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„Die Strategie der USA ist verfehlt“

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„Die Strategie der USA ist verfehlt“

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Herr Professor Scholl-Latour, für die Zeit nach dem 27. Januar, dem Tag an dem die Uno-Waffeninspekteure im Irak ihren Bericht vorlegen, wird mit dem Angriff der USA auf den Irak gerechnet – der Truppenaufmarsch ist derzeit in vollem Gange. Sie haben die Region über Jahrzehnte immer wieder bereist und selbst über den Nahen und Mittleren Osten berichtet. Rechnen auch Sie mit einem „pünktlichen“ Angriff, oder sitzen die Medien, bezüglich des Zeitpunkts, eventuell einer Desinformation auf, die ein noch früheres Losschlagen verschleiern soll, bevor sich der Protest gegen den Krieg ganz entfalten kann? Scholl-Latour: Es ist in der Tat durchaus denkbar, daß die USA noch im Laufe des Januar mit massiven Bombardements beginnen werden. Die Bodenoffensive würde dann gestartet, wenn der Aufmarsch beendet ist. Amerika wird dabei wenig Rücksicht auf Rüstungskontrollergebnisse nehmen, wenn diese nicht in ihren Zeitplan passen. Bereits im 2. Golfkrieg 1991 lancierten die USA die Propaganda-Lüge von der Ermordung kuwaitischer Säuglinge durch irakische Soldaten, um die Stimmung der US-Amerikaner und der internationalen Öffentlichkeit „in Richtung Krieg“ zu manipulieren. Im letzten Jahr sind die Amerikaner mit der – später zurückgenommenen – Ankündigung an die Öffentlichkeit getreten, ein Ministerium für Propaganda und Desinformation einrichten zu wollen. Niemand glaubt ernstlich daran, daß die Eskalation tatsächlich vom Irak ausgeht, dennoch stellt kein westlicher Spitzenpolitiker die Propaganda der USA – der Angriff hinge vom Verhalten Saddam Husseins ab – in Frage, sondern man diskutiert die US-Legende tatsächlich mit „heiligem Ernst“. Scholl-Latour: Der Trick der getürkten Provokation ist ja nichts Neues. Schon der Vietnamkrieg begann mit einer verfälschten Darstellung des Zwischenfalls im Golf von Tonking 1964, wo angeblich nordvietnamesische Patrouillenboote die US-Flotte angegriffen hatten. Tatsächlich aber waren amerikanische Schiffe in die Hoheitsgewässer Nordvietnams eingedrungen – wie die inzwischen veröffentlichten „Pentagon Papers“ enthüllen. Daß unsere Politiker die massive Propaganda der USA als Tatsache akzeptieren, offenbart den Zustand der Abhängigkeit, in dem sie sich gegenüber den USA befinden. Wie erklärt sich, daß die Politiker und vor allem auch die Medien widerspruchslos die These übernehmen, die Entscheidung über Krieg und Frieden liege alleine bei Saddam Hussein, wo doch der irakische Diktator, schon aus Gründen des eigenen Überlebens, den offenen Konflikt vermeiden muß? Scholl-Latour: Die Pressefreiheit im Kapitalismus ist eben auch nicht unbegrenzt. Aber natürlich ist die systematische Irreführung der öffentlichen Meinung des Westens eine Verleugnung der eigenen Prinzipien. Wir sind in ein unerbittliches Zeitalter eingetreten. Die jetzige Präsidentschaft der USA huldigt einer manichäischen Weltsicht, die nur Gute und Böse kennt. Moral und Politik sind leider schlecht vereinbar. Oder wie Nietzsche sagte: „Der Staat ist das kälteste aller kalten Ungeheuer.