Die bislang „Pensionopolis“ genannte Hauptstadt der Steiermark hat einen neuen Spitznamen. Sie heißt nicht mehr Graz, sondern „Stalingraz“, seit dort bei der Kommunalwahl die Kommunistische Partei Österreichs knapp 21 Prozent der Stimmen gewann. Was ist da geschehen in der zweitgrößten Stadt Österreichs? Zunächst ist es ein lokales Phänomen, gebunden an eine Person: den volkstümlichen 53jährigen Ernst Kaltenegger. Der gebürtige Steirer war noch als Lehrling der Sozialistischen Jugend beigetreten, wo er es bis zum Bezirkschef brachte. 1971 wechselte er zur KPÖ, wurde Landessekretär der KPÖ-Jugend und begann, sich der Kommunalpolitik – und hier besonders dem Wohnungsproblem – in Graz zu widmen. Zwischen Wort und Tat bestehe bei der SPÖ eine „zu große Kluft“, gab er als Begründung an. 1998 hat die KPÖ unter seiner Führung ihren ersten Erfolg (7,9 Prozent) in Graz: Kaltennegger wird „Wohnbaustadtrat“. Er wirbt damit, daß er unter anderem 60 Prozent seines Gehalts von 4.500 Euro Bedürftigen spendet. Kaltenegger wendet sich gegen „neoliberale“ Tendenzen in der Politik und hat immer ein Ohr für einkommensschwache Wohnungssuchende. Sein persönlicher Einsatz und sein „menschenfreundliches Wesen“ sind Garant des Erfolges. Er setzt sich für die Sicherung städtischen Eigentums und gegen hemmungslose Privatisierungen ein – und geißelt den „sozialen Kahlschlag“. Dennoch ist es erstaunlich, daß – bis tief in die Reihen der christdemokratischen ÖVP – Wohlwollen für den KPÖ-Sieger herrscht. Auch Österreichs Medien sind voller Sympathie für den mitfühlenden Genossen, der nur eine „ganz kleine“ Lenin-Büste in seinem Büro stehen hat. Ein ÖVP-Mitglied der Landesregierung meinte sogar, Kaltenegger sei in seinen Positionen Jörg Haider zum Verwechseln ähnlich. Und in der Tat: etwa die Hälfte der Ex-FPÖ-Wähler stimmte diesmal für den KP-Mann. Kaum jemand allerdings erinnerte daran, daß in Graz jeder fünfte eine Partei gewählt hat, welche sich auf den größten Massenmord des 20. Jahrhunderts zurückführen läßt. Der Erfolg Kalteneggers ist ein Symptom für die Brüchigkeit des Parteisystems, für den Ekel und Widerwillen vieler Bürger gegenüber der Politik überhaupt – aber auch für die um sich greifende Geschichtslosigkeit. Man wählt heute dies und morgen das – sei es Haider oder jetzt die KPÖ – und übermorgen wieder etwas anderes. Die Wahlbeteiligung in Graz lag bei etwa 55 Prozent – viele Wähler sowohl der FPÖ, aber auch der SPÖ, blieben enttäuscht zu Hause. Und schon melden sich die ersten besorgten Stimmen aus dem Ausland: Ob man in Österreich überhaupt noch investieren könne, ob nicht eine knallrote Machtübernahme bevorstehe? Könnte es sein, daß KP-Kaltenegger – weit über seine Person und den lokalen „Stalingrazer“-Wirkungskreis hinaus – das Ende der Gemütlichkeit ankündigt?