie einfach verpuffen wird. Ich glaube, das Gefühl der Ohnmacht und manchmal sogar der Wut vieler Menschen über den Umgang mit mir weist auf einen Riß hin. Einen Riß zwischen der hohen Politik und Medien einerseits und der breiten Masse der Wählerschaft andererseits. Zwischen beiden gibt es einen extremen Unterschied in der Beurteilung von Sachverhalten. Unsere sogenannten Spitzenpolitiker sind in der ständigen Gefahr, das für Realität zu halten, was in den Medien gezeigt und geschrieben wird. Die Bürger sehen vieles anders und deutlich klarer. Ich habe das vor allem an den Tausenden von Zuschriften gemerkt, die ich bekommen habe beziehungsweise immer noch bekomme. Darunter sind viele Intellektuelle, aber auch Handwerker und Arbeiter – allesamt keine „Dumpfbacken“, wie es so gerne dargestellt wird, sondern Menschen, die einen enormen Handlungsbedarf für eine neue Politik sehen. Inwiefern? Hohmann: Daß wir Deutsche wieder zu einer anderen Anschauung von uns selbst, unserem Land und unserem Staat gelangen. Wir können uns nicht länger von und mit unserer Geschichte immer wieder unter Druck setzen lassen. Was haben Sie mit dem Titel Ihrer Rede „Gerechtigkeit für Deutschland“ gemeint? Hohmann: Wir Deutsche wollen als normales Volk – nicht besser, aber auch nicht schlechter als andere Völker, nicht überlegen, aber auch nicht unterlegen, wie es Bundeskanzler Schröder einmal formulierte – akzeptiert werden. Wir müssen uns vor allem selbst akzeptieren. Wir sollten uns in unserer Geschichte endlich selbst Gerechtigkeit widerfahren lassen – dann wird es uns auch möglich sein, die Zukunft wieder entschlossen und mutig anzupacken. Ihre Rede litt allerdings darunter, daß Sie sehr lange den Eindruck erweckt, es sei Ihr Ziel, die Juden tatsächlich als Tätervolk darzustellen. Erst ziemlich am Ende kommt die überraschende Wende: „Weder Deutsche noch Juden sind ein Tätervolk“. Haben Sie nicht doch Ihren dramaturgischen Kniff gezielt auf eine Provokation aufgebaut, und können Sie verstehen, daß Ihnen deshalb auch Gutwillige mißtrauen? Hohmann: Gutwillige werden immer zur Hauptaussage der Rede vordringen und diese nicht fehlinterpretieren. Es ging mir darum, den Tätervolk-Vorwurf, mit dem die Deutschen de facto beständig kujoniert werden – obwohl stets geheuchelt wird, keinesfalls wolle man eine Kollektivschuld unterstellen – plastisch zu machen. Das geht nur mit einem drastischen Effekt. Also griff ich zu einem Vergleich, der in den Ohren der Zuhörer unerhört und absurd zugleich ist. Wenn aber dieser Vergleich – mit der Rolle von Juden im Bolschewismus – letztlich dem Zuhörer absurd erscheint, dann erscheint den Leuten im Übertrag vielleicht auch endlich die geschichtspolitische Situation, in der sich die Deutschen befinden, absurd. Im Grunde also enthält die Rede nicht nur jenen einen distanzierenden Satz, sie zielte sogar insgesamt gegen Thesen wie „Die Juden sind ein Tätervolk“! In einem Kurzinterview mit der ARD am Tag, nachdem der Skandal losbrach, erweckten Sie allerdings durchaus den Eindruck, als gehe es Ihnen nicht nur um eine Entlarvung der Tätervolk-Theorie, sondern ganz konkret auch um die Verantwortung jüdischer KP-Funktionäre während der Oktoberrevolution. Kann es nicht doch sein, daß Sie ein aufrechnender „Wenn wir, dann auch ihr“-Reflex übermannt hat? Hohmann: Das eine läßt sich nicht vom anderen trennen. Es gibt sie nun einmal, die historische Tatsache der Verstrickung von Juden in den Kommunismus. Dieses Thema stellt heute ein Tabu dar, und das sage nicht ich, sondern Alexander Solschenizyn in seinem neuesten Buch über die russisch-jüdische Symbiose „200 Jahre zusammen“. Die Feststellung dieser Tatsachen hat aber nichts damit zu tun, daß ich aus dieser Verstrickung und aus deren Tabuisierung eine Kollektivschuld der Juden ableiten würde. Allerdings weist schon Solschenizyn darauf hin, daß wer an dieses Tabu rührt, sich prompt mit den heftigsten Antisemitismus-Vorwürfen konfrontiert sieht. Anfang Juli haben Sie als Gastredner auf einem Kongreß orthodoxer, antizionistischer Rabbiner in Wien gesprochen. Ist das nicht ein Affront gegen alle Juden, die sich mit dem Staat Israel identifizieren? Hohmann: Mein Interesse am Judentum ist breit angelegt. Mich fasziniert daran, wie Juden über mehr als 3.500 Jahre ihre Identität gewahrt haben. Für uns Deutsche wage ich übrigens diese Prognose derzeit nicht. Aus diesem Interesse heraus spreche ich mit liberalen Juden, mit Michel Friedman, mit dem damaligen israelischen Religionsminister Michael Melchior genauso wie mit den sogenannten ultraorthodoxen. Hätte ich die Einladung ausschlagen sollen? Andererseits haben Sie nie erwähnt, daß Sie sich zum Beispiel in Ihrem Wahlkreis Fulda stets für jüdische Belange eingesetzt, etwa die Restaurierung eines jüdischen Friedhofes engagiert betrieben haben. Hohmann: Erwähnt habe ich meine projüdischen Aktivitäten durchaus. Das hat damals natürlich keiner hören wollen. Das hätte nicht ins Bild des medial aufgebauten Antisemiten gepaßt. Also wurde nicht davon berichtet. Die jüdische Intellektuelle Sonja Margolina hat Sie in einem Beitrag für die „Berliner Zeitung“ und einem Interview mit der JUNGEN FREIHEIT (JF 46/03), der jüdische Politologe Norman Finkelstein in der ARD-Sendung „Sabine Christiansen“ in Schutz genommen. Doch niemand ist hierzulande auf diese Argumente eingegangen. Hohmann: Eben, unter der Dominanz der Political Correctness interessieren solche Einwände nicht, auch nicht, wenn sie von solch renommierten jüdischen Kapazitäten kommen. Ich glaube, in den ersten zwölf Stunden wären Widerspruch und Richtigstellung durch die Parteispitze noch möglich gewesen, um den beginnenden Skandal zu ersticken. Danach hat sich ein Vorurteil in unserer Mediengesellschaft bereits derartig festgebrannt, daß niemand mehr ernsthafte Einsprüche wagt. Dann wirken die „Empörungskartelle“, und die mediale „Vernichtungslust“ bricht sich Bahn, wie das Monika Maron in anderem Zusammenhang formuliert hat. Eine Indiskretion Ihrerseits hat bekanntlich den Bundeswehrgeneral Reinhard Günzel seinen Posten gekostet. Sie haben darauf hingewiesen, daß Sie das Kamerateam des ZDF-Magazins „Frontal 21“ den Brief des Generals nur unter der Zusage haben filmen lassen, daß das Material nicht verwendet werde. Klingt diese Geschichte nicht fast zu naiv, um noch glaubhaft zu sein? Hohmann: Mein großes Glück oder Pech in den letzten Jahrzehnten war, daß mich niemand mit einer so glatten Lüge beziehungsweise einem glatt gebrochenen Versprechen konfrontiert hat. Ich war wirklich naiv! Zudem bin ich vom ZDF schon zu Beginn über den wahren Charakter des Besuches getäuscht worden. Denn ursprünglich sagte man mir, nach all den Angriffen gegen mich wolle man nun einmal die Gegenseite, also meine Sicht der Dinge, darstellen. Scheinheilig hieß es dann während des Besuches, ob ich denn positive Reaktionen vorweisen könne? Ich war natürlich sehr dankbar und vertrauensvoll gestimmt. Ich fiel fast vom Stuhl, als dann ein reiner Anti-Hohmann-Beitrag unter Verwendung des Günzel-Briefes gesendet wurde. Mir tut das alles unendlich leid, und ich bin froh, daß der General mir meine Naivität glaubt und meine Entschuldigung angenommen hat. Wir stehen nach wie in Kontakt und verstehen uns gut. Sie haben immer wieder betont, diese Krise haben Sie nur dank Ihres christlichen Glaubens durchgestanden. Vielen gelten Sie allerdings ob Ihrer politischen Positionen als eine Art christlicher Fundamentalist. Hohmann: Wenn das Fundament schadhaft ist, braucht es Fundamentspezialisten. Das Wort „Fundamentalist“ kränkt mich also nicht im geringsten. Mein Hauptanliegen deckt sich mit dem, was die christlichen Kirchen sagen, was die katholische Kirche sagt. Wir müssen das Leben und seine Würde vom Anfang bis zum Ende in den Mittelpunkt stellen, das ist das A und O. Abtreibung kann daher kein Mittel der Empfängnisverhütung sein, und alte Menschen können nicht einfach „weggespritzt“ werden. Das entspricht der vom Papst immer wieder beschworenen „Kultur des Lebens“ und der Menschenwürde. Das Leben ist eben nicht frei verfügbar, sondern ein Geschenk Gottes. Mit diesem Geschenk müssen wir unendlich behutsam und demütig umgehen. Noch tragen wir die christlichen Fundamente in uns. Vielleicht sollten wir es uns nicht so schwermachen und einfach kräftig „durchglauben“, wie es der verstorbene Erzbischof Dyba einmal formuliert hat. Martin Hohmann : Der Wirbel um die geschichtspolitische Rede des CDU-Bundestagsabgeordneten vom 3. Oktober 2003 stürzte die CDU Ende letzten Jahres beinahe in eine tiefe Krise. Dem Fraktionsausschluß im November folgte – trotz der Niederschlagung aller Anzeigen wegen Volksverhetzung im Februar 2004 – am 20. Juli der Ausschluß aus dem hessischen CDU-Landesverband. Nun kämpft Hohmann, seit 1980 Mitglied in der CDU, um seinen Verbleib in der Bundespartei. 1998 übernahm der 1948 in Fulda geborene Politiker und Bundestagsdirektkandidat den Wahlkreis seiner Vaterstadt von Alfred Dregger. Der bekennende Katholik und Vater dreier Kinder war bis 1984 Jurist im Bundeskriminalamt, dann bis 1998 hauptamtlicher Bürgermeister im hessischen Neuhof. Foto: Platz des Abgeordneten Hohmann (hinten): „Ich werde weiterkämpfen“ Martin Hohmann (2004): „Wir Deutsche müssen wieder zu einer anderen Anschauung von uns selbst, unserem Land und unserem Staat gelangen“ weitere Interview-Partner der JF