“ Anders als 1991 wird Saddam Hussein vermutlich versuchen, die offene Feldschlacht zu vermeiden und die Amerikaner in Partisanen- und Häuserkämpfe zu verwickeln, mit denen – wie man am Beispiel Tschetschenien sehen kann – sogar eine Großmacht nicht fertig wird. Scholl-Latour: Vorausgesetzt, ein Teil der irakischen Soldaten ist bereit, bis zum letzten Mann zu kämpfen. Sollte es dann tatsächlich zu solchen Kämpfen kommen, wird es für die amerikanischen Truppen in der Tat brenzlig, denn Bagdad ist eine unübersichtliche Stadt mit sechs Millionen Einwohnern. Zudem könnte von seiten der Iraker Giftgas eingesetzt werden. Es ist aber ebenfalls vorstellbar, daß das Regime unter dem Druck der vorrückenden Amerikaner sich von selbst auflöst. Bereits 1991 brach angesichts der Bodenoffensive der Amerikaner im Süden des Landes in Bagdad die Ordnung zusammen: aus den Armenvierteln strömten schon die Plünderer in die Innenstadt. Erst als die Meldung kam, Saddam habe mit den Amerikanern einen Waffenstillstand geschlossen, wurde die Ordnung sehr schnell und brutal wiederhergestellt. Möglich ist jedoch auch, daß es während des US-Vormarsches zu einem Offiziersputsch kommt, nach dem Motto: „Saddam muß weg, sonst baumeln wir neben ihm am Galgen“. Saddam Hussein ist in weiten Kreisen des Volkes verhaßt. Die US-Truppen könnten von zahlreichen Einwohnern Bagdads zunächst sogar mit Jubel empfangen werden. Sicher ist aber, daß solche Hochstimmung nicht lange anhalten wird. Eine fremde Besatzung des Irak durch Ungläubige würde zwangsläufig zum Volksaufstand führen. Auch heutige Gegner Saddam Husseins, etwa arabische Nationalisten, vor allem aber islamische Aktivisten könnten einen Abnützungskampf, einen asymmetrischen Krieg einleiten, den die USA auf Dauer psychologisch nicht durchhalten würden. Sie sagen den neuerlichen Angriff auf den Irak schon seit den Ereignissen vom 11. September 2001 voraus. Warum, weil die USA seit diesem Tag bereit sind, jede potentielle Bedrohung ohne Rücksicht auf das Völkerrecht zu liquidieren? Scholl-Latour: Nein, das Vorhaben, den Irak erneut anzugreifen, hatten die USA bereits unter Präsident Bill Clinton erwogen, also vor dem 11. September 2001. Damals war das außenpolitisch nicht opportun. Nun aber kann im Zuge des sogenannten „Krieges gegen den Terror“ eine pauschale Strafaktion ausgelöst und der Irak als „Schurkenstaat“ erledigt werden. Dabei hat sogar der CIA zugegeben, daß der Irak sich am internationalen Terror nie beteiligt hat. Dabei haben die USA aber auch ganz plausible Argumente, zum Beispiel die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, die sogenannte Proliferation, zu unterbinden. Scholl-Latour: Tatsache ist – und das sollten die Europäer endlich auch zur Kenntnis nehmen -, daß diese Proliferation eine apokalyptische Bedrohung für die Zukunft der Menschheit darstellt. Nur ist der Irak da das völlig ungeeignete Objekt. Wenn man den Argumenten Bushs folgt, müßte zuallererst Nordkorea neutralisiert werden, das unlängst eingeräumt hat, eigene Atombomben zu besitzen. Und um zu verhindern, daß der Irak künftig Kernwaffen baut, würden die fortgesetzten Uno-Kontrollen völlig ausreichen. Zwar kann man chemische und biologische Waffen in jedem Keller zusammenbrauen, nicht aber Atombomben bauen. Bleibt aber die Gefahr durch letztere. Scholl-Latour: Chemische Kampfstoffe sind extrem leicht herzustellen, darüber verfügt fast jedes Land in dieser Region. In Wirklichkeit geht es um eine grundsätzliche Frage: Man sollte sich in Washington in die Mentalität der potentiellen Gegner versetzen. Die Amerikaner drohen zum Beispiel dem Iran mit nuklearen Präventivschlägen. Da ist für einen iranischen Staatschef wohl selbstverständlich, daß er sich mit allen Mitteln Atomwaffen verschafft, um gegen die Erpressung durch die Supermacht ebenso geschützt zu sein, wie das für Nordkorea schon der Fall ist oder für Pakistan gegenüber