Herr Zank, am 31. Januar jährt sich die Kapitulation der 6. Armee unter Generalfeldmarschall Friedrich Paulus im Südkessel von Stalingrad – der Nordkessel kapitulierte zwei Tage später – zum sechzigsten Mal. Sie sind einer der wenigen Überlebenden – von den 250.000 Soldaten der 6. Armee kehrten nur 6.000 in die Heimat zurück. Als Hauptmann befehligten Sie im Südkessel ein Infanteriebataillon. Wie haben Sie die Kapitulation erlebt? Zank: Als große, niederschmetternde Katastrophe, denn wenn es nicht gelungen war, eine Armee mit 22 Divisionen vor der Vernichtung zu retten, dann würde es auch nicht mehr möglich sein, den Krieg noch zu gewinnen. Mit der Niederlage war mein Glauben an einen deutschen Sieg vernichtet. Besonders schlimm war der Verlust des Vertrauens in unsere militärische Führung, die es nicht verstanden hatte, eine solch katastrophale Situation zu verhindern. Am 30. Januar hörten wir die Rede Hermann Görings zum 10. Jahrestag der Machtergreifung, die uns so erzürnte, als er dort begann, das Loblied auf die „Helden von Stalingrad“ zu singen, daß wir das Radio zertrümmerten. Was bedeutete das Ende für Sie persönlich? Zank: Meine Kameraden und ich standen vor der Frage, den Tod an der Front zu suchen, in Gefangenschaft zu gehen oder uns selbst das Leben zu nehmen. Was auch einige damals getan haben, darunter drei Generäle. Ich habe allerdings beschlossen, zu versuchen, auf eigene Faust auszubrechen. Im Sommer war es der Wehrmacht gelungen, fast ganz Stalingrad zu erobern. Sie waren zunächst im Norden der 6. Armee am Don als Flankensicherung eingesetzt. Wie waren Ihre Gefühle, als man noch siegreich auf die Stadt vorrückte? Zank: Wir waren der festen Überzeugung, daß es uns gelingen würde, die Stadt zu erobern und zu halten. Allerdings konnten wir ab Oktober beunruhigende Truppenbewegungen auf sowjetischer Seite ausmachen. Am 23. November wurden Sie im Zuge eines Großangriffs der Roten Armee mit der 6. Armee eingekesselt. Zank: Ja, doch während unsere Stellungen der sowjetischen Offensive standhielten, brach der Russe bei unseren Nachbarn, der 3. rumänischen Armee durch. Daraufhin wurden wir zurückgenommen, um die Kesselverteidigung mitaufzubauen. Wurde mit der Einkesselung bereits der Ernst der Lage klar? Zank: Natürlich waren wir uns im klaren darüber, daß wir in eine krisenhafte Situation geraten waren, jedoch gingen wir davon aus, daß wir auch diese Krise würden meistern können. Wir waren noch voll Vertrauen in unseren Krieg und unsere militärische Überlegenheit. Mit welcher persönlichen Überzeugung sind Sie in den Krieg gezogen? Zank: Wir waren der Überzeugung, für unser Vaterland zu kämpfen, wir waren pflichtbewußte und gutgläubige Soldaten. Was haben Sie für das Motiv des Vaterlandes gehalten, diesen Krieg zu führen? Zank: Der Krieg entwickelte sich, so hatten wir den Jubel der Deutschen erlebt, die wir 1938 im Sudetenland befreit hatten, 1939 waren uns dann die Untaten an den Volksdeutschen in Polen vor Augen gehalten worden. Im Frankreichfeldzug ging es um die Tilgung des Unrechts von 1919. So daß wir das Gefühl hatten, ein gutes Werk zu tun. Beim Rußlandfeldzug ging es aber nicht mehr um die Revision des Versailler Diktats – ebenso wie die Besetzung Zentralpolens und der Rest-Tschechei stellte das Unternehmen „Barbarossa“ einen Angriffskrieg dar. Zank: Das stimmt, hier wirkte sich die Propaganda aus, es war uns klargemacht worden, daß es legitim sei, den Bolschewismus anzugreifen. Dabei spielte natürlich auch mein persönlicher Eindruck von der Oktoberrevolution eine Rolle, den ich aus Büchern und Zeitungen gewonnen hatte, ich meine, das Wüten des Kommunismus mit Terror, Hungersnöten und Säuberungen. Haben Sie denn unterschieden zwischen Sowjets und Russen? Zank: Aber natürlich, als Junge bin ich Pfadfinder gewesen und hatte daher und aus der Lektüre zum Beispiel Michail Scholochows oder Edwin Erich Dwingers nicht geringe Sympathien für den russischen Menschen. Ich ging davon aus, daß die Russen unter dem Bolschewismus schwer zu leiden hatten. Die NS-Lehre von den Russen als slawischen Untermenschen habe ich nie akzeptiert. Waren Sie mit dieser Sicht nicht unter ihren Kameraden isoliert? Zank: Ganz und gar nicht. Während der Kämpfe in Rußland kam es auf beiden Seiten zu Kriegsverbrechen, sind Sie je Zeuge solcher Untaten geworden? Zank: Nein, und das muß ich ganz entschieden feststellen, ich bin nie Zeuge von Kriegsverbrechen geworden, noch sind mir Berichte davon damals je zu Ohren gekommen. Auch habe ich nie entsprechende Befehle erhalten. So ist mir zum Beispiel der Kommissarbefehl nie bekannt geworden. Meine Soldaten und ich sind mit der russischen Zivilbevölkerung stets gut ausgekommen, haben wir einmal in einem russischen Haus übernachtet, so sind wir meist freundlich aufgenommen worden und haben dafür den kranken Zivilisten dort unseren Arzt zur Verfügung gestellt. Dennoch sind zahlreiche Russen bei der Eroberung Stalingrads ums Leben gekommen, so sind dem Bombardement der Luftwaffe 40.000 Zivilisten zum Opfer gefallen. Haben Sie gewußt, daß Stalin verboten hatte, die Stadt zu evakuieren und die Bewohner damit zu Geiseln des Krieges gemacht hatte? Zank: Nein, das wußte ich nicht, wir waren allerdings zunächst auch zu weit weg, um die Ereignisse während der Eroberung der Stadt beobachten zu können. Wann ist Ihnen klar geworden, daß die Krise in der sich die 6. Armee seit dem 23. November befand, nicht mehr zu meistern war? Zank: Als kurz vor Weihnachten bekannt wurde, daß der Entsatz der Panzergruppe Hoth 50 km vor Stalingrad liegengeblieben war. Bis dahin waren wir überzeugt, daß wir gerettet werden würden. Selbst danach machten wir uns bis in den Januar hinein noch Hoffnungen, weil sich niemand aufgeben wollte. Ein Gerücht jagte das andere. Schlimm wurde es, als am 10. Januar der russische Großangriff begann, der auch den Kessel zerteilte. Da setzte sich die Erkenntnis durch, daß wir dem Untergang geweiht waren. Inzwischen war zudem die Verpflegungslage katastrophal, und beinahe mein ganzes Regiment war mittlerweile aufgerieben worden. All dies lastete unendlich schwer auf mir. Haben Sie damals nicht den Mut verloren? Zank: Nein, warum, weiß ich auch nicht, ich habe immer gehofft, einen Ausweg zu finden. Das Gefühl der Kameradschaft und des aufeinander Angewiesensein führte dazu, daß es auch in dieser schlimmen Situation keine Auflösungserscheinungen oder auch nur Disziplinlosigkeiten gab. Das ist etwas, was man den Menschen heute kaum noch verständlich machen kann. Die chaotischen Zustände, die zum Sinnbild für das Ende in Stalingrad geworden sind, brachen also erst in den letzten Tagen aus? Zank: Das mag sein, aber ich habe bei einer Fahrt zum Flughafen Pitomnik Anfang Januar solche Szenen nicht erlebt. Grauenvoll war allerdings, daß wir nicht nur unsere Toten nicht begraben konnten, sondern daß wir schließlich sogar unsere Verwundeten zurücklassen mußten. Es war furchtbar. Hat Sie Ihr Unglück veranlaßt, auch das Leid der russischen Soldaten zu reflektieren? Zank: Wir konnten beobachten, daß der Russe wesentlich höhere Verluste als wir hatte, weil die Sowjetsoldaten erbarmungslos in den Kampf getrieben wurden. Wir hatten sogar Gefangene gemacht, die darum baten, erschossen zu werden, weil Stalin erklärt hatte, jeder Gefangene sei ein Deserteur und damit dem Tode geweiht. Am Abend des 30. Januar gelang Ihnen schließlich der Ausbruch. Zank: Nur wenige Stunden vor der Kapitulation des General Paulus am Tag darauf. Es hatten sich nur drei weitere Freiwillige gemeldet, denn es drohte uns schlimm zu ergehen, wenn uns die Russen im Hinterland fassen sollten. Wir hatten unseren Ausbruch nach oben gemeldet und genehmigt bekommen, die Luftwaffe war sogar angewiesen worden, solche Unternehmungen, wenn möglich, zu unterstützen. Doch zwei Tage später haben uns die Russen tatsächlich geschnappt, und wir gerieten in Gefangenschaft. Schon im ersten Sammellager starben 30.000 Ihrer Kameraden an Entkräftung. Inwiefern waren die Russen schuld daran? Zank: Das ist schwierig zu beurteilen, aber natürlich waren die Russen nicht drauf vorbereitet, so viele Gefangene zu versorgen. Ich will ihnen ein Beispiel geben, wie widersprüchlich die Behandlung sein konnte. So wurde uns gesagt, alle verwundeten Offiziere würden behandelt werden. Ich meldete mich, da mir die Füße erfroren waren. Daraufhin wurde ich mit dreißig Kameraden in einen dunklen Keller gesperrt. Vier Wochen lang bekamen wir keine frische Luft, keine ärztliche Versorgung, kaum zu Essen und vegetierten unter katastrophalen sanitären Bedingungen. Als wir schließlich herausgeholt wurden, waren außer mir nur noch zwei meiner Kameraden am Leben. Später kamen wir auf ein Schiff und fuhren zwei Tage die Wolga hinauf: Betten mit weißen Laken, ordentliche Verpflegung, Spaziergang an Deck – es war wie auf einer Ferienreise. Allerdings habe ich so etwas nicht mehr wieder erlebt. Im Lager Wolsk war das Überleben hart, aber möglich. Die Masse meiner Kameraden starb an den schrecklichen Bedingungen in der ersten Zeit der Gefangenschaft. Man hat versucht, Sie für das „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (NKFD) zu werben. Zank: Ja, aber ich habe die Zusammenarbeit mit dem Kommunismus abgelehnt und war enttäuscht, daß einige höhere Offiziere, die zuvor ihre Männer für Hitler in den Tod geschickt hatten, nun mit Stalin gemeinsame Sache machten. Den Mannschaften dagegen riet ich zu unterschreiben, da das politisch sowieso keine Rolle spielte, sich aber sonst die Situation für sie verschlechtern konnte. Daß aber in den achtziger Jahren dann das NKFD Eingang in die Ausstellung „Gedenkstätte deutscher Widerstand“ in Berlin gefunden hat, ist nach wie vor empörend! Da man ihnen keine Kriegsverbrechen anlasten konnte, sollten Sie in den Jahren nach dem Krieg entlassen werden. Zank: Ja, doch da ich von den Russen als „aktiver Gegner des NKFD“ eingestuft worden war, wie meine Akte in Moskau heute verrät, verzögerte sich meine Freilassung bis Ende 1949. Nahm man in der Heimat Anteil an Ihrem Schicksal? Zank: Ja, ich wurde mit großer Freundlichkeit empfangen, und man bemühte sich, mir den Neubeginn zu erleichtern. Allerdings waren Krieg und Gefangenschaft für mich tabu, ich wollte nicht darüber sprechen. Warum? Zank: Für mich stand die Neugründung meiner Existenz im Vordergrund, das Leben mußte in die Hand genommen werden. Erst in den siebziger Jahren sind sie dem „Bund ehemaliger Stalingradkämpfer“ beigetreten, und erst in den achtziger Jahren haben Sie Ihre Kriegserinnerungen aufgeschrieben. Zank: Als ich pensioniert war, gab ich schließlich dem Drängen von Freunden und Verwandten nach, und 2000 habe ich dann den Vorsitz des Bundes übernommen. Heute steht er allerdings vor dem Aus, da nur noch etwa 150 „Stalingrader“ Mitglied des Bundes und am Leben sind – und keiner davon unter achtzig Jahren alt ist. Warum sind die Stalingradkämpfer im einem „deutschen“ und einem österreichischen Bund organisiert, sie haben doch in ein und derselben Truppe gedient und für ein Reich gekämpft? Zank: Das ergab sich aus der Aufteilung Deutschlands in Österreich und die Bundesrepublik Deutschland durch die Besatzer. Die Veteranen aus der DDR konnten sich gar erst nach der Wiedervereinigung organisieren und dem Bund anschließen. Das zentrale Denkmal des Bundes ist ein etwa 3 mal 1,5 Meter großer Gedenkstein auf dem Limburger Soldatenfriedhof. Wünschen Sie sich nicht ein nationales Mahnmal in der Hauptstadt Berlin? Zank: Ich weiß nicht, wie wir das noch schaffen sollen. Wäre die Errichtung einer nationalen Gedenkstätte nicht Aufgabe der Bundesrepublik Deutschland, als Rechtsnachfolger des Reiches? Zank: Natürlich, aber ich sehe dafür keine Chance mehr. Schauen Sie sich doch die Situation heute an, denken Sie nur an die unglaubliche Wehrmachtsausstellung des Herrn Reemtsma! Was können wir dagegen noch ausrichten, wie können wir angesichts solchen Propagandalärms noch erwarten, gehört zu werden? Entscheidend aber ist für mich nicht der Ort, sondern, daß es überhaupt noch ein Stalingradehrenmal in Deutschland gibt. Und natürlich ist das Medieninteresse an Stalingrad ein große Genugtuung für uns. Die Veteranen anderer Länder können sich solche Problem nicht einmal vorstellen. Zank: Das ist leider wahr, und wir stellen das immer wieder fest, wenn wir Kameraden anderer Armeen treffen. Man kann nur hoffen, daß die nächste Generation einmal anders zu ihren Großvätern steht, als ein großer Teil der Generation heute. Ein Anfang wäre es, wenn in der Medienberichterstattung fairerweise mehr darüber aufgeklärt werden würde, in welchem guten Glauben die meisten von uns damals gehandelt haben. Sie meinen, zu akzeptieren, daß die Soldaten der Wehrmacht trotz des verbrecherischen Nationalsozialismus Soldaten für Deutschland waren? Zank: Ja, denn zwar ich sehe den Mißbrauch natürlich ein, aber ich lasse mir nicht meinen Patriotismus absprechen – und das auch stellvertretend für all diejenigen, die nicht überlebt haben und die sich heute nicht mehr gegen die Vorwürfe und Anfeindungen der Reemtsmas verteidigen können. Horst Zank Oberst a.D. ist Vorsitzender des „Bundes ehemaliger Stalingradkämpfer“. Geboren 1919 in Frankfurt an der Oder, aufgewachsen in Schlesien, meldete er sich 1937 als Fahnenjunker freiwillig zur Infanterie. Der junge Offizier nahm an der Besetzung des Sudetenlandes, am Polen- und am Frankreichfeldzug teil, bevor er im Mai 1942 an die Ostfront kommandiert wurde. Er überlebte die Schlacht um Stalingrad und geriet in sowjetische Gefangenschaft. 1949 kehrte Zank als einer der wenigen Überlebenden der 6. Armee nach Deutschland zurück. Zunächst studierte er Pharmazie, trat aber 1956 in die neugegründete Bundeswehr ein. 1979 wurde der Oberst in den Ruhestand versetzt, heute lebt er in Bonn. Seit 2000 ist Zank Vorsitzender des 1958 gegründeten Bundes ehemaliger Stalingradkämpfer. 1993 veröffentlichte er unter dem Titel „Stalingrad. Kessel und Gefangenschaft“ (Mittler&Sohn) seine Erinnerungen an den Krieg. Kontakt: Bund ehemaliger Stalingradkämpfer Deutschlands, Bismarckstr. 19, 64293 Darmstadt, Bund ehemaliger Stalingradkämpfer Österreichs, Gmunder Str. 47, A-4690
Schwanenstadt. weitere Interview-Partner der JF
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