dem militärisch überlegenen Indien. Was halten Sie dann für den Grund der USA, den Irak überhaupt anzugreifen, geht es tatsächlich nur ums Öl, wie gerne behauptet wird? Scholl-Latour: Es klingt zwar furchtbar banal, populistisch und demagogisch, aber es ist – wie schon 1991 – der Kern der Sache. Es geht den Amerikanern allerdings auch darum, eine neue Ordnung, eine Pax Americana, im Nahen Osten zu etablieren, die vor allem auch Israel zugute käme. Ist Saddam Hussein für die Vereinigten Staaten nicht aber das kleinere Übel, er ist ringsum isoliert, ein Feind der Islamisten und weitgehend entwaffnet. All diese Vorteile geben die USA bei einem Sturz seiner Diktatur auf, zugunsten einer ungewissen Zukunft, die doch wahrscheinlich eher Bürgerkrieg und Fundamentalismus bringen wird, als Frieden und Freiheit? Scholl-Latour: Das ist richtig, und mir erscheint die Strategie der Amerikaner verfehlt. Denn um den territorialen Zusammenhalt des Irak nach Saddam Hussein zu gewährleisten, müßte das Pentagon vermutlich auf einen irakischen Militärdiktator zurückgreifen, der Saddam Hussein nicht unähnlich wäre – den USA jedoch freien Zugriff auf das irakische Erdöl gewährt. Aber es spielt wohl auch eine Rolle, daß die USA mit Saddam Hussein noch eine Rechnung offen haben. Ich vermute, daß Präsident George Bush senior vor zwölf Jahren nur deshalb die Bodenoffensive so abrupt abbrach, weil man ihm signalisiert hatte, Saddam Hussein werde durch einen Putsch aus dem Weg geräumt. Möglicherweise hatte ihm Saddam selbst diese Nachricht zugespielt. Entscheidend könnte sich die Zukunft Saudi-Arabiens auswirken, eines offiziellen Verbündeten der USA, wo sich jedoch vermutlich der Kern der al-Qaida-Verschwörung befindet. Fiele die Öllieferung Saudi-Arabiens aus irgendeinem Grunde für die USA aus, könnte alleine das irakische Petroleum die unentbehrliche Lieferung garantieren. Die rationale Fragwürdigkeit des amerikanischen Kriegszieles legt die Vermutung nahe, daß die Analyse einiger kritischer amerikanischer Intellektueller wie Immanuel Wallerstein oder Chalmers Johnson zutrifft, es gehe inzwischen schlicht um die Errichtung eines amerikanischen Imperiums? Scholl-Latour: Diese Vorstellung wurde schon von der früheren US-Außenministerin Madeleine Albright mit dem Hinweis auf die „indispensible nation“, also die „unentbehrliche Nation“ USA bestätigt. Demzufolge ist ein Krieg gegen den Irak nicht, wie behauptet, die ultima ratio im Kampf gegen die Verbreitung von Massenvernichtungswaffen, sondern die erste Schlacht in einem langen Krieg zur Unterwerfung des Nahen und Mittleren Osten unter die Vorherrschaft der USA? Scholl-Latour: Die Ankündigung Präsident Bushs, der „Krieg gegen den Terror“ werde Jahre dauern, und er kenne keine geographischen Grenze, ist eindeutig genug. Laut Angaben der CIA gelten zur Zeit sechzig Staaten weltweit als unsichere Kantonisten. Allerdings sollte man sich nicht zu einem einfältigen Anti-Imperialismus verleiten lassen. Imperien können notwendig sein, um Ordnung zu stiften. Aber in den USA vermisse ich den unentbehrlichen Instinkt für die Realität fremder Kulturen. Völlig unerträglich droht die Position Europas zu werden, das sich aus eigenem Unvermögen auf den Zustand totaler Abhängigkeit von den USA zu bewegt. Man verstehe mich nicht falsch, das atlantische Bündnis bleibt weiterhin für Amerika und für Europa unentbehrlich. Aber die Organisation dieser Allianz, die Nato, die sich in den Zeiten des Kalten Krieges voll bewährt hatte, zementiert heute die uneingeschränkte Verfügungsgewalt des US-Oberkommandos über die europäischen Streitkräfte. Nehmen wir ein Beispiel: Sollte eines Tages der Konflikt zwischen den USA und China ausbrechen, soll dann Deutschland im Ernst seine Soldaten im Rahmen der Nato-Response-Force gegen die Volksbefreiungsarmee einsetzen? Wenn ich höre, daß ein deutscher Verteidigungsminister verkündet, Deutschlands Sicherheit werde am Hindukusch verteidigt, frage ich mich, ob unsere Politiker noch ganz bei Sinnen sind. Die Chancen einer selbstbestimmten europäischen Verteidigung erscheinen heute illusionär. Wer wäre in Deutschland schon bereit, ähnlich wie Frankreich eigene Flugzeugträger, Atom-U-Boote und Nuklearraketen zu bauen? Wenn die Deutschen jedoch nicht gewillt sind, im europäischen Rahmen zu agieren, so werden sie es eines Tages im nationalen Rahmen tun müssen, um gegen nukleare Erpressung von außen geschützt zu sein. Der Terrorismus zielt auf den Rückzug aus fremden Hemisphären und rechnet mit der Verletzlichkeit großer Strukturen. Ist die Schaffung eines Imperiums – mit oder ohne Europa – also nicht gerade die falsche Antwort? Scholl-Latour: Das ist das Problem, denn der Terror ist die Waffe der Schwachen. Für den Westen gibt es zwei wirkliche Gefahren, nämlich die Proliferation und die Demographie. Hier befinden sich die fatalen Vorraussetzungen für den Terrorismus der Zukunft. Das Unternehmen eines amerikanischen Imperiums muß aus dem Ereignis des 11. September verstanden werden. Da handelt es sich nicht um eine Zeitenwende im „Kampf der Kulturen“, wie stets behauptet wird. Die Bedeutung von „Ground Zero“ liegt vielmehr darin, daß dadurch die Psyche der Vereinigten Staaten von Amerika zutiefst verändert wurde. Wo aber bleibt die befriedende Idee einer gerechten Ordnung in der Welt? Scholl-Latour: Wann gab es jemals eine gerechte Weltordnung? Was ist mit dem Völkerrecht? Scholl-Latour: Machen wir uns doch nichts vor, das Völkerrecht ist stets ein wohlgemeintes Flickwerk gewesen. Wenn jemand das große Wort von der „familiy of nations“, der „internationalen Völkergemeinschaft“ im Munde führt, dann überführt er sich selbst der Lüge. Bundeskanzler Schröder spricht davon. Scholl-Latour: Ich halte Gerhard Schröder für einen sehr geschickten Anpasser und für einen Mann ohne historisches Bewußtsein und außenpolitisches Gespür. Letzteres ist leider symptomatisch für Deutschland: Wenn ich zum Beispiel im Fernsehen den ARD-Presseclub sehe, dann dreht es sich dort heute nur noch um Binnenthemen wie Rente oder Tarifverhandlungen – und inzwischen stürzt anderswo die Welt zusammen. Aber ich bin sicher, in ein paar Jahren werden sich auch unsere Politiker den existentiellen Problemen widmen müssen. Prof. Dr. Peter Scholl-Latour geboren 1924 in Bochum. Seit 1950 ist er als Journalist tätig. 1954 bis 1955 war er Sprecher der Regierung des Saarlandes. Der studierte Orientalist unternahm Reisen in alle Erdteile. Von 1960 bis 1963 war er Afrikakorrespondent der ARD, danach Leiter des Pariser Studios. 1969 wurde er Direktor beim WDR, wechselte aber 1971 als Chefkorrespondent zum ZDF, ab 1975 leitete er auch hier das Paris-Studio. 1983 bis 1988 war er Heraus-geber des Stern, zeitweilig dessen Chefredakteur, und Vorstand bei Gruner & Jahr. Seine Reisen und zahlreichen Bücher zur Situa-tion im Nahen und Mittleren Osten machen ihn derzeit zu einem der gefragtesten Interviewpartner in den deutschen Medien. Im Dezember 2002 erschien bei Propyläen sein jüngstes Buch „Kampf dem Terror – Kampf dem Islam? Chronik eines unbegrenzten Krieges“. weitere Interview-Partner der JF